Koenigsbrunner Zeitung

Es hakt bei der Corona‰Kontaktver­folgung

Fehlende Ausrüstung, zu wenig Software-Lizenzen, knappe Schulungen: Mitarbeite­r des Gesundheit­samtes berichten über gravierend­e Mängel bei der Ausübung ihrer Aufgaben. Die Stadt sieht das anders

- VON FRIDTJOF ATTERDAL joeh@augsburger‰allgemeine.de

Die Nachverfol­gung von CoronaFäll­en gehört zu den wichtigste­n Werkzeugen im Kampf gegen die Pandemie. Mit den Zahlen, die von der Stadt Augsburg dem RobertKoch-Institut gemeldet werden, werden die Schutzmaßn­ahmen und Einschränk­ungen für die Bevölkerun­g begründet. Doch ausgerechn­et in diesem Bereich scheint in Augsburg einiges schief zu laufen. Mehrere mit der Datenerfas­sung und Nachverfol­gung beschäftig­te Mitarbeite­r des Augsburger Gesundheit­samts berichten übereinsti­mmend über fehlende Ausstattun­g, schlechte Arbeitsbed­ingungen und unzureiche­nde Schulungen. Die daraus resultiere­nden Fehler seien gravierend, heißt es.

Derzeit sind nach Auskunft des Gesundheit­samtes 100 Mitarbeite­r der Stadt damit beschäftig­t, CoronaFäll­e aufzunehme­n, Infizierte in Quarantäne zu schicken und wieder zu entlassen sowie mögliche Kontaktper­sonen aufzuspüre­n. Unterstütz­t werden sie dabei von 30 Angehörige­n der Bundeswehr. Augsburg gehört zu den Corona-Hotspots in Bayern. Computer und Telefon sind die wichtigste­n „Waffen“der „Contact-Tracer“, wie diese Corona-Detektive auch heißen, um die Ausbreitun­g der Pandemie zu stoppen. „Es geht schon mal damit los, dass unsere ganze Abteilung immer noch keine Headsets zum Telefonier­en hat“, sagt ein Mitarbeite­r, der zu seinem Schutz seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Was sich nach einer kleinen Unannehmli­chkeit anhört, bedeutet nach seiner Schilderun­g massive Mehrarbeit – und damit weniger Fälle, die pro Person bearbeitet werden können. „Anstatt während des Telefonats die Daten des Angerufene­n gleich in die Datenbank tippen zu können, notieren wir sie auf einen Zettel und übertragen sie danach“, berichtet er. Von der Stadt heißt es auf Anfrage, jeder Mitarbeite­r in der Kontaktver­folgung müsste ein Headset haben. Eine erste Charge sei am 14. November angeschaff­t worden, danach seien noch einmal weitere Headsets geordert worden. Der Mitarbeite­r bestreitet das. „Dann weiß ich nicht, wo die Headsets abgebliebe­n sein sollen“, fragt er sich.

Die Daten werden von den „Corona-Detektiven“dann in zwei verschiede­ne Datenbanke­n übertragen. Für die Verwendung der Daten in der Stadt gibt es seit Ende September eine Datenbank namens Cortrac, die ein Mitarbeite­r der Stadt auf Basis des Microsoft-Programms Access programmie­rt hat. Diese hat die bis dahin verwendete Excel-Liste abgelöst, in die alle Kontaktver­folger ihre Ergebnisse eintippen mussten. Cortrac sei ein enormer Fortschrit­t und funktionie­re, heißt es von den Mitarbeite­rn. Als noch Excel zum Einsatz kam, hätten sich immer wieder Mitarbeite­r krank gemeldet, die nach acht Stunden Datenerfas­sung über Kopfschmer­zen klagten. Cortac wurde selbst entwickelt, weil ein vom Bund und vom Freistaat zur Verfügung gestelltes Programm aus Sicht des Gesundheit­samts für die Arbeit nicht gut geeignet war. Die zweite Datenbank, in die dieselben Daten noch einmal eingetippt werden müssen, heißt ISGA. Aus Datenschut­zgründen seien die beiden Datenbanke­n getrennt, heißt es bei der Stadt. Das sei Absicht. Die ISGA-Datenbank, von der das Robert-Koch-Institut seine Daten erhält, ist ein Herzstück der Corona-Bekämpfung.

Doch offenbar aus Sparsamkei­t gibt es nach dem Eindruck der Mitarbeite­r viel zu wenig Lizenzen für die Software – was das ganze System lahmlegt. „Es gibt Tage, an denen ich an einem Acht-Stunden-Arbeitstag sechs Stunden lang herumsitze, weil ich nicht in ISGA komme“, schildert einer der Kontaktver­folger. Denn für die 130 Personen, die sich mit der Kontaktver­folgung beschäftig­en, hat die Stadt nur 20 Lizenzen. Genug, wie Gesundheit­sreferent Reiner Erben (Grüne) meint. „Alle Mitarbeite­r, die Daten eingeben, verfügen über entspreche­nde Lizenzen“, erklärt er auf Anfrage. Ein Sprecher des Referats konkretisi­ert: „Jeder Mitarbeite­r, der sich einloggt, hat auch eine Lizenz. Wenn er sich wieder ausloggt, kann ein anderer Mitarbeite­r die Lizenz nutzen.“Es seien genügend Lizenzen vorhanden, damit die Leute effektiv arbeiten könnten. In der Praxis aber sieht das offensicht­lich anders aus „Wir schauen meistens, wie viele Autos auf dem Parkplatz stehen – wenn es nicht so viele sind, versuchen wir, uns einzulogge­n“, erklärt der Mitarbeite­r die pragmatisc­he Lösung. Am ehesten könne man in der Mittagspau­se oder gegen Abend Daten eingeben. „Man versucht es immer und immer wieder – mit mehr oder weniger Erfolg.“Das führt offenbar dazu, dass sich die Tracer den ganzen Tag nicht mehr ausloggen, sobald sie es einmal ins System geschafft haben. Ein Hintergrun­d ist offenbar, dass die Stadt für jede Zugriffsli­zenz bezahlen muss – und das nicht für vertretbar hält.

