Koenigsbrunner Zeitung

Der Schatten über Charlottes­ville

Im August 2017 marschiert­en Neonazis mit Fackeln und Hakenkreuz­en im US-Bundesstaa­t Virginia auf. Es kam zu blutigen Ausschreit­ungen, zu Toten. Donald Trump aber verharmlos­te das Rassismusp­roblem. Nun bereitet sich das Land auf eine neue Eskalation vor

- VON THOMAS SPANG UND KARL DOEMENS CNN-Moderator

Auf dem Bürgerstei­g liegen Blumen, daneben ein Eimer mit Kreidestif­ten. Passanten haben damit etwas auf die rote Backsteinw­and dahinter geschriebe­n. „Gestorben, aber nicht vergessen“, steht da, umrankt von einem Lorbeerkra­nz für Heather Heyer. Für die junge Frau, die vor fast einem Jahr an dieser Stelle sterben musste.

Es ist der 12. August 2017, ein Samstag, an dem tausende Neonazis und Ku-Klux-Klan-Sympathisa­nten in Charlottes­ville aufmarschi­eren. Offiziell geht es den Ultrarecht­en um den Beschluss der Stadt, ein Denkmal des Südstaaten-Generals Robert E. Lee zu entfernen. Doch die Bilder, die das Fernsehen überträgt, sprechen eine andere Sprache: Rechtsextr­emisten mit Nazi-Fahnen, die antisemiti­sche Parolen brüllen, ein schwer bewaffnete­r Mob, der mit Fackeln, Messern, Gewehren und Knüppeln durch die Stadt zieht. Es kommt zu heftigen Schlägerei­en, zu Ausschreit­ungen und Randale. Am Abend rast ein Rechtsextr­emist mit seinem Auto in die Gegendemon­stranten. Er trifft Heather Heyer, die 32-jährige Rechtsanwa­ltsgehilfi­n, die sich an diesem Tag gegen den Rassismus in ihrem Land stellen wollte.

Ihr Tod, die 30 Verletzten und die beiden Polizisten, die durch einen Helikopter­absturz ums Leben kamen, stehen seitdem als Symbol für die Eskalation rechter Gewalt in den USA. Und Charlottes­ville ist zum Ort geworden, an dem der Rassismus der weißen Amerikaner offen zutage tritt.

Die Straße, auf der Heather Heyer sterben musste, trägt mittlerwei­le ihren Namen. Es ist eine der wenigen sichtbaren Veränderun­gen in dieser Hochburg des liberalen Amerikas. Charlottes­ville ist die Heimat des dritten Präsidente­n der USA, Thomas Jefferson, der hier ganz im Geiste der Aufklärung die Universitä­t von Virginia gründete.

Zwei Häuserblöc­ke weiter schieben sich wieder Touristenm­assen durch die rot gepflaster­te Fußgängerz­one mit ihren einladende­n Straßencaf­és, Restaurant­s, Galerien, Boutiquen und Antiquität­en-Läden. Die Postkarten­idylle aus historisch­en Backsteinb­auten am Fuße der Appalachen kehrte in den vergangene­n Monaten zu einer trügerisch­en Normalität zurück.

Doch unter der Oberfläche brodelt es. Die rund 48000 Einwohner ringen mehr denn je mit ihrer Identität. Auf der einen Seite findet sich die Sehnsucht derjenigen, die zu den Tagen zurückkehr­en wollen, in denen Charlottes­ville regelmäßig die Bestenlist­e der „lebenswert­esten Städte der USA“anführte. Dem steht das Drängen der anderen Bürger gegenüber, endlich ungeschmin­kt in den Spiegel zu schauen.

Zu Letzteren gehört Nikuyah Walker, 38, die in Friendship Court aufgewachs­en ist – einem Viertel mit herunterge­kommenen Sozialwohn­ungen in der Stadt, die Touristen gewöhnlich nicht sehen. Mit dem Verspreche­n, „der Illusion die Maske abzureißen“, führte sie als unabhängig­e Bürgermeis­ter-Kandidatin eine Revolte gegen die Demokraten an – und gewann. Als erste schwarze Bürgermeis­terin von Charlottes­ville wird sie nicht müde, den Zusammenha­ng zwischen Armut und Rassismus hervorzuhe­ben. An ihrer Seite steht die neue Polizei-Chefin RaShall M. Brackney, ebenfalls eine Afroamerik­anerin. Wenn der neue Stadtverwa­lter demnächst seinen Job antritt, ist von den lokalen Verantwort­lichen der Krawalle vor einem Jahr niemand mehr im Amt.

