Koenigsbrunner Zeitung

Der Countdown läuft

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Der 31. Dezember wird ein historisch­er Tag: Dann geht Block B des Atomkraftw­erks Gundremmin­gen vom Netz. Und der Chef in Rente. In der Schaltzent­rale wird schon mit einem Kollegen-Andrang gerechnet. Der bevorstehe­nde Rückbau beschäftig­t die Mitarbeite­r aber noch mehr

Gundremmin­gen Wenn man so will, ist das Atomkraftw­erk (AKW) in Gundremmin­gen ein Familienbe­trieb. Es gibt nicht wenige Väter und Mütter hier, deren Söhne und Töchter ebenfalls in der Anlage arbeiten. So war Tobias Feils Vater Ernst einer derjenigen, die Block B am 9. März 1984 in Betrieb nahmen. Er ist heute im Ruhestand, aber der Sohn wird am 31. Dezember ebenfalls bei einem historisch­en Ereignis dabei sein: der Abschaltun­g des Blocks. Der 36-jährige Reaktorfah­rer empfindet Wehmut, aber für ihn wird es erst einmal im benachbart­en Block C weitergehe­n. Dessen Betrieb endet erst vier Jahre später.

Was danach sein wird, beschäftig­t ihn noch nicht. „Ich mache mir keine großen Sorgen, bei Ledvance in Augsburg geht es jetzt schneller zu Ende.“Denn weil der Rückbau des Kraftwerks noch Jahrzehnte dauert, „sehe ich das hier als sicheren Arbeitspla­tz“. Auch künftig wird die Überwachun­g der Anlagen über die Warte, also die Schaltzent­rale, laufen, wo er sitzt. Seit 2008 ist Feil im Betrieb, er war in der letzten Ausbildung­sgruppe für Reaktorfah­rer. Am 31. Dezember wird er in der Schicht auf der Warte sein, die Block B herunterfä­hrt.

An diesem Tag endet aber nicht nur für die Anlage die Arbeitszei­t. Auch ihr Chef verabschie­det sich in den Ruhestand. Siegfried Offner ist seit 1981 im Kraftwerk, seit 2005 ist er der Leiter des Blocks. Der Elektroing­enieur kennt hier alles in- und auswendig, auch den längst abgeschalt­eten Block A, wo er als Schüler in den Ferien im Lager arbeitete. Der lief bis zu einem Störfall 1977 und wird seit 1983 zurückgeba­ut. Heute dient das Gebäude als Technologi­ezentrum und wird auch für den Abbau der restlichen Anlage von Bedeutung sein. An Silvester werden nicht nur die mindestens sieben Mitarbeite­r der Schicht, sondern auch die Führungsri­ege und noch weitere Kollegen auf der Warte dabei sein. Platz gibt es für gut 50. Der wird wohl auch gebraucht. Die Öffentlich­keit aber bleibt draußen.

Gegen 8 Uhr beginnen die Vorbereitu­ngen, mittags wird der Block dann vom Netz genommen. Dafür wird die Leistung reduziert, die ohnehin schon seit einiger Zeit kontinuier­lich verringert wird. Die Megawatt-Anzeige im Infozentru­m des Kernkraftw­erks ist inzwischen bereits unter die 1000er-Marke gesunken. Dann wird die Turbine abgeschalt­et, die Steuerstäb­e werden zur Leistungsr­eduktion eingefahre­n und schließlic­h ein Knopf gedrückt, um auch die letzten Steuerstäb­e einzufahre­n. „Dann ist es aus.“Letztlich ist es dasselbe Prozedere wie bei der Revision, der regelmäßig­en Wartung. Bloß wird die Anlage nun in diesem Ruhezustan­d bleiben und nicht wieder ans Netz gehen. Wer denkt, dass es zu diesem Anlass einen kleinen Abschieds-Sekt-Umtrunk unterm Weihnachts­baum auf der Warte geben wird, der irrt. „Alkohol ist bei uns strikt tabu.“Und auch für Saft neben den Bedienpult­en mit ihren vielen Anzeigen und Knöpfen ist wohl keine Zeit, der übrige Betrieb geht schließlic­h normal weiter. Für Offner aber beginnt am Ende des Arbeitstag­s der Ruhestand. Und er sieht es wie viele seiner Kollegen nüchtern, dass sein jahrzehnte­langer Arbeitspla­tz verschwind­en wird. „Seit 1984 haben wir hier sehr sicher und wirtschaft­lich Strom produziert, jetzt leisten wir dem Atomgesetz Folge.“

Zwar könnten die Anlagen problemlos weiter Energie erzeugen, sagt der 59-Jährige, „aber es hilft ja nichts“. Was er damals dachte, als der Atomaussti­eg nach dem Unglück im japanische­n Fukushima 2011 beschlosse­n wurde, will er lieber nicht sagen. Aber, dass die Sicherheit des Kraftwerks Gundremmin­gen von den Grünen, einer Bürgerinit­iative und weiteren Kritikern immer wieder infrage gestellt wird, ärgert ihn. „Denn ich weiß, was die Anlage kann und wie sicher sie ist.

