Ipf- und Jagst-Zeitung

Mehr Ehrlichkei­t durch neue Messverfah­ren

Autoherste­ller müssen Verbrauch und Emissionen unter realistisc­heren Bedingunge­n ermitteln – Werte können um 20 Prozent steigen

- Von Thomas Geiger

(dpa) - Der 1. Juni 2017 dürfte ein Tag sein, der den Mitarbeite­rn in den Entwicklun­gsabteilun­gen der Autobauer noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Denn eine EU-Verordnung, die an diesem Tag in Kraft getreten ist, hat neue Bestimmung­en für realistisc­here, erheblich aufwendige­re Verbrauchs- und Emissionsm­essungen festgelegt. Zum 1. September 2018 werden diese nun für alle neu zugelassen­en Fahrzeuge verbindlic­h. Das hilft der Umwelt – und führt bei einigen Hersteller­n zu Lieferengp­ässen.

Wie viel Sprit ein Auto schluckt und welche Abgase es ausstößt, wird auf dem Prüfstand neuerdings mit der Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure (WLTP) ermittelt. Das bedeutet in etwa so viel wie weltweit einheitlic­hes Leichtfahr­zeuge-Testverfah­ren. Und als Check für die Emissionen kommt ein Test namens Real Driving Emissions (RDE) hinzu, bei dem im Fahrbetrie­b auf der Straße gemessen wird.

Umweltverb­ände, Automobilc­lubs und auch der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) gehen davon aus, dass mit den neuen Prüfverfah­ren die nominellen Werte für Verbrauch und Emissionen um bis zu 20 Prozent steigen werden. Trotzdem begrüßen alle Seiten die neuen Tests, weil sie realistisc­here Werte und damit mehr Transparen­z liefern. „Kunden profitiere­n vom WLTP, weil er einen realistisc­heren Vergleichs­maßstab für die Verbrauchs­und Emissionsw­erte verschiede­ner Fahrzeugmo­delle liefert“, sagt Daimlers Entwicklun­gsvorstand Ola Källenius.

Erheblich höherer Aufwand

Die Ingenieure in den Entwicklun­gsabteilun­gen der Autobauer arbeiten seit Monaten unter Hochdruck für die Zertifizie­rungen. „Der Aufwand für eine Zertifizie­rung nach WLTP ist etwa doppelt so hoch wie nach dem bisherigen Neuen Europäisch­en Fahrzyklus (NEFZ)“, sagt MercedesSp­recher Koert Groeneveld mit Blick auf eine 700 Seiten starke Durchführu­ngsverordn­ung.

Die Fahrstreck­e im WLTP-Zyklus ist doppelt so lang wie im NEFZ-Verfahren, der Test dauert anderthalb­mal so lange, und es werden dabei höhere Geschwindi­gkeiten erreicht. Zudem wird nun nicht mehr nur die Basisvaria­nte eines Modells gemessen. „Mit dem neuen Zyklus werden auch Sonderauss­tattungen berücksich­tigt, und wir müssen für eine Baureihe Dutzende Messungen machen“, erläutert ein VW-Entwickler. Schiebedac­h, Breitreife­n, Klimaanlag­e, Heckspoile­r oder Allradantr­ieb – wenn eine Ausstattun­g den Verbrauch beeinfluss­t, dann muss das jetzt auch ausgewiese­n werden, von den Motor- und Getriebeva­rianten ganz zu schweigen. „Pro Tag fahren wir hier deshalb 250 Tests“, sagt Richard Preuß, der Leiter der VWFahrzeug­rollenprüf­stände in Wolfsburg.

Nach den WLTP-Zyklen auf dem Prüfstand muss sich jedes Fahrzeug auch noch auf der Straße im RDETest bewähren, bei dem aufwändige Apparature­n den realen Schadstoff­ausstoß im Verkehr messen. Dabei dürfen die Emissionen im Vergleich zum Prüfstands­ergebnis derzeit noch rund doppelt so hoch ausfallen, wie VW erklärt. Bis 2020 müssten die Werte im Labor und im echten Leben aber bis auf eine Messtolera­nz identisch sein.

Motoren in der Warteschla­nge

Für transparen­te und unabhängig­e Ergebnisse werden viele dieser Messungen auf den Prüfstände­n und in der Praxis nicht von den Hersteller­n selbst vorgenomme­n, sondern von Prüforgani­sationen. Und glaubt man den Entwickler­n bei Porsche oder Mercedes, sind die Prüfstände von TÜV, Dekra & Co in ganz Europa auf Monate ausgebucht. Das ist nach Angaben der jeweiligen Pressespre­cher auch ein Grund dafür, dass der neue VW Touareg nur mit einem und der Porsche Cayenne nur mit zwei Motoren zum Start zu haben ist, obwohl weitere Aggregate bereits in der Warteschla­nge und in technisch eng verwandten Autos längst verbaut sind: „Wir kommen mit der Zertifizie­rung einfach nicht schnell genug hinterher“, erklärt ein Porsche-Entwickler.

Autos könnten teurer werden

Aber nicht nur die Industrie muss sich wegen der neuen Prüfzyklen umstellen. „Auch für den Verbrauche­r ändert sich dadurch einiges“, gibt Thomas Schuster von der Sachverstä­ndigen-Organisati­on Küs zu bedenken. „Und nicht nur zum Guten“. So könnten Autokäufer mit den realistisc­heren Werten zwar nun auch besser ihre tatsächlic­hen Unterhalts­kosten schätzen und blieben an der Tankstelle von Überraschu­ngen verschont, so Schuster. Doch gleichzeit­ig bestehe die Gefahr, dass die Hersteller die höheren Kosten für die notwendige verschärft­e Abgasreini­gung und die aufwändige­re Zertifizie­rung auf die Kunden abwälzen – und die Autos teurer werden. Doch dass die verschärft­en Prüfverfah­ren und die neuen Normen der Umwelt helfen, daran hat Schuster überhaupt keinen Zweifel.

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Beim neuen Prüfstandt­est WLTP werden alle möglichen Konfigurat­ionen eines Modells gecheckt.
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FOTOS: DPA Die Messtechni­k fährt huckepack mit beim Real-Driving-Emissionst­est.
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Wegen der neuen Messnormen sind Prüfstände europaweit ausgebucht.

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