Schwäbische Kunst als Fels in der Brandung
In dramatischer Lage kann die Große Schwäbische Kunstschau unverhofft Urstände feiern. Dies hat mit einem Trick am Hotspot Augsburg zu tun. Das Angebot an Skulptur lässt aber ein wenig zu wünschen übrig
Augsburg Das ist apart, wenn nicht gar mit einem Anflug von Ironie verbunden: Die Große Schwäbische Kunstausstellung, immer mal wieder als obsolet, wenn nicht gar als moribund betrachtet, steht in diesem Jahr geradezu wie ein Fels in der Brandung. Mögen auch sonst gesellschaftliche und künstlerische Veranstaltungen in Hülle und Fülle abgeblasen sein, dieser Leistungsbeweis des Berufsverbands Bildender Künstler steht nun in seiner 72. Ausgabe (in Buchstaben: zweiundsiebzig) quasi wie ein Monolith auf einem künstlerisch ausgetrockneten Hotspot-Terrain. Das hat was. Zumal wenn man bedenkt, dass die Schau mit heuer 59 Werken in dieser historischen Situation der Konkurrenzlosigkeit wie ein Magnet wirken könnte: Mancher dürfte sich nun hungrig auf etwas stürzen, das ihm auf dem sonst übervollen Teller nur als Sättigungsbeilage galt.
Dass aber die Große Schwäbische in dramatischer Lage unverhofft Urständ feiern kann, hat auch mit einem Trick zu tun. Weil sie ja schon seit Jahrzehnten auch eine Verkaufsausstellung ist (bei der sich übrigens immer wieder auch die Staatlichen Kunstsammlungen bedienten), firmiert sie nun – behördlicherseits anerkannt – quasi als Einzelhandelsveranstaltung – und nicht als Museumsausstellung im neu zu konzipierenden „Raum für Kunst“des Augsburger Glaspalasts, für den die Kommune nicht wenig Miete abzuführen hat.
Und der Einzelhandel darf ja öffnen – jedenfalls unter den arithmetischen Bedingungen der CoronaSchutzbestimmungen. Will heißen: Für diese wirkungsvoll großzügig gehängte Schau auf rund 1100 Quadratmetern haben gut 40 Kunstliebhaber gleichzeitig Zutritt – einer pro 25 Quadratmeter. Der Trick ist nicht zu vergleichen mit der Umwidmung einer Massendemonstration zu einem Gottesdienst, um mal einen kabarettistischen Ton anzuschlagen. Gut 40 Besucher gleichzeitig, auch das wäre – wie die Platzierung der Kunst – durchaus übersichtlich. Und die allfälligen Künstlergespräche könnten sich zur Verkaufsberatung wandeln. Im Übrigen gilt nun auch, wie überall im Einzelhandel: Eintritt frei.
Das alles ist ein wenig kurios, aber – bei Maske und Abstand – sicherlich auch angemessen, ja letztlich erfreulich. Die Schau startet – ohne Vernissage – am Dienstag, 1. Dezember; von diesem Samstag an aber sind bereits Katalog und ein Video-Rundgang online freigeschaltet (www.kunst-aus-schwaben.de).
Bleiben wir gleich im medizinischen Bereich: Der Kunstpreis der Stadt Augsburg (2000 Euro) geht heuer an Iris Nölle-Wehn – und dies einstimmig seitens der neunköpfigen Jury unter Führung des BBKVorsitzenden Norbert Kiening. Diese Kürung kann fast als Pflicht bewertet werden, sieht man den sechsteiligen Gemälde-Zyklus unter dem Titel „Die Patienten“. Im Kleinformat sind hier Menschen porträtiert, deren Lebenslust gebrochen ist. Ein Blick in die Augen der Dargestellten spricht Bände. Und Einfühlsamkeit und Behutsamkeit bannen die Gefahr alles Voyeuristischen. Eindrucksvoll wird hier Bezug genommen auf die Geschichte der Porträtmalerei und auf die Augen als „Spiegel der Seele“. Das Ganze, auch in der Jury-Bewertung: eine klare künstlerische Diagnose.
Um in diesem Zusammenhang einmalig kurz schnöde zu werden: Die sechs Kleinformate von Iris Nölle-Wehn sind mit 2800 Euro ausgezeichnet – und das darf man, auch vergleichshalber, als bemerkenswert gutes Preis-LeistungsVerhältnis bezeichnen.
Nun erst einmal genug gelobt. Was bedenklich ist bei dieser 72.
Großen Schwäbischen, an der auch Nichtverbandsmitglieder teilnehmen können, so sie in der Region leben, das ist die Qualität so mancher Skulptur, (Wand-)Plastik, Installation. Inhalt und Form kommen sich nicht selten in die Quere. So bei den drei von innen beleuchteten Acrylquadern von Bernd Scheffer, die Felsblöcke suggerieren; so bei den wahrhaft „Komischen Typen“aus Keramik von Anna Dorothea KlugFaßlrinner; auch bei Josef Langs monumentalem „Harald“, ein Aluminiumguss. Und bei Liliana Mesmers elf abstrahierten, hängenden Palmen ist es unter dem Titel „Semiramis – Hängende Gärten“nicht ganz leicht, der kalauernden Versuchung zu widerstehen.
Auf der Haben-Seite aber sind unter den Plastiken zu verbuchen: Gerti Papeschs „Running Dots“, die gleichsam über den Hallenboden krabbeln und die Schau dynamisieren, Jochen Rüths Keramik-„Fragmente“von antiker Aura sowie Nena Cermáks ausgreifende Installation „Merger“, die ein so skurriles wie beunruhigendes Verbundsystem aus fantastischen Innereien und fantastischem Gekröse entwirft. Dass diese Arbeit, die freundlich auf Abstand hält, mit dem ebenso in Pastellfarben kreierten Schaf „Betty“von Klaus Fliege korrespondiert, ist ein Gestaltungscoup auch des stets angenehm zurückhaltenden Ausstellungsgestalters Horst Zankl. Karin Kneffel hätte das Wollschaf nicht niedlicher malen können.
Womit wir bei Wandbildern dieser Großen Schwäbischen wären, die daraus vor allem ihre Meriten zieht. Was darf, was muss hervorgehoben werden? Sicherlich einige Namen, die sozusagen notorisch gute Qualität abliefern – wie etwa Rainer Kaiser und Georg Kleber, Letzterer mit einem großen „Libellen“-Gemälde. Stark beachtenswert auch: Hannes Goullons großes Rastergemälde „Erinnerung“sowie die Foto-Arbeiten von Bernd Hohlen sowie Joe Rieder. Rieder hat einen leeren Parkplatz von überhöhter Trostlosigkeit abgelichtet. Er ist in Verbindung zu bringen mit den beeindruckenden Grau-Aquarellen von Christian Amerigo Odato, „nicht-orte“einfangend. Hier wie dort gilt ein Paradoxon: Je weniger Kontrast, desto stärker die Aussage.
Ja, diese Zeit ist etwas gräulich. Die Große Schwäbische aber reizt mal wieder zur Auseinandersetzung. Und das zählt. Gut so.
OAusstellung Im Glaspalast Augsburg vom 1. Dezember bis 9. Januar, geöff net von Montag bis Samstag von 11 – 17 Uhr. An Sonn und Feiertagen sowie an Heiligabend und Silvester geschlossen.