Koenigsbrunner Zeitung

Über Wurzeln

- VON SILVANO TUIACH feuilleton@augsburger allgemeine.de

Ich glaube, meine erste Begegnung mit Wurzeln war der sogenannte „Wurzelsepp“. Wenn ich mich richtig erinnere, gebrauchte­n wir dieses Wort in den 50er und 60er Jahren für seltsame, ältere Männer mit gebeugtem Rücken, die auf demselben einen Rucksack oder Korb trugen. Warum also „Wurzelsepp“? „Sepp“ist erklärbar, denn zu dieser Zeit hieß jeder zweite bayerische Mann Sepp, bzw. Josef. Und vielleicht dachte man, dass der oben beschriebe­ne Sonderling sich von Wurzeln ernährt.

Heute ist dieses altehrwürd­ige deutsche Wort wieder an die (mediale) Oberfläche gekommen. Nicht der Sepp, aber die Wurzel. Meist im Plural gebraucht. In jedem zweiten Essay über die deutsche Identität oder über Identität im allgemeine­n wird von „Wurzeln“gesprochen. Uns werden Wurzeln zugesproch­en als wären wir eine Karotte. Aber sind wir nicht längst „entwurzelt“? Immer wieder von der unbeweisba­ren Annahme ausgehend, dass wir sie denn je hatten.

Oft heißt es auch, auf dem Lande seien die Menschen noch mehr verwurzelt. Aber stimmt das noch? Gibt es denn dieses Stadt-LandGefäll­e überhaupt noch. In vielen Dörfern gibt es keine Lebensmitt­elläden mehr und keine Bäckereien, dafür aber Handy- und Brillenläd­en, Tattoo- und PiercingSh­ops, Dönerbuden ohnehin. Die jungen Leute auf dem Dorf gehen nicht (mehr) in die Dorfwirtsc­haft, sondern in die coolen Bars der Stadt. Und googeln mit ihren Smartphone­s genauso leidenscha­ftlich wie ihre Altersgeno­ssen aus der Stadt.

Das wirft die Frage auf, ob wir überhaupt „kulturelle“Wurzeln haben. Von bestimmter Seite kommt sogar der Vorwurf, die Deutschen sollen „umgevolkt“oder um in unserem Kontext zu bleiben, „umgetopft“werden. Aus dieser Richtung kommt die Behauptung, wir werden aus unserem kulturelle­n Boden herausgeri­ssen (mit Stumpf und Stiel sozusagen) und andere Pflanzen (sprich: Ethnien) sollten auf deutschem Boden eingesetzt werden.

In meinem ersten Kabarettpr­ogramm („Papamamazo­mbie“) haben wir 1984 gesungen: „Mit der Kawasaki simmer z’s letzte Mal zur Fahnenweih­e nach Seestall“, und haben darüber gelästert wie die bayerische­n Blasmusike­r aus dem Dorf anschließe­nd ihre Musikinstr­umente in den Kofferräum­en ihrer japanische­n Autos verstauen.

Ach ja, das Wort „radikal“kommt ja vom lateinisch­en Wort „radix“- die Wurzel. Und „radikal“, dieses Wort passt ja gar nicht zu uns Deutschen.

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Zeichnung: Silvano Tuiach

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