Das hohe C der Rhôneweine
Hohe Weinbaukunst von Condrieu über Cornas und Châteauneuf bis in die Camargue
Caruso habe es nicht immer getroffen, kolportieren Berufsgenossen des Belcanto. Gioachino Rossini, Opernschöpfer und Leckermaul – die getrüffelten Tournedos verdanken ihm den Namen –, verglich es schalkhaft mit dem Schrei eines Masthahns, dem die Kehle entzweigeschnitten wird. Und Pavarotti konnte den Gradmesser tenoraler (Selbst-)Verzückung aufgereiht wie an einer Perlenschnur über die Rampe bringen. Aber die Musik kann auch im Glase spielen. Die geschätzte Aufmerksamkeit des Weinfreundes soll heute dem hohen C der Weinbaukunst entlang der Rhône gelten. Von Condrieu über Cornas und Châteauneuf du Pâpe bis in die Camargue, vorbei an CrozesHermitage und Cairanne – eine Perlenschnur von C-gestimmten Hochgewächsen. Domainen wie Chapoutier, Clape, Chave, Cuilleron oder Colombo bieten Kleinode wie Chapelle, Cailloux, Chevalier, Chante Alouette und Chaillets feil, Carignan-, Cinsault- und Clairette-Trauben setzen in der Partitur der Rhône-Weine neben Syrah, Grenache und Morvèdre (rot) sowie Viognier, Roussanne und Marsanne (weiß) die C-Akkorde.
Am großen Knie der Rhône, kurz nachdem die Autoroute du Sud von der westlichen auf die östliche Seite des Flusses gewechselt hat, beginnen bei Ampuis und Condrieu die schwindelerregend steilen Weinberge des im Wallis entspringenden Wasserlaufs, um ihn auf einer Distanz von etwa 250 Kilometern bis zu seinem Mündungsdelta mit einer Fülle außergewöhnlicher Gewächse zu begleiten und zu adeln. Überragende Syrah-Traube Der Côte Rôtie eröffnet den Reigen überragender Appellationen an der nördlichen Rhône, wo die SyrahTraube wie nirgendwo sonst all ihre überragenden Eigenschaften präsentiert. Geruchs- und Geschmacksnoten nach Veilchen, tiefblauen Beeren, Schwarzkirsche, Paprika und Pfeffer, aber auch Anklänge an GeWährend
räuchertes und animalische Töne sind charakteristisch für die markant körperhaften Vertreter der Spezies, die Jahrzehnte altern können. Dem Côte Rôtie dürfen bis zu 20 Prozent Viognier beigefügt werden, wovon unterschiedlich Gebrauch gemacht wird. Seit Dekaden geben die Domaine Guigal des Marcel und Sohn Phillippe Guigal sowie das Maison M. Chapoutier des Michel Chapoutier den Takt vor, aber auch die Domaines Levet und Georges Vernay sind um keinen Spitzenton verlegen.
Über Condrieu und Château Grillet wurde in der Folge „Rebsorten mit doppeltem Pass“berichtet (Georges Vernay, Yves Cuilleron, Guigal). Auch die divenhafte Viognier-Traube vermag in keinem anderen Anbaugebiet der Welt mehr zu überzeugen als hier.
Hoch über der Ortschaft Tainl‘Hermitage und der Rhône thront auf einem weinberankten Hügel eine kleine Kapelle. Nach seiner Rückkehr aus dem Albigenserkreuzzug, bei dem es im Zeichen christlicher Nächstenliebe galt, ketzerisch aufmüpfige Katharerdörfer einzuäschern und deren Bevölkerung niederzumetzeln, hatte sich der Chevalier Gaspard de Sterimberg hier als Eremit niedergelassen. Der Ritter gab dem Hügel und der Appellation Hermitage den Namen. La Chapelle heißt der Flaggschiffwein der Domaine Paul Jaboulet-Ainé aus 100 Prozent Syrah, dessen Jahrgang 1961 viele für den besten Rotwein aller Zeiten halten. Noble Eleganz und gebändigte Kraft geben einen einzigartigen Pas de deux, der nicht geheimnisvollen Eingriffen im Keller geschuldet ist, sondern den natürlichen, optimalen Voraussetzungen im Weinberg. Oft beinahe schwarz strömt er ins Glas, mit fleischig-muskulöser Struktur, markanter Brombeerfrucht, Anklängen an Rauchfleisch und Tabak, sowie prägnanter Mineralität. Einer der großen Weine dieser Welt. Aber auch M. Chapoutier, Jean Louis Chave oder Delas Frères liefern herausragende Hermitage-Kompositionen auf allerhöchstem Niveau. Den Namen des Ritters trägt auch der weiße Hermitage Chevalier de Sterimberg von Jaboulet-Ainé aus Roussanne und Marsanne-Trauben, der mit charakteristischer Feuersteinnote und großer Körperhaftigkeit aufwartet.
