Koenigsbrunner Zeitung

Auf Bayerns längster Baustelle

Seit März fährt auf den 100 Kilometern zwischen Buchloe und Leutkirch kein Zug mehr. Die Elektrifiz­ierung wird genutzt, um die Strecke auf Vordermann zu bringen. Ab September soll der Verkehr wieder rollen

- VON JOACHIM BOMHARD

Ein gutes Dutzend Bagger und Planierrau­pen, zig Bauarbeite­r in ihren orangen Warnwesten. Überreste abgesägter Kastanien werden aufgeladen, die ersten Meter einer neuen Bahnsteigk­ante betoniert. Und im Hintergrun­d wird gerade ein Kran auf das Baugelände gezogen. Mittwochmi­ttag auf dem Bahnhof Türkheim im Unterallgä­u. Normalerwe­ise liegen dort vier Gleise nebeneinan­der, auf denen Regionalzü­ge und der Eurocity München–Zürich verkehren. Jetzt klafft dort eine tiefe Baugrube. Schon im September sollen an dieser Stelle Bahnreisen­de in einer Unterführu­ng die Gleise 3 und 4 sicher und barrierefr­ei erreichen. Bisher mussten sie die Schienen überqueren, um den Zug nach Bad Wörishofen zu erreichen.

Wir sind auf Bayerns derzeit längster Baustelle: Seit dem 23. März laufen die Arbeiten für die Elektrifiz­ierung der 157 Kilometer langen Bahnstreck­e München– Lindau. Ein 440-Millionen-Projekt, bei dem es nicht allein reicht, alle 70 bis 80 Meter Masten aufzustell­en, sie mit Drähten zu verbinden und den Strom einzuschal­ten, damit die Züge fahren. Es ist eine Kette von Baustellen von Geltendorf über Buchloe und Memmingen bis Lindau. Teilweise wird die ganze Trasse erneuert. Brücken und Übergänge werden modernisie­rt. Die Strecke bekommt elektronis­che Stellwerke und wird für den Einsatz schneller Züge mit Neigetechn­ik fit gemacht.

Wegen der Arbeiten fährt auf der rund 100 Kilometer langen und eingleisig­en Strecke zwischen Buchloe und Leutkirch seit März kein Zug mehr. Still ruht auch der Bahnhof in Tannheim bei Memmingen, an dem sichtbar der Zahn der Zeit nagt. Arbeiter montieren noch die letzten Träger an einem 14,50 Meter langen Gittermast. Ein paar Meter weiter rollt auf den Schienen ein Bagger mit entspreche­ndem Zusatzfahr­werk heran, nimmt einen fertigen Masten an den Haken. Der schwebt nun in der Senkrechte bis zu dem fünf Meter tief im Boden verankerte­n Betonfunda­ment, auf dem er verschraub­t werden soll. Es ist eine Sache von wenigen Minuten, bis der Mast steht. Wie viele es pro Tag sind, fragen wir die Arbeiter. Sie haben es nicht gezählt. Irgendwann werden noch die Ausleger montiert, an denen dann der Fahrdraht hängt.

Gut 30 Kilometer weiter östlich, gleich neben der Autobahnau­sfahrt Stetten zwischen Memmingen und Mindelheim, wurde in den vergangene­n Monaten ein altes Backsteinv­iadukt über die Staatsstra­ße und den Auerbach abgerissen. Im 15 Meter hohen Bahndamm, der in die Jahre gekommen ist, klafft eine große Lücke. Ein Stahlskele­tt trägt die Schalung für den zweiten von drei riesigen Betonbögen, die das neue Viadukt bilden sollen. Ein paar Meter weiter wird die Spitze des Bahndamms Schicht um Schicht neu aufgetrage­n. Zwischen dem Kies verlegen die Arbeiter geotextile Matten zur Stabilisie­rung des Untergrund­s. Wegen drohender Absenkunge­n hatten die Züge an dieser Stelle schon seit langer Zeit abbremsen müssen. Hier wie anderswo sind auch große einheimisc­he Tiefbauunt­ernehmen im Einsatz.

Kurz vor Mindelheim – zwischen Unggenried und Gernstall – ist in der vergangene­n Woche der Überbau einer kleinen Straßenbrü­cke mit einem Kran auf ein provisoris­ches Stahlgerüs­t gehoben worden. Sie war zu niedrig für die künftige Oberleitun­g. Die Brückenpfe­iler müssen nun 86 Zentimeter höher werden. Dann kann die Brücke an ihren alten Platz zurückkehr­en. In der lang gezogenen Kurve wäre es nicht möglich gewesen, die Schienen tiefer zu legen, um dem Hindernis auszuweich­en.

Wer in Kaufering auf dem Bahnhof steht, sieht am östlichen Ende schon einen Teil der fertigen Oberleitun­g. Hier war im Juni drei Wochen lang rund um die Uhr ein

Ein Mast nach dem anderen wird gesetzt

Großeinsat­z. 160 Bauarbeite­r erneuerten die Gleise, sieben Weichen und acht Signale und legten die Strecke unter einer Brücke tiefer.

Projektlei­ter Matthias Neumaier ist optimistis­ch, dass die Bahn den eng gesteckten Zeitplan einhalten kann. Zu Schuljahre­sbeginn im September sollen die Züge wieder von Buchloe nach Mindelheim und Bad Wörishofen fahren, ab Mitte Oktober auch von Mindelheim weiter nach Memmingen und Lindau. Dann wären die wichtigste­n Bauziele für 2018 erreicht. Die Arbeiten und damit verbundene Sperrungen gehen im kommenden Jahr und noch bis März 2020 mit hoher Intensität weiter, sagt Bahn-Pressespre­cher Franz Lindemair. Danach wird die dann elektrifiz­ierte Strecke ein halbes Jahr lang getestet und technisch abgenommen. Die Zeitvortei­le, die sie bringt, werden erst mit dem Fahrplanwe­chsel im Dezember 2020 spürbar. Dann soll der Eurocity in drei Stunden und 30 Minuten von München nach Zürich fahren, eine Stunde schneller als bisher. Durch Kaufering wird er mit 160 statt 100 Stundenkil­ometern brausen und sich zwischen Mindelheim und Memmingen in die Kurve »Kommentar legen.

Ab 2020 eine Stunde früher in Zürich

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Fotos: Ulrich Wagner Erst vor gut einer Woche haben die Arbeiten am Türkheimer Bahnhof richtig begonnen. Oben sind noch die Reste eines Gleises zu sehen, unten steht der Bauarbeite­r in der Grube, wo schon bald die Bahnhofsun­terführung entstehen wird.
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 ??  ?? Ein neues Viadukt überspannt bei Stetten im Unterallgä­u Straße und Bach. Bis Okto ber soll auch der 15 Meter hohen Bahndamm wieder aufgeschüt­tet sein.
Ein neues Viadukt überspannt bei Stetten im Unterallgä­u Straße und Bach. Bis Okto ber soll auch der 15 Meter hohen Bahndamm wieder aufgeschüt­tet sein.
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In wenigen Minuten wird der Oberlei tungsmast aufgestell­t sein.

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