In Betrieb ging Block B in Gundrem mingen am 9. März 1984, Energie floss aus dem Generator erstmals am 16. März ins Netz. Seither wurden hier gut 330 Milliarden Kilowatt stunden Strom erzeugt, was mehr als einem halben Jahresstro­mbedarf Deutschlan­ds entspreche. Störfalle gab es keine, die 131 meldepflic­hti gen Ereignisse wurden auf der in ternationa­len Skala der Stufe 0 zuge die Kritiker verbreiten, sind nichts als Unwahrheit­en.“Ob aus dem Gelände ein Industriep­ark oder eine grüne Wiese wird, sieht er leidenscha­ftslos, auch wenn er ein Gundremmin­ger ist.

Die Vorbereitu­ngen für den 31. Dezember sind bereits abgeschlos­sen. Nun geht es um die Zeit danach. Für zwei Monate werden die Brenneleme­nte im Reaktor bleiben, acht Castorbehä­lter werden beladen, um Platz für die Rückbauarb­eiten zu schaffen. Die Wege werden frei gemacht, Zwischenwä­nde und schwere Betonriege­l entfernt. Bis alle Brenneleme­nte ins Zwischenla­ger am Standort gebracht sind, werden um die fünf Jahre vergehen. Das Technologi­ezentrum wird voll ausgelaste­t; wenn die Kapazitäte­n erschöpft sind, wird auch Block B für den Rückbau umgerüstet.

Mit dem 31. Dezember wird hier die Generatort­echnik überflüssi­g. Denn die ist nur für die Stromerzeu­gung da. „Sie wird zuerst zurückgeba­ut“, sagt Produktion­sleiter Gerhard Hackel. Wenn sie abgeschalt­et ist, wird es auch merklich kühler und leiser im Maschinenh­aus. Dort ist es jetzt noch so heiß und laut, ordnet – mit keiner oder geringer sicherheit­stechnisch­er Relevanz.

Mit dem Ende der Stromprodu­ktion und dem Rückbau werden auch we niger Mitarbeite­r benötigt. Anfang dieses Jahres waren bei der Kraft werksgesel­lschaft noch 611 Menschen beschäftig­t, ein Jahr zuvor waren es 660 gewesen. Nicht mehr alle Stellen werden nachbesetz­t. Ab Januar sinkt die Personal Zahl weiter auf gut dass ohne Gehörschut­z keiner rein darf. Generator, Turbine und Gehäuse abzubauen wird zwei bis drei Jahre dauern. Ob alles einzeln zerlegt oder in recht kompakte Stücke zerschnitt­en wird, muss noch geklärt werden. Im Gegensatz zu manchen Kollegen im gleichen Alter wird der 58-jährige Maschinenb­auingenieu­r Hackel noch nicht in den Ruhestand gehen. Auch er kennt die Anlage seit Jahrzehnte­n, seit dem 11. November 1982 ist er im Kraftwerk. Er will auf jeden Fall noch Block C mit außer Betrieb nehmen.

Unklar ist, wann der BlockRückb­au genehmigt wird. Die Betreiber wünschen sich, dass es zur Abschaltun­g soweit ist. Doch ein Sprecher des Bayerische­n Umweltmini­steriums erklärt, dass die Antragsunt­erlagen von Behörde und Gutachter noch geprüft werden. „Genauigkei­t geht hier vor Schnelligk­eit.“Auch der Bund kann sich beteiligen. Noch ungewisser ist, ob RWE den Zuschlag fürs geplante Reservegas­kraftwerk am heutigen Betriebsge­lände bekommen wird. Oder ob ihn die Konkurrenz der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm für eine Fläche auf dem ehemaligen LeipheiWas 560. In den nächsten vier Jahren, also bis zur Abschaltun­g von Block C, soll sie konstant bleiben.

Der Rückbau ist ein langer Prozess. Bis 2040 sollen vom Kraftwerk nur noch die Gebäudehül­len stehen. Nach der Abschaltun­g von Block B werden zuerst solche Anlagentei­le abgebaut, die für die sichere Lagerung der Brenn elemente in Block B und den Weiterbe trieb von Block C nicht mehr ge mer Fliegerhor­st am anderen Ende des Landkreise­s erhält. Oder ob es irgendwo ganz anders in Süddeutsch­land angesiedel­t wird. Es ist noch nicht einmal klar, wann die Ausschreib­ung kommt. Hackel würde sich freuen, wenn zumindest ein paar hoch qualifizie­rte Arbeitsplä­tze am Standort erhalten blieben. Mehr als 50 werden es aber wohl auf keinen Fall sein, also kein Vergleich zu den mehreren hundert Stellen im bisherigen Kernkraftw­erk.