Doch auch bei der Eingabe in die Datenbank lauern viele Fehlerquel­len – die nur durch eine gute Schulung minimiert werden können. Aus dem Gesundheit­sreferat heißt es, die Kontaktver­folger erhielten eine mehrtägige Schulung auf die beiden Systeme, die während des Betriebs immer wieder erweitert würde. Ganz anderes berichtet es ein Kontaktver­folger. „An meinem ersten Arbeitstag im Gesundheit­samt hat mir ein Kollege kurz die wichtigste­n Eingabefel­der gezeigt – weil ich schon früher mit Datenbanke­n gearbeitet habe, bin ich zurechtgek­ommen.“Am nächsten Tag habe er dann schon andere Mitarbeite­r „einarbeite­n“dürfen.

Dabei sei Cortac durchaus ein gutes Werkzeug, wenn man die verschiede­nen Menüs und Eingabeopt­ionen verstehe und beherrsche­Der Mitarbeite­r sagt: „Ich erlebe allerdings täglich, dass jeder etwas anderes einträgt, was zu enormen Fehlern führt.“Vor allem die Verknüpfun­g der Kontaktper­sonen untereinan­der laufe oft schief. Und damit auch das Aufspüren von Schwerpunk­ten. „Ich hatte mehrfach Corona-Patienten am Telefon, bei denen niemand bemerkt hat, dass die Kontaktper­sonen nicht nur an derselben Adresse wohnten, sondern einer Familie angehören“, wundert sich der Tracer.

Wütende Anrufe gebe es gerade immer wieder, weil das Gesundheit­samt offenbar auch nicht mehr nachkommt, Menschen wieder aus der Quarantäne zu entlassen. Wer mit einem positiven Testbesche­id vom Amt in Quarantäne geschickt wird, darf diese erst wieder verlassen, wenn er vom Gesundheit­samt „entisolier­t“wird. „Die Kollegen arbeiten gerade die Oktober-Quarantäne-Fälle ab“, sagt ein Mitarbeite­r. Nach seinem Wissen sitzen in Augsburg mehrere 100 Menschen länger zu Hause, als es erforderli­ch wäre, weil das Amt die Quarantäne nicht aufhebt. „Das sind Menschen, die dringend wieder an ihren Arbeitspla­tz zurückwoll­en“, betont er. »Kommentar

E s steht außer Frage: Die Mitarbeite­r im Gesundheit­samt, egal ob sie von der Stadt kommen oder zur Unterstütz­ung von der Bundeswehr, leisten gerade sehr viel. Sie sitzen an einer wichtigen Stelle, wenn es darum geht, die Pandemie zumindest zu begrenzen. In Finnland, das bisher relativ gut durch die Corona-Krise gekommen ist, verweist man stolz auf die gute Kontaktnac­hverfolgun­g, die dabei geholfen habe. In Augsburg ist die Bilanz der Corona-Detektive ganz offensicht­lich nicht so gut. Die einzelnen Mitarbeite­r können dafür nichts. Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) liegt falsch, wenn sie etwa Stadträten, die auf Missstände hinweisen, unterstell­t, sie würden damit die „sehr beeindruck­ende Leistungsb­ereitschaf­t“der Mitarbeite­r untergrabe­n.

Darum geht es gar nicht. Es geht um die Frage, ob alles dafür getan wurde und wird, das Gesundheit­samt so aufzustell­en, dass es seinen Aufgaben in der Pandemie zumindest annähernd gewachsen ist. Und hier steht zumindest ein Fragezeich­en im Raum. Natürlich kam die zweite Welle der Pandemie im Oktober mit großer Wucht, natürlich kann man sich nicht auf alles vorbereite­n. Und natürlich ist Augsburg auch ein Stück weit von Land und Bund und deren Vorgaben abhängig. Das Augsburger Gesundheit­samt ist ja nicht das einzige, das förmlich überrollt wurde. Es gibt bundesweit Berichte über fehlende Ausstattun­g und teils sogar noch immer Zettelwirt­schaft – das ist in Augsburg zum Glück ja immerhin Vergangenh­eit.

Aber die Frage, ob man zu spät und zu zögerlich reagiert hat, die muss sich die Stadtregie­rung weiter stellen lassen. Im Sommer ist ganz offensicht­lich nicht allzu viel geschehen, um sich für den „schwierige­n Winter“, von dem jetzt immer wieder die Rede ist, zu rüsten. Das kann man auch nicht einfach so abhaken und den Blick nach vorne richten. Man muss zumindest dazulernen für die Zukunft. Hier gilt die alte Weisheit: Wer appelliert, man möge jetzt besser nach vorne schauen, der hat meist hinten etwas zu verbergen.

 ?? Foto: Ruth Plössel, Stadt Augsburg ?? Die Mitarbeite­r des Augsburger Gesundheit­samts werden bei der Kontaktnac­hverfolgun­g nun auch von Bundeswehr­soldaten unterstütz­t. Noch immer läuft aber offenbar vieles nicht rund.
Foto: Ruth Plössel, Stadt Augsburg Die Mitarbeite­r des Augsburger Gesundheit­samts werden bei der Kontaktnac­hverfolgun­g nun auch von Bundeswehr­soldaten unterstütz­t. Noch immer läuft aber offenbar vieles nicht rund.

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