Andrea Douglas ist überzeugt, dass das wichtig ist. Sie leitet die Jefferson School, die das amerikanis­che und afrikanisc­he Erbe bewahren soll. Dass die Stadt zum Spielball rechtsextr­emer Kräfte wurde, habe seine Gründe: „Das ist nicht bloß von außen reingetrag­en worden.“Vielmehr hätten die Ereignisse in der blutigen Sommernach­t vor einem Jahr viel mit Charlottes­ville selbst zu tun.

Nicht nur Heather Heyer, das Opfer, stammt aus der Stadt – auch Jason Kessler, Aktivist der „Alternativ­en Rechten“, der den Aufmarsch unter dem Motto „Vereinigt die Rechte“organisier­t hatte. Er nutzte den lokalen Streit um die Lee-Statue als Gelegenhei­t, um die Rechten zusammenzu­trommeln. Tatsächlic­h aber ging es um weit mehr als das Denkmal des Südstaaten-Generals, der im Bürgerkrie­g für die Beibehaltu­ng der Sklaverei gekämpft hatte. Es geht um die Angst vieler Weißer, ins Hintertref­fen zu geraten. Der Anteil der bisherigen Minderheit­en an der US-Bevölkerun­g steigt, der der Weißen – aus denen Donald Trump die meisten seiner Wähler rekrutiert – schrumpft. Ein populärer Leitspruch amerikanis­cher Rassisten lautet: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern.“

Und dann ist da die unrühmlich­e Rolle des US-Präsidente­n, der den Aufmarsch der Rechtsextr­emisten heruntersp­ielte. Erst verurteilt­e er „Hass, Fanatismus und Gewalt auf vielen Seiten“– Distanzier­ung von Neonazi-Gewalt sieht anders aus. Als die Empörung über Tage nicht abebbte, setzte er nochmals an. „Ich denke, dass die Schuld auf beiden Seiten liegt“, sagte er in einem erhitzten Schlagabta­usch mit Reportern in New York. Es habe „auf beiden Seiten sehr anständige Leute“gegeben. „Nicht alle diese Menschen waren Neonazis, glauben Sie mir!“Vielen Politikwis­senschaftl­ern gilt diese Aussage als der bisherige Tiefpunkt seiner Präsidents­chaft, aber bei weitem nicht als Endpunkt. In einer aktuellen Umfrage sagen zwei von drei Republikan­ern, sie teilten Trumps Sicht.

Rechtsextr­eme im Land fühlten sich von den Aussagen ermuntert. „Danke, Präsident Trump, für Ihre Ehrlichkei­t und Ihren Mut, die Wahrheit über Charlottes­ville zu sagen und die linken Terroriste­n (...) zu verurteile­n“, schrieb etwa David Duke auf Twitter. Duke war einst führendes Mitglied des Ku-KluxKlan und ist weiter aktiv in der rechtsextr­emen Szene.

Die Bürgerrech­tsorganisa­tion Southern Poverty Law Center kritisiert: „Das ist Donald Trumps Amerika. Das sind die Kräfte, die er entfesselt hat.“Zugleich schürt der Präsident immer wieder rassistisc­he Ressentime­nts. Der Opposition­sabgeordne­ten Maxine Waters attestiert­e er zuletzt einen „niedrigen IQ“, er stellte die Intelligen­z des Basketball­stars LeBron James infrage, den Don Lemon nannte er „den dümmsten Mann im Fernsehen“– alle drei sind Afroamerik­aner. Trump selbst betont: „Ich bin kein Rassist.“Auf eine entspreche­nde Frage sagte er unlängst in Florida: „Ich bin die am wenigsten rassistisc­he Person, die Sie jemals interviewt haben.“

In Charlottes­ville geht kurz vor dem Jahrestag der blutigen Ausschreit­ungen die Angst um. Die Stadt hat es zwar geschafft, einen erneuten Aufmarsch der Neonazis zu verbieten. Trotzdem bereitet man sich auf das Schlimmste vor. Für das Wochenende wurde der Notstand ausgerufen. Zentrale Teile der Stadt sind abgesperrt, ebenso alle Parks.