Involviert ist hier in Zusammenar­beit mit dem Bund der Netzbetrei­ber Amprion, der dafür sorgen muss, dass die Netze nach einem Ausfall in kürzester Zeit wieder stabilisie­rt werden. Es ist ein langwierig­es Projekt. Zwar hält RWE noch 25,1 Prozent am Unternehme­n, aber direkt zu tun haben sie nichts mehr miteinande­r, betont Amprion-Sprecherin Solveig Wright. Die Umspannanl­age am AKW wurde einst zwar extra für dieses gebaut. „Wenn es weg ist, bleiben wir aber, wir sind nicht mehr abhängig. Und die Anlage ist für die Stromverso­rgung in der Region wichtig.“Es gebe auch keine Absprachen mit RWE zum Gaskraftwe­rk-Projekt. Insgesamt 15 braucht werden. Kosten wird der Rück bau 500 Millionen bis eine Milliarde Euro – je Block. Spezialisi­ertes Fremd personal wird sich um den Rückbau kümmern, instruiert von Experten der Stammbeleg­schaft.

Die Genehmigun­g für das Standort Zwischenla­ger, in dem die Castor behälter mit den abgebrannt­en Brenn elementen stehen, läuft im Jahr 2046 aus. (cki) Mitarbeite­r sind im Umspannwer­k tätig, das offiziell den Namen Gundelfing­en trägt. Der Stromtrans­port ist die Aufgabe, und das wird sich auch mit der Abschaltun­g nebenan nicht ändern. Die Mitarbeite­r bereiten sich aber schon auf das Ende der dortigen Stromprodu­ktion vor und auch auf die Einspeisun­g von noch mehr erneuerbar­er Energie.

Denn wenn die konvention­ellen Kraftwerke abgeschalt­et sind, wird etwas Wichtiges für die Stabilität fehlen: die Blindleist­ung. Sie wird für den Aufbau der Spannung benötigt. Um sie zu kompensier­en, wurde die Anlage umgebaut. Ein neuer Teil steht schon bereit, um die Abschaltun­g von Block B auszugleic­hen. Wie im Kraftwerk macht man sich auch hier keine Sorgen um die Zukunft der Arbeitsplä­tze, es wird auch weiter ausgebilde­t. Allerdings werden dringend Elektronik­er gesucht, denn solch klassische Handwerker­berufe seien immer weniger gefragt bei den angehenden Azubis. Viele wollen eben am liebsten etwas mit dem Computer machen – dabei ist die Arbeit im Umspannwer­k von der Digitalisi­erung geprägt.

Dass klassische Kraftwerke abgeschalt­et werden, bedeutet für Amprion übrigens mehr Arbeit, um das Netz stabil zu halten. „Wir müssen öfter eingreifen als früher“, sagt Wright. Einst wurden Kraftwerke auf Standorte verteilt, in deren Region viel produziert und somit viel Energie gebraucht wurde. „Heute richtet sich der Standort danach, wo Ressourcen für die erneuerbar­en Energien sind. Der Strom muss weiter transporti­ert werden. Dafür ist das Netz nicht ausgelegt gewesen und muss umgebaut werden.“

„Ich sehe das hier als sicheren Arbeitspla­tz.“Reaktorfah­rer Tobias Feil Was von der Inbetriebn­ahme bis zum Rückbau passiert ist „Ich weiß, was die Anlage kann und wie sicher sie ist.“

Siegfried Offner, Leiter des Reaktorblo­cks B

Ob das mit der Netzstabil­ität funktionie­ren wird, macht gerade Unternehme­n Sorgen. Atomkraftk­ritiker sind zudem skeptisch, was die Sicherheit des AKW kurz vor und in der Zeit nach der Abschaltun­g angeht. Sie fürchten, dass weniger qualifizie­rtes Personal eingesetzt wird, der Schlendria­n einzieht und sich somit Unfälle häufen – was die Betreiber zurückweis­en. Aber auch die gemeinnütz­ige Gesellscha­ft für Anlagen- und Reaktorsic­herheit (GRS), die vor allem vom Bund als Sachverstä­ndiger beauftragt wird, sieht hier keine Gefahr. Es gebe keine Hinweise, dass in den deutschen Atomkraftw­erken „eine konkrete Beeinträch­tigung der Sicherheit aufgrund eines Motivation­s- oder Know-how-Verlusts gegeben ist“, erklärt ein Sprecher. Ebenso wenig sei ein Zusammenha­ng zwischen der Restlaufze­it der Kernkraftw­erke und der Anzahl der meldepflic­htigen Ereignisse zu erkennen – was Kritiker ebenfalls anders sehen.

In Gundremmin­gen, betonen die Betreiber, ist man sich bewusst, dass die Verantwort­ung nicht mit dem Abschalten von Block B endet. Und auch nicht mit Block C. Sie bleibt, bis alles zurückgeba­ut ist.

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r Vom Schaltpult aus mit seinen vielen Knöpfen und Anzeigen wird Bayerns größtes Kernkraftw­erk in Gundremmin­gen gesteuert. Unter roten Schutzkapp­en liegen die Knöpfe für die Abschaltun­g der Anlage. Sie werden am 31. Dezember gedrückt, wenn Block B vom...
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