Über Wurzeln
Ich glaube, meine erste Begegnung mit Wurzeln war der sogenannte „Wurzelsepp“. Wenn ich mich richtig erinnere, gebrauchten wir dieses Wort in den 50er und 60er Jahren für seltsame, ältere Männer mit gebeugtem Rücken, die auf demselben einen Rucksack oder Korb trugen. Warum also „Wurzelsepp“? „Sepp“ist erklärbar, denn zu dieser Zeit hieß jeder zweite bayerische Mann Sepp, bzw. Josef. Und vielleicht dachte man, dass der oben beschriebene Sonderling sich von Wurzeln ernährt.
Heute ist dieses altehrwürdige deutsche Wort wieder an die (mediale) Oberfläche gekommen. Nicht der Sepp, aber die Wurzel. Meist im Plural gebraucht. In jedem zweiten Essay über die deutsche Identität oder über Identität im allgemeinen wird von „Wurzeln“gesprochen. Uns werden Wurzeln zugesprochen als wären wir eine Karotte. Aber sind wir nicht längst „entwurzelt“? Immer wieder von der unbeweisbaren Annahme ausgehend, dass wir sie denn je hatten.
Oft heißt es auch, auf dem Lande seien die Menschen noch mehr verwurzelt. Aber stimmt das noch? Gibt es denn dieses Stadt-LandGefälle überhaupt noch. In vielen Dörfern gibt es keine Lebensmittelläden mehr und keine Bäckereien, dafür aber Handy- und Brillenläden, Tattoo- und PiercingShops, Dönerbuden ohnehin. Die jungen Leute auf dem Dorf gehen nicht (mehr) in die Dorfwirtschaft, sondern in die coolen Bars der Stadt. Und googeln mit ihren Smartphones genauso leidenschaftlich wie ihre Altersgenossen aus der Stadt.
Das wirft die Frage auf, ob wir überhaupt „kulturelle“Wurzeln haben. Von bestimmter Seite kommt sogar der Vorwurf, die Deutschen sollen „umgevolkt“oder um in unserem Kontext zu bleiben, „umgetopft“werden. Aus dieser Richtung kommt die Behauptung, wir werden aus unserem kulturellen Boden herausgerissen (mit Stumpf und Stiel sozusagen) und andere Pflanzen (sprich: Ethnien) sollten auf deutschem Boden eingesetzt werden.
In meinem ersten Kabarettprogramm („Papamamazombie“) haben wir 1984 gesungen: „Mit der Kawasaki simmer z’s letzte Mal zur Fahnenweihe nach Seestall“, und haben darüber gelästert wie die bayerischen Blasmusiker aus dem Dorf anschließend ihre Musikinstrumente in den Kofferräumen ihrer japanischen Autos verstauen.
Ach ja, das Wort „radikal“kommt ja vom lateinischen Wort „radix“- die Wurzel. Und „radikal“, dieses Wort passt ja gar nicht zu uns Deutschen.