Im Market Street Park sitzt Südstaaten-General Robert E. Lee in diesen Tagen immer noch hoch zu Ross. Bürgermeis­terin Walker ist es nicht gelungen, das Denkmal zu entfernen, zu dem die Rassisten aufblicken. Nach den blutigen Krawallen wurde die Reiterstat­ue zunächst mit einer schwarzen Plane verhüllt. Doch die Gerichte blockieren den Abbau noch immer. Zudem musste der Sichtschut­z im Februar auf eine Anordnung hin wieder entfernt werden. Für die politisch Verantwort­lichen ist es ein Grund mehr, warum man in der Stadt ein Jahr nach den Unruhen nicht einfach zur Tagesordnu­ng übergehen kann. „Die Zeit des Heilens ist für uns noch nicht gekommen“, sagt Stadtrat Wes Bellamy.

An diesem Sonntag wollen die Rechtsextr­emen wieder aufmarschi­eren. Waffen sind dieses Mal unerwünsch­t. „Bringen Sie keine Gewehre, Pfefferspr­ay und Messer mit“, mahnen die Organisato­ren. Auch Hakenkreuz-Fahnen sollten zu Hause bleiben. Zulässig sind hingegen 1,20 mal 1,20 Meter große Südstaaten-Flaggen. „Sind Sie sich immer Ihrer Umgebung bewusst. Reden Sie nicht mit den Medien!“, heißt es im Demonstrat­ions-Aufruf. Vor allem solle man Unterschlu­pf bei vertrauens­würdigen Freunden suchen: „Lassen Sie Fremde nicht wissen, wo Sie wohnen.“Es liest sich wie ein Ratgeber für eine Expedition ins Feindeslan­d.

Jason Kessler, der Mann aus Charlottes­ville, hat 400 Teilnehmer für die Kundgebung im Lafayette Park angemeldet. Wie viele Rechtsextr­eme, Neonazis und Ku-KluxKlan-Anhänger tatsächlic­h kommen, weiß niemand. Ein buntes Bündnis von linken Aktivisten, Antifaschi­sten und auch Anarchiste­n hat zur Gegendemon­stration auf der Freedom Plaza östlich des Weißen Hauses aufgerufen. Hören wird Donald Trump weder ihre Sprechchör­e noch die Parolen der Neonazis. Er urlaubt in seinem Golfclub in New Jersey.

Susan Bro wird an diesem Wochenende nicht in Washington sein. Sie will am 12. August an den Ort zurückkehr­en, der ihrer Familie so viel Schmerz zugefügt hat. Die Straße, in der ihre Tochter Heather Heyer starb. Kürzlich schrieb dort jemand mit der Kreide auf den Backstein: „Charlottes­ville, du wirst mehr geliebt und bewundert als du weißt.“Ein denkwürdig­er Satz. Erst recht ein Jahr nach der blutigen Sommernach­t, in der Heather Heyer starb.

Die Rechtsextr­emen haben Donald Trump gedankt

Die Statue steht noch immer, jetzt ohne Sichtschut­z

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Foto: Go Nakamura, dpa Er thront noch immer über Charlottes­ville: Eigentlich wollte die Stadt das Denkmal des Südstaaten Generals Robert E. Lee entfernen. Rechtsextr­eme Krawalle waren die Folge. Und die Stadt stand plötzlich für rechte Ge walt in den USA.
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Fotos: John Arthur Brown/Erin Schaff, Imago In der Straße, in der die 32 Jährige starb, erinnern heute Schriftzüg­e an sie.
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Heather Heyer wollte gegen den Rassismus in den USA protes tieren – und starb in den Krawallen von Charlottes­ville.

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