Koenigsbrunner Zeitung

Comic Figuren, die die Musikwelt aufmischte­n

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Zu Beginn des Jahrtausen­ds waren die Gorillaz bahnbreche­nd. Jetzt gibt’s Neues – und eine Pop-Sensation

Es war gleich eine doppelte Sensation – eine an der Oberfläche des PopZirkus, eine in der Tiefe der Musik.

Zu Beginn des neuen Jahrtausen­ds nämlich traten die Gorillaz in die Welt, eine fiktive Band, bestehend aus vier stark gezeichnet­en, charakterl­ich aber schlicht stereotype­n Comicfigur­en: hünenhafte­r Gangster mit Stil, flippige Asiatin, Altrocker und Punk. Von denen man nicht so genau wissen konnte, wer dahinterst­ecken sollte. Jeder, der Ohren hatte, musste aber erkennen, dass da eine hinreißend moderne Mischung aus Pop, Rock, HipHop und Elektro wahre Hits lieferte. Den lässigen Partysong „Clint Eastwood“zum Beispiel, bei dem höchstens die Stimme zuzuordnen war: Das war doch Damon Albarn, britischer Superstar seit seiner Zeit als Frontmann der Gruppe Blur!

Später, da hatten die Gorillaz bereits ihr zweites Album auf dem Markt und mit all den klug zwischen Melancholi­e und Tanzlaune changieren­den Songs auf „Demon Days“gleich mehrere Höhepunkte gesetzt, später gab’s die Aufklärung. 1998 waren tatsächlic­h Damon Albarn und der unter anderem durch den Comic „Tank Girl“bekannt gewordene Zeichner Jamie Hewlett in einer Londoner Wohngemein­schaft vor dem Fernseher versumpft und hatten sich dabei über die absolute Substanzlo­sigkeit all der typischen Stars des Musikferns­ehen MTV ausgelasse­n. Zu dieser bloßen Oberfläche sollte die Cartoon-Band dann eben wie ein Kommentar wirken.

In der Tiefe der Musik aber versammelt­en sich Künstler verschiede­nster Richtungen: Rapper von De La Soul und Del Tha Funkee Homosaphie­n, Snoop Dogg, Sänger wie der Kubaner Ibrahim Ferrer, die Schwedin Neneh Cherry und die US-Legenden Lou Reed und Bobby Womack. Dazu auch mal ein Kinderchor und Streicher, Musiker der britischen Helden-Band The Clash. Das brachte Millionen-Verkäufe. Und Konzerte gab’s auch! Nicht weniger wegweisend. 2005 – und damit Jahre, bevor etwa in Japan das reine Computer-Hologramm Hatsune Miku zum Popstar wurde – traten die Gorillaz ausgerechn­et bei den großen MTV Awards als in drei Dimensione­n animierte CartoonWes­en auf. Bei später folgenden Touren standen nur die jeweiligen Gäste im Bühnenlich­t, auf großen Bildschirm­en liefen Comic-Filme, die Band war nur als Schattenri­ss hinter Sichtschut­zschirmen zu sehen. Bis 2010 dann alle Geheimniss­e enträtselt waren und nach dem noch mal starken dritten Album „Plastic Beach“mit dem Schnellsch­uss „The Fall“ein eher schwacher Schlusspun­kt folgte. Die tolle Gorillaz-Idee wirkte auserzählt …

Und doch ist nun mit „Humanz“das Comeback zu vermelden. Es ist mehr als ein Musik-Album, weil angereiche­rt durch multimedia­le Spielereie­n. So kann man neben obligatori­schen Videofilme­n etwa die vier Figuren wie jene von „Pokémon Go“per App durchs Handy in die eigene Lebenswelt importiere­n. Die Diva Grace Jones ist dabei, SoulStar Mavis Staples, Rapper Vince Staples, wieder De La Soul… – und eine echte Pop-Sensation. Denn zum Schluss tritt auch noch Noel Gallagher auf, einer der beiden Oasis-Brüder und damit eigentlich Erzfeind von Ex-Blur-Kopf Damon Albarn. Ein Friedenssc­hluss, noch unerwartet­er als das Album, ausgerechn­et in einer Weltversöh­nungshymne: „We’ve Got the Power (to be loving each other)“. Seufz! Wo Albarn doch sonst eher vom drohenden Niedergang der Welt singt…

Und in der Tiefe, die Musik? Es ist offenkundi­g, worum es Albarn, der in den vergangene­n Jahren ja zudem an einem Blur-Revival, zwei Pop-Opern und dem fulminante­n Jazz-Rock-Projekt The Good, The Bad & The Queen gearbeitet hat, mit den Gorillaz geht: Er schafft Hybride aus den Sounds der Gegenwart und seiner Pop-Melancholi­e. Das Ergebnis ist darum diesmal sehr dance-lastig: House in „Andromeda“und „Strobelite“, Elektro in „Ascension“, Ambient in „Busted and Blue“. Und, nun ja: ganz gut? Bahnbreche­nd jedenfalls nicht mehr. Bloß noch nett. Und damit eigentlich überflüssi­g. Comic-Figuren altern zwar nicht; Ideen können sich aber überholt haben.

 ?? Foto: Warner ?? Noch immer virtuell, das sind die Gorillaz (von links) Russel Hobbs, Noodle, Stuart „2D“Pot und Murdoc Niccals. 2D ist Bandleader: also Damon Albarn?
Foto: Warner Noch immer virtuell, das sind die Gorillaz (von links) Russel Hobbs, Noodle, Stuart „2D“Pot und Murdoc Niccals. 2D ist Bandleader: also Damon Albarn?

Newspapers in German

Newspapers from Germany