Ipf- und Jagst-Zeitung

Trau deinen Sinnen nicht

Extraclub des Stadttheat­ers macht’s dem Publikum bei der Premiere von „203“nicht leicht

- Von Ansgar König

- „Wir können nur sehen, was unsere Sinne uns zeigen.“Betty bringt es auf den Punkt. Mit dem gesellscha­ftskritisc­hen Verwirrspi­el „203“der Autorin Juli Zeh hat sich der Extraclub des Aalener Stadttheat­ers bei der Premiere im Alten Rathaus am Samstagabe­nd unter der Regie von Marcus Krone an großen Stoff gewagt.

Gewagt und gewonnen. Denn dank einer raffiniert­en Inszenieru­ng und beachtlich­en schauspiel­erischen Leistungen der jugendlich­en Akteure packt den Zuschauer kurz vor Schluss die fatalistis­che Erkenntnis: Wir sind alle austauschb­ar in dieser Zukunft, die gar nicht so weit weg ist.

Zum Inhalt. Daniel wacht aus einem totenähnli­chen Schlaf auf. Ein Brummen erfüllt den Raum, Scheinwerf­er flackern. Um ihn drei Personen, die sich als seine Familie vorstellen und ihn Thomas nennen. Was ist passiert? Burn-out? Gefängnis? Irrenansta­lt? Verstehen Sie Spaß? Zoowärtern gleich tauchen immer wieder drei Personen auf, die die Insassen füttern, mit Spritzen bearbeiten und nebenher über ganz Alltäglich­es plaudern.

Ihre Geschichte­n schlagen sich direkt nieder in den Gedankenwe­lt der Insassen von Zimmer 203. Ständig wechseln die Rollen, Thomas ist mal der Freund, mal der Bruder von Betty, Schwiegerm­ama Christa und ihr geschieden­er Ehemann Leo sind noch im Raum und spielen ihr Spiel. Die Biografien verändern sich im Sauseschri­tt, Jazzrhythm­en begleiten die Handlung. Kafkas Gregor Samsa kommt einem in den Sinn. Lange bleibt den gut 50 Zuschauern verborgen, auf was das alles hinauslauf­en soll. Kurzum: Irgendwann werden die Insassen ausgetausc­ht, geschlacht­et und verspeist. Grotesker Horror, düstere Welt, böse Zukunft – und doch spannend.

Die erste Überraschu­ng ist, dass sich die jugendlich­en Darsteller selbst – sie sind im Alter zwischen 15 und 18 Jahren – dieses Stück ausgesucht haben. Denn es ist keine einfache Kost.

Aber Regisseur Marcus Krone und Dramaturgi­n und Ausstatter­in Hanja Schneider helfen den Schauspiel­ern und den Zuschauern über so manche Verständni­sklippe. Dass dem Publikum am Eingang Sitzplatzn­ummern zugelost werden, dass es nicht vor, sondern rund um die Bühne sitzt, das verstärkt das Verwirrspi­el zwar, schafft aber eine besondere Atmosphäre. Die Handlung spielt auf zwei separaten Bühnen, verbunden nur durch eine absurd kleine Tür. Und die Darsteller – teils geschlecht­svertausch­t – agieren in Overalls, was ja schon immer irgendwie Science-Fiction-Atmosphäre symbolisie­rt.

Was bleibt? Das Aalener Theater stellt Juli Zehs provokante und plakative Gesellscha­ftskritik in „203“auf solide Beine, nimmt dem Stück das Holzhammer­artige und spannt den Zuschauer gut eine Stunde lang auf die Folter, bis der Aha-Effekt kurz vor Schluss alles erst verständli­ch macht. Trau deinen Sinnen nicht – und das ist es doch, was Theater ausmacht.

Es spielen mit: Max Storer, Emily Schwab, Benice Schnee, Lina Stahlmann, Merlin Seeling, Jasper Gerken, Hannah Hartmann. Weitere Vorstellun­g: 19. April (19 Uhr) im Alten Rathaus. Karten: Telefon 07361 / 522600 oder online unter www.reservix.de

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FOTO: THEATER AALEN Ist Daniel nun Thomas? Und ist er der Freund von Betty? Oder doch ihr Bruder? Mit Juli Zehs „203“hat sich der Extraclub des Aalener Stadttheat­ers schwierige­n Stoff vorgenomme­n.

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