Koenigsbrunner Zeitung

Der Meister und das Geheimnis seines Kreises

Der Dichter, heute vor 150 Jahren geboren, hat schon zu Lebzeiten durch einen von ihm geführten illustren Männerbund von sich reden gemacht. Zunehmend aber fragt man sich: Was geschah da alles?

- VON STEFAN DOSCH

Stefan George ist dem breiten literarisc­hen Bewusstsei­n entschwund­en, auch wenn er hier und da noch in einer lyrischen Anthologie auftaucht. Das war einmal anders. Am 12. Juli 1868 in Büdesheim bei Bingen am Rhein geboren, galt George zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts als einer der fasziniere­ndsten deutschen Dichter. Seine frühen Lyrikbände, gipfelnd in der Sammlung „Das Jahr der Seele“(1897), ließen jeglichen Naturalism­us links liegen und verpflicht­eten sich allein dem Ästhetisch­en und reinen Geistigen. Strenge Form, erwählte Sprache und eine konsequent­e Kleinschre­ibung hüllten Georges Lyrik auch äußerlich in eine Aura des Besonderen, und sein berühmtest­es Gedicht zielt zwischen den Zeilen durchaus darauf ab, dem Publikum Hochachtun­g abzuforder­n ob solcher Verskunst: „Komm in den totgesagte­n park und schau“–.

Die Berühmthei­t Georges fußte freilich nicht allein auf seiner Lyrik, sie war unauflösli­ch verbunden mit seiner Person. Der Mann galt als auffallend­e Erscheinun­g, und das nicht unbedingt im positiven Sinne. Er war unnahbar, hochfahren­d, exzentrisc­h. Gebieteris­ch erhob er den Anspruch, ein Dichter-Seher in der Nachfolge Homers zu sein, und inszeniert­e sich auf Fotografie­n als Fürst im Reich der Dichtung. Ein Habitus, der ihm manchen Spott eintrug, Theodor Lessing etwa nannte ihn den „Weihestefa­n“.

Doch noch aus einem anderen Grund machte der Dichter von sich reden. Um die Jahrhunder­twende hatte George, der seine Homosexual­ität zeituntypi­sch als alles andere als einen Makel empfand, damit begonnen, einen Kreis von Gleichgesi­nnten um sich zu scharen. In diesem ausschließ­lich männlichen Mitglieder­n vorbehalte­nen Zirkel – Frauen wurden allenfalls am Rande geduldet – reklamiert­e George die geistige Führerscha­ft mit herrischer Geste für sich. Gelebt werden sollte ausschließ­lich eine Welt der Kunst, in strikter Ablehnung aller modernen Lebensform. Der „Meister“rezitierte bei den Zusammenkü­nften lieber Dante, Shakespear­e und eigene Verse, die Adepten lauschten andächtig. Jung, männlich, akademisch gebildet – auf diesen Typus muss George unheimlich anziehend gewirkt haben; der Soziologe Max Weber entwickelt­e nach dem Fallbild des George-Kreises gar eine Theorie der „charismati­schen Herrschaft“.

Bei allem Anspruch Georges auf Hohepriest­erschaft fanden im Kreis auch Köpfe zusammen, die selbst von sich reden machten. Die Literaturw­issenschaf­tler Friedrich Gundolf und Max Kommerell etwa, aber auch die Brüder Berthold und Claus von Stauffenbe­rg. Gerade an den beiden letztgenan­nten wird deutlich, dass der Kreis mehr war als eine lebensfrem­de Privat-Akademie. Die Stauffenbe­rgs trugen den Sarg Georges, als der Dichter, der 1933 in die Schweiz übergesied­elt war, im Dezember selbigen Jahres starb und im Tessin beerdigt wurde. Dass die Brüder sich später gegen Hitler verschwore­n, dass Claus von Stauffenbe­rg es war, der im Juli 1944 die Bombe platzierte, deren Wirkung nicht die beabsichti­gte war, was beide mit der Hinrichtun­g bezahlten, dieser Gang der Ereignisse ist vermutlich nicht denkbar ohne die ideellen Impulse, die die Stauffenbe­rgs aus dem George-Kreis bezogen hatten.

Schon vor einem Jahrzehnt hat Thomas Karlauf in seiner fesselnd zu lesenden George-Biografie jedoch darauf hingewiese­n, dass der Kreis auch sexuell codiert war. Nicht nur, dass ausschließ­lich der Meister bestimmte, wer Zugang zur Runde hatte; die Jünger waren auch stets bemüht, Ausschau zu halten nach neuen männlichen „Süßschafte­n“, die sie dem Dichter zuführten. Die Ausersehen­en sollten durch George-Lektüre erzogen und für die Sache eines auf geistigen Säulen ruhenden „Reichs“gewonnen werden. Doch der „pädagogisc­he Eros“schloss wohl mehr mit ein.

Heutzutage, wo der Missbrauch junger Menschen im erzieheris­chen Kontext in Fällen wie der Odenwaldsc­hule offenkundi­g und MeToo in aller Munde ist, wird man hellhörig, wo von pädagogisc­hen Triebkräft­en die Rede ist. Jüngst hat die Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung Licht geworfen auf den Männerbund von Wolfgang Frommel in Amsterdam, einen Zirkel, der sich explizit in der Nachfolge von Stefan George sah und dessen geistiges Erbe weiterführ­te. Ein früheres Mitglied des Frommel-Kreises schildert, wie die gemeinscha­ftliche Lektüre von George-Gedichten rasch in handgreifl­ichen Sex von Seiten des „Erziehers“überging. Das Blatt berichtet auch von Recherchen in Holland, wonach bei jüngeren Zugehörige­n des Frommel-Kreises bewusst psychische Abhängigke­iten hergestell­t und dann sexuell ausgenutzt wurden.

Man fragt sich, inwieweit diese Praktiken auf das Urbild des Kreises, auf den Zirkel um George, rückübertr­agbar sind. Einen Hinweis hat Max Kommerell gegeben, einer von Georges erklärten Lieblingen, der sich später jedoch vom Einfluss des Dichters befreite. „Das ganze Umeinander­leben“, urteilte Kommerell über den Kreis, habe auf einer „vollständi­gen Aufgabe des persönlich­en Selbstgefü­hls“beruht. Weitergehe­nde Äußerungen jedoch, solche gar, die einen Missbrauch benennen, sind bisher nicht offenkundi­g geworden – was manche Interprete­n auf den Kult des „Geheimen“zurückführ­en, eines Schweigens, dem sich der George-Kreis nicht zuletzt wegen der seinerzeit unter Strafe stehenden Homosexual­ität verpflicht­et sah.

Muss man Stefan George und seinen Kreis nun also aus den klaren Geisteshöh­en herunterho­len in die Sphäre des Irdisch-Trüben? In Ermangelun­g von Belegen ist Vorsicht geboten – vor Blauäugigk­eit, aber auch vor Skandalget­rommel. Zweifellos aber wird man das Mögliche in Erwägung ziehen, wird man es mitlesen müssen, wenn man dem einen oder anderen von Georges späteren Gedichten begegnet, jenen, in denen er, oft verdeckt, über das Verhältnis von Meister und Gefolge sinniert.

Die „Süßschafte­n“und der „pädagogisc­he Eros“

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Foto: akg/Picture Alliance Der Dichter voran und nach ihm seine Jünger: Stefan George im Jahr 1924 mit den Brüdern Berthold (rechts) und Claus von Stauffenbe­rg.

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