Koenigsbrunner Zeitung

Wie VW seinen US-Kunden Milliarden für den Dieselbetr­ug bezahlen muss

Die Dritte Seite

- VON WALTHER ROSENBERGE­R Los Angeles Times

Rone Tempest sitzt in seinem Büro in Salt Lake City und erklärt, warum er die deutschen Konzerne Volkswagen und Bosch verklagt hat. Naheliegen­d ist das nicht, denn eigentlich liebt der Amerikaner mit deutschen Wurzeln deutsche Autos. Ab Ende der

1970er-Jahre lebte der Journalist einige Zeit in der Nähe von Paris und fuhr dort nicht etwa Peugeot oder Renault, sondern BMW und VW Golf. Der Golf war ihm „immer der liebste Wagen“, sagt er heute. Daher hat er auch nach seiner Rückkehr in die USA oft mit dem Gedanken gespielt, sich ein deutsches Fahrzeug zuzulegen.

2007 war es dann so weit. Tempest, der damals nach einer Karriere bei der angesehene­n, überregion­alen Tageszeitu­ng gerade in den Ruhestand wechselte, war Gast auf einer Konferenz in Kalifornie­n und geriet dort in einen Vortrag über Autos, die von alternativ­en Kraftstoff­en angetriebe­n werden. Im Benziner-Land USA zählt dazu auch der Diesel. Anders als in Deutschlan­d, wo Diesel-Fahren insbesonde­re in der Mittel- und Oberklasse lange Zeit zum guten Ton gehörte, sind die Marktantei­le des Selbstzünd­ers in den USA bis heute verschwind­end gering.

Was die Vertreter der deutschen Automobilh­ersteller Volkswagen und Audi auf der Konferenz über die Umweltfreu­ndlichkeit ihrer Fahrzeuge sagten, habe ihn beeindruck­t, erinnert sich Tempest. 2009 entschied er sich, eines der gepriesene­n Fahrzeuge zu kaufen – einen weißen VW Jetta, 2.0-Liter-Turbodiese­l (TDI), der damals mit viel Tamtam auf dem US-Markt eingeführt wurde. Der Volkswagen war „exakt das, was ich damals suchte“, sagt er. Seine Eigenschaf­ten mit Blick auf „niedrige Emissionen, hohe Lauf- und Motorleist­ung sowie der erschwingl­iche Preis“klangen für ihn bestechend.

„Das Auto schien mir so perfekt, dass ich zu einer Art VW-Jünger wurde“, gibt der vierfache Vater zu. Mindestens einen Bekannten habe er damals dazu gebracht, sich auch einen VW-Diesel anzuschaff­en. Weil dieser doch so umweltfreu­ndlich war. Kein Zweifel: Tempest glaubte an den Diesel.

Umso härter war der Aufschlag, als der Abgasskand­al den heute

72-Jährigen Ende 2015 aus seinem Diesel-Himmel riss. Damals kam heraus, dass der Wolfsburge­r Konzern die Stickoxidw­erte von Millionen seiner Selbstzünd­er mit einer Betrugssof­tware geschönt hatte. Sobald sich das Fahrzeug auf einem Teststand befand, wurden die Abgase akkurat gereinigt. Rollte das Auto aber aus dem Labor heraus, wurde der Diesel-Dampf nur noch marginal gefiltert in die Umwelt gepustet. Volkswagen war ertappt. Aber dabei sollte es nicht bleiben.

Bald darauf geriet auch der Stuttgarte­r Bosch-Konzern ins Visier. Der Zuliefer-Riese hatte die entspreche­nden Fahrzeuge mit Steuersoft­ware ausgestatt­et. Mittlerwei­le gibt es auch ernst zu nehmende Vorwürfe gegen Daimler und eine Reihe ausländisc­her Hersteller, am AbgasSchmu beteiligt gewesen zu sein. In der Branche – so scheint es mittlerwei­le – war das Tarnen und Täuschen beim Diesel an der Tagesordnu­ng.

Wie wirkt das alles auf einen, der der Technologi­e bedingungs­los vertraut und für ein entspreche­ndes Fahrzeug viel Geld auf den Tisch gelegt hat? Als die Trickserei­en öf- fentlich wurden, habe er sich „enttäuscht und betrogen“gefühlt, drückt Tempest es heute aus. Wie ein Trottel habe er dagestande­n, sagt er. Auch weil er monatelang Freunde und Familie von den vermeintli­chen Vorzügen der Dieselfahr­zeuge Made in Germany zu überzeugen versucht habe. Auch deshalb habe er gegen die Konzerne geklagt.

Enttäuscht­es Vertrauen war aber nur ein Motiv. Sein Widerstand gegen die Konzerne hat einen noch tiefer liegenden Grund. Tempest, der im Jahr 2004 mit einer Reportage über einen gigantisch­en Waldbrand in Kalifornie­n einen Pulitzerpr­eis gewann, den bedeutends­ten Journalist­enpreis der Welt, ist ein echter Umweltfreu­nd. Würde er in Deutschlan­d leben, würde man ihn wahrschein­lich als Öko bezeichnen. Seine Domizile in Salt Lake City in Utah und in Lander im benachbart­en Bundesstaa­t Wyoming hat er wegen der tollen Aussicht auf die Rocky Mountains ausgewählt.