der Weinfreund für einen Côte Rôtie oder Hermitage tief in die Tasche greifen darf, sind ausgezeichnete Weine der Appellationen Crozes-Hermitage und St. Joseph (zwischen Tournon und Mauves) bezahlbar geblieben.
In Cornas (wenige Kilometer nordwestlich von Valence) führt kein Weg an dem vor wenigen Wochen 93-jährig verstorbenen Auguste Clape und seinen unbestechlichen, ungeschminkten und für eine kleine Ewigkeit ausgebauten Weinen vorbei. Sein Werk wird von der Familie fortgeführt. Cornas ist aber auch die Appellation der Senkrechtstarter. Mit spektakulären Weinen, die sich vor keinem um ein Vielfaches teureren Côte Rôtie oder Hermitage zu verstecken brauchen, warten Vincent Paris und die Domaine Durand auf – ein Tsunami des hohen C. Mustergültiger Cornas ist auch bei Jean Luc Colombo zu finden. Auf Granitund Kalksteinböden gedeihen an halsbrecherisch steilen Hängen tief violette bis schwarze Elixiere aus 100 Prozent Syrah-Trauben mit tiefer, dunkler Beerenfrucht, Anklängen an Sous-Bois, Valrhona-Bitterschokolade und einem festen Tanningerüst, die mit zunehmendem Flaschenalter zu edler Noblesse heranreifen. An der südlichen Rhône geben
Châteauneuf du Pâpe und Gigondas den Ton an. Führende Erzeuger wurden in den Folgen „Rebsorten mit doppeltem Pass“mit Château de Beaucastel, Château Rayas, Domaine de la Janasse in Courthezon, Clos des Pâpes und Les Cailloux (Châteauneuf), sowie „Frankreichs schönste Wein-Flecken“mit der Domaine Brusset (Gigondas) vorgestellt. Ihre von Grenache, Mourvèdre und Syrah dominierten Weine offenbaren Anklänge an Kirschen und Himbeeren, dazu die Kräuter der Garrigue, mitunter einen Hauch Nougat, Marzipan und Bittermandel.
Dramatische Qualitätssprünge
Frevelhaftem Unterlassen käme es gleich, für das am Fuße der malerischen Dentelles de Montmirail gelegene Gigondas die durch dramatische Qualitätssprünge für Furore sorgenden Domaines des Bosquets, La Bouissiere und Santa Duc und ihre betörenden Weine nicht zu erwähnen: Mit ihrer tief komplexen Fruchtigkeit, Tönen von wilden Feigen und Oliven und feiner Holznote fangen sie aus Châteauneuf manch beunruhigten Blick ein. Malheureusement – der dem Weinfreund abverlangte Obulus hält mit der wachsenden Qualität der Preziosen Schritt.
Zum versöhnlichen Tarif gibt es im nahen Rasteau bei den Domaines du Trapadis, deren roter Vin doux naturel Schokoladendesserts kongenial begleitet und La Soumade, in Cairanne bei der Domaine Alary oder in
Vacqueyras bei den Domaines Le Colombier und Montirius höchst verführerische Weine zu entdecken. Mit den Sandweinen der Camargue, den Vins des Sables, findet die Symphonie in C entlang der Rhône mit meist süffigem Rosé, der vor Ort am besten mundet, ihren Ausklang.