Comic Figuren, die die Musikwelt aufmischten
Zu Beginn des Jahrtausends waren die Gorillaz bahnbrechend. Jetzt gibt’s Neues – und eine Pop-Sensation
Es war gleich eine doppelte Sensation – eine an der Oberfläche des PopZirkus, eine in der Tiefe der Musik.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends nämlich traten die Gorillaz in die Welt, eine fiktive Band, bestehend aus vier stark gezeichneten, charakterlich aber schlicht stereotypen Comicfiguren: hünenhafter Gangster mit Stil, flippige Asiatin, Altrocker und Punk. Von denen man nicht so genau wissen konnte, wer dahinterstecken sollte. Jeder, der Ohren hatte, musste aber erkennen, dass da eine hinreißend moderne Mischung aus Pop, Rock, HipHop und Elektro wahre Hits lieferte. Den lässigen Partysong „Clint Eastwood“zum Beispiel, bei dem höchstens die Stimme zuzuordnen war: Das war doch Damon Albarn, britischer Superstar seit seiner Zeit als Frontmann der Gruppe Blur!
Später, da hatten die Gorillaz bereits ihr zweites Album auf dem Markt und mit all den klug zwischen Melancholie und Tanzlaune changierenden Songs auf „Demon Days“gleich mehrere Höhepunkte gesetzt, später gab’s die Aufklärung. 1998 waren tatsächlich Damon Albarn und der unter anderem durch den Comic „Tank Girl“bekannt gewordene Zeichner Jamie Hewlett in einer Londoner Wohngemeinschaft vor dem Fernseher versumpft und hatten sich dabei über die absolute Substanzlosigkeit all der typischen Stars des Musikfernsehen MTV ausgelassen. Zu dieser bloßen Oberfläche sollte die Cartoon-Band dann eben wie ein Kommentar wirken.
In der Tiefe der Musik aber versammelten sich Künstler verschiedenster Richtungen: Rapper von De La Soul und Del Tha Funkee Homosaphien, Snoop Dogg, Sänger wie der Kubaner Ibrahim Ferrer, die Schwedin Neneh Cherry und die US-Legenden Lou Reed und Bobby Womack. Dazu auch mal ein Kinderchor und Streicher, Musiker der britischen Helden-Band The Clash. Das brachte Millionen-Verkäufe. Und Konzerte gab’s auch! Nicht weniger wegweisend. 2005 – und damit Jahre, bevor etwa in Japan das reine Computer-Hologramm Hatsune Miku zum Popstar wurde – traten die Gorillaz ausgerechnet bei den großen MTV Awards als in drei Dimensionen animierte CartoonWesen auf. Bei später folgenden Touren standen nur die jeweiligen Gäste im Bühnenlicht, auf großen Bildschirmen liefen Comic-Filme, die Band war nur als Schattenriss hinter Sichtschutzschirmen zu sehen. Bis 2010 dann alle Geheimnisse enträtselt waren und nach dem noch mal starken dritten Album „Plastic Beach“mit dem Schnellschuss „The Fall“ein eher schwacher Schlusspunkt folgte. Die tolle Gorillaz-Idee wirkte auserzählt …
Und doch ist nun mit „Humanz“das Comeback zu vermelden. Es ist mehr als ein Musik-Album, weil angereichert durch multimediale Spielereien. So kann man neben obligatorischen Videofilmen etwa die vier Figuren wie jene von „Pokémon Go“per App durchs Handy in die eigene Lebenswelt importieren. Die Diva Grace Jones ist dabei, SoulStar Mavis Staples, Rapper Vince Staples, wieder De La Soul… – und eine echte Pop-Sensation. Denn zum Schluss tritt auch noch Noel Gallagher auf, einer der beiden Oasis-Brüder und damit eigentlich Erzfeind von Ex-Blur-Kopf Damon Albarn. Ein Friedensschluss, noch unerwarteter als das Album, ausgerechnet in einer Weltversöhnungshymne: „We’ve Got the Power (to be loving each other)“. Seufz! Wo Albarn doch sonst eher vom drohenden Niedergang der Welt singt…
Und in der Tiefe, die Musik? Es ist offenkundig, worum es Albarn, der in den vergangenen Jahren ja zudem an einem Blur-Revival, zwei Pop-Opern und dem fulminanten Jazz-Rock-Projekt The Good, The Bad & The Queen gearbeitet hat, mit den Gorillaz geht: Er schafft Hybride aus den Sounds der Gegenwart und seiner Pop-Melancholie. Das Ergebnis ist darum diesmal sehr dance-lastig: House in „Andromeda“und „Strobelite“, Elektro in „Ascension“, Ambient in „Busted and Blue“. Und, nun ja: ganz gut? Bahnbrechend jedenfalls nicht mehr. Bloß noch nett. Und damit eigentlich überflüssig. Comic-Figuren altern zwar nicht; Ideen können sich aber überholt haben.