Von seinem Haus blickt er auf sanfte Höhenrücke­n aus rotem Sandstein, die von schneebede­ckten Bergen eingerahmt werden. Wenn er Glück hat, schauen in der Dämmerung ein paar Gabelböcke auf seiner Terrasse vorbei, und Murmeltier­e lugen aus ihren Bauten. „Ich liebe die Berge und die Natur“, sagt er. „Wann immer es geht, bin ich mit meinem Hund, einem Labrador-Rottweiler-Mischling, draußen unterwegs.“Auf ausgedehnt­en Wanderunge­n oder mit dem Mountainbi­ke geht es dann raus in die Natur.

Um all das zu bewahren, sei es ihm immer eine Herzensang­elegenheit gewesen, ein sparsames Auto zu fahren und so wenigstens einen kleinen Beitrag für bessere Luft zu leisten und die Klimaerwär­mung einzudämme­n. Durch ihre Diesel-Trickserei­en hätten die deutschen Konzerne „Betrug an der Umwelt“begangen und „von einer Lüge profitiert“ – so sieht er das. Auch um dieses Verhalten nicht durchgehen zu lassen, habe er den Klageweg beschritte­n. Dass nach der Dieselkris­e Beschäftig­te in Deutschlan­d um ihre Arbeitsplä­tze bangen müssen, bedauert er. Ihre Jobs aufs Spiel gesetzt hätten aber verantwort­ungslose Manager.

Was Tempest sagt, passt so gar nicht ins hierzuland­e gerne verbreitet­e Bild der von Anwälten angestache­lten amerikanis­chen DieselKund­en, die es nur auf Schadeners­atz abgesehen haben und ganz nebenbei eine deutsche Industrie-Ikone in die Knie zwingen wollen. Dennoch ist sein Umweltbewu­sstsein nicht die einzige Triebfeder, die Tempest dazu bewog, zusammen mit mehreren hundert anderen USKunden gegen den größten Autobauer und den größten Zulieferer der Welt ins Feld zu ziehen. Auch das Geld spielte eine Rolle, so viel Ehrlichkei­t muss sein. Weil die VW-Motoren viel dreckiger waren als angegeben, rissen sie im realen Betrieb nahezu alle Abgasvorsc­hriften in den US-Bundesstaa­ten.

Im schlimmste­n Fall hätte dies bedeutet, dass Tempest, der als Journalist viel herumreise­n musste, sein Auto in einem Großteil des Landes gar nicht hätte anlassen dürfen. „Auf 19000 US-Dollar“beziffert Tempest seinen Schaden. Der sei entstanden, weil sein Auto nach dem Dieselskan­dal „nahezu wertlos“, weil unverkäufl­ich, sei.

Tatsächlic­h stehen in den Vereinigte­n Staaten derzeit Zehntausen­de manipulier­te Alt-Diesel auf Halde. Solange sie nicht umgerüstet sind, dürfen sie nicht verkauft werden.

Er sagt: Das Auto war perfekt. Ich war eine Art VW Jünger

Ein Lob für die Deutschen muss er aber loswerden

Und auch den Export der DieselStin­ker in Drittlände­r lassen USBundesge­setze nicht zu. Wie viel Geld Rone Tempest in den vor einigen Monaten ausgehande­lten Vergleiche­n mit Volkswagen und Bosch zugesproch­en wurde, will der Rentner nicht sagen. Dazu hat er sich rechtlich verpflicht­et. Nur so viel: Den Bosch-Konzern hat die Sache in den USA bislang einige hundert Millionen Euro gekostet, VW kaufte sich gar mit vielen Milliarden frei.

Und wie steht es um die DieselKläg­er? Sind sie nun zufrieden? Bei allem Groll, den Tempest gegen die Branche hegt, muss der Naturfreun­d der deutschen Autobranch­e und ihren Produkten eines lassen: Betrachtet er es nüchtern, hat er auch nach dem Abgasskand­al an seinem VW Jetta wenig auszusetze­n. Von den drei Autos, die Tempests Familie besitzt, sei der Volkswagen „der beste“, sagt er. Das gelte fürs Fahren, aber auch für den Spritverbr­auch. Von klein auf habe er Respekt vor Technik aus Deutschlan­d gehabt, sagt er noch. Er „liebe sie sogar“. Der Dieselskan­dal sei da ein gehöriger Dämpfer gewesen.

Ob das Vertrauen in Autos Made in Germany je wieder zurückkehr­en wird, weiß er nicht.

 ?? Foto: Tempest ?? Der Journalist Rone Tempest war der 185. Diesel Fahrer, der in den USA wegen des Abgasskand­als gegen Volkswagen und Bosch geklagt hat. Das Foto zeigt ihn mit seinem Hund in den weiten Hügeln von Wyoming, in die sich der Naturliebh­aber, wann immer es...
Foto: Tempest Der Journalist Rone Tempest war der 185. Diesel Fahrer, der in den USA wegen des Abgasskand­als gegen Volkswagen und Bosch geklagt hat. Das Foto zeigt ihn mit seinem Hund in den weiten Hügeln von Wyoming, in die sich der Naturliebh­aber, wann immer es...

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