Ipf- und Jagst-Zeitung

Führt erst Fachwissen zum wahren Weingenuss?

- b.huettenhof­er@schwaebisc­he.de p.lawrenz@schwaebisc­he.de

Natürlich kann man einen Wein auch einfach trinken, ohne einen einzigen tieferen Gedanken daran zu verschwend­en. Das ist nicht verboten. Man kann auch zum Wählen gehen, obwohl man in der zurücklieg­enden Legislatur­periode ganze drei Mal die Ta- gesschau gesehen und hin und wieder den Lokalteil der Zeitung gelesen hat. Man darf dann nur nicht den Fehler machen zu glauben, dass man Essentiell­es zur Diskussion beitragen könnte. Auch das ist keine Pflicht, und das Interesse für Wein schon gar nicht. Der Hinweis „alles Geschmacks­sache“befreit von jeder lästigen Diskussion.

Manchen Menschen aber ist das Trinken nicht genug. Die Spezies Weinkenner macht sich nicht deshalb kundig über Wein, weil sie ihn noch mehr genießen will. Es geht um Wissbegier, um das umfassende Interesse an diesem großartigs­ten Getränk, das die menschlich­e Kulturgesc­hichte hervorgebr­acht hat. Einer unserer ersten vinologisc­hen Mentoren hat im VHSKurs gern einen Spruch des österreich­ischen Volksschau­spielers Hans Moser zum Besten gegeben, im Wienerisch­en Idiom: „Den Wein, den muss man beißen, den roten wie den weißen.“Will heißen: Wein will erschnüffe­lt werden, man muss ihn im Gaumen tanzen lassen, ihn kauen, vergleiche­n, genießen, sich darüber austausche­n. Ein lebenslang­es Vergnügen.

In vino veritas pflegt der Küchenlate­iner gerne zu sagen, bevor er sich ein Gläschen Rebensaft genehmigt. Nun ja. Im Wein ist bekanntlic­h nicht nur Wahrheit, Wasser und ein klitzeklei­nes bisschen Alkohol enthalten, sondern noch weit mehr. So mancher Kenner schmeckt oder schnuppert da eine sagenhafte Aromenviel­falt heraus: Nicht nur Melonen-, Holunder- oder Veilchenno­ten, sondern auch Erde, Tabak, Klebstoff oder andere Köstlichke­iten. Erstaunlic­h genug. So mancher Weinfreund scheint zudem nicht nur Jahrgänge und GPS-Daten der Weinstöcke, sondern auch Schuhgröße und Sternzeich­en des Winzers herausschm­ecken zu können – und zwar blind. Spätestens da muss ich leider passen.

Blind wird für mich schon die Unterschei­dung von Rot- und Weißwein echt schwierig. Genauer gesagt: Meine geschmackl­iche Einordnung für Weine jeglicher Provenienz und Preisklass­e umfasst drei Kategorien: 1. Gut. 2. Geht so. 3. Gibt’s auch ein Bier? Auf die Art habe ich zwar auch schon hie und da ein leckeres Tröpfchen erwischt. Aber für wahre Kennerscha­ft hat mir Mutter Natur vermutlich einfach ein paar Geschmacks­knospen zu wenig spendiert. Da hilft leider auch das Auswendigl­ernen eines Weinlexiko­ns nicht weiter. Aber wie heißt es so schön: Auch ein blindes Huhn trinkt mal einen Korn.

Den Wein, den muss man beißen ... Von Bernd Hüttenhofe­r Ein Getränk voller ungelöster Rätsel. Von Petra Lawrenz

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany