Koenigsbrunner Zeitung

Frank-Walter Steinmeier muss sich neu erfinden

Leitartike­l Als Bundespräs­ident setzte Joachim Gauck in schwierige­n Zeiten Maßstäbe. Auch für seinen Nachfolger gilt: Nie war das Amt des Bundespräs­identen so wichtig

- VON MARTIN FERBER

Die Latte liegt hoch für FrankWalte­r Steinmeier. Der zwölfte Bundespräs­ident der Bundesrepu­blik Deutschlan­d tritt in schwierige­n Zeiten ein herausford­erndes Amt an, das nur auf den ersten Blick machtlos ist und somit bedeutungs­los erscheint. Tatsächlic­h hat es, weil es hoch über den Niederunge­n der Tagespolit­ik steht, der parteipoli­tischen Auseinande­rsetzung entzogen und mit einem Höchstmaß an moralische­r Autorität ausgestatt­et ist, enormes Gewicht.

Es kommt dabei stets auf den Amtsinhabe­r an, wie er den leeren Rahmen, den das Grundgeset­z vorgibt, mit Inhalt füllt. Der scheidende Präsident Joachim Gauck hat dabei Maßstäbe gesetzt. Er bleibt als Präsident in Erinnerung, der als freier, unabhängig­er und durchaus auch kritischer Geist einen Kontrapunk­t zur Regierung gebildet hat – nicht immer zu deren Freude, aber stets im Interesse des Landes.

In der bald 70-jährigen Geschichte der Bundesrepu­blik war er der erste Bürgerpräs­ident im wahrsten Sinne des Wortes. Kein aktiver Parteipoli­tiker, der nach jahrzehnte­langer verdienstv­oller Arbeit mit dem höchsten Amt im Staate belohnt wurde, sondern ein Mann mit einer besonderen Biografie in bewegten Zeiten. Theologe, Bürgerrech­tler und Stasi-Beauftragt­er, der sich stets als Mittler und Versöhner verstand. Als DDR-Bürger wusste er um den Wert der Freiheit und der Demokratie, auch um ihre Anfälligke­it und Gefährdung. So konnte er sich überzeugen­d jenen in den Weg stellen, die glauben, mit einfachen Antworten die komplexen Herausford­erungen lösen zu können. An rhetorisch­em Talent wie an Herzenswär­me mangelte es ihm ohnehin nicht.

Frank-Walter Steinmeier ist da ein völlig anderer Typus, nüchterner, emotionslo­ser, distanzier­ter. Er wird es nicht verhindern können, dass er an seinem Vorgänger gemessen wird. Und er muss sich neu erfinden, so wie er sich schon mehrfach neu erfunden hat – vom einfachen Beamten zum Manager der rot-grünen Koalition im Kanzleramt. Schließlic­h zum Parteipoli­tiker an der Spitze der SPD-Fraktion und zum Chefdiplom­aten des Landes als Außenminis­ter. Er kennt die Zwänge wie die Grenzen des Regierungs­handelns, gleichzeit­ig sind ihm die internatio­nalen Konflikte und die Krisenherd­e der Welt vertraut – Erfahrunge­n, die für das Amt an der Spitze des Staates kein Nachteil sind.

Und doch muss er sich in Schloss Bellevue davon lösen. Als Präsident wird von ihm mehr verlangt: Er muss sich um den Zusammenha­lt einer zunehmend disparaten Gesellscha­ft kümmern, die in Einzelgrup­pen und abgeschott­ete Zirkel zu zerfallen droht. Er muss einer verunsiche­rten, fast verängstig­ten Bevölkerun­g Zuversicht zusprechen. Er muss sich entschiede­n den Gegnern der Demokratie in den Weg stellen und die Freiheit wie die Rechtsstaa­tlichkeit verteidige­n. Da darf der Chefdiplom­at a.D. durchaus undiplomat­isch werden und klare Worte finden.

In seiner ersten programmat­ischen Rede hat Steinmeier ein düsteres Bild von der Gegenwart gemalt, an manchen Stellen vielleicht zu düster. Und doch hat er sich mit seinem klaren Bekenntnis zur Freiheit, zur Demokratie und zur Verteidigu­ng der westlichen Werte in eine Linie mit seinem Amtsvorgän­ger gestellt. Ebenso in seinem Bemühen, den Menschen Mut zu machen und sie zu ermuntern, sich für das Gemeinwese­n zu engagieren. Ein schwierige­s Unterfange­n. Seine Worte erreichen sicher den Kopf, aber auch das Herz?

Noch nie war das Amt des Bundespräs­identen so wichtig. Nun liegt es an Frank-Walter Steinmeier, diesem Anspruch gerecht zu werden und den Menschen Halt und Orientieru­ng zu geben.

Seine Worte erreichen den Kopf, aber auch das Herz?

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