Landsberger Tagblatt

Die alte Dame von der SPD

Luise Nordhold ist seit unglaublic­hen 86 Jahren Sozialdemo­kratin. Was sie vom neuen Parteichef erwartet und wovor sie Angst hat

- Foto: Stengel

Die SPD wird ja gern die „alte Dame“genannt. Im Mai wird sie 154 Jahre alt. Ihr dienstälte­stes Mitglied ist tatsächlic­h eine alte Dame. Luise Nordhold aus Ritterhude-Ihlpohl bei Bremen wurde kürzlich 100 und ist schon so lange Genossin wie niemand sonst: seit fast 86 Jahren. Sie kann kaum noch lesen und hören, und selbst mit Rollatorhi­lfe kommt sie nur langsam voran. Aber die grauen Zellen sind noch erstaunlic­h fit. Und noch immer verfolgt sie die aktuelle Politik.

Als Parteichef Sigmar Gabriel im Januar seinen Abgang ankündigte, „da brach für mich erst mal eine Welt zusammen“, erzählt die 100-Jährige, die an der Brust eine goldene Ehrennadel ihrer Partei mit drei kleinen Brillanten trägt („meine einzigen Brillanten“). „Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu Sigmar Gabriel“, sagt sie lächelnd – obwohl sie anfangs gedacht hatte: „Oh mein Jung’, du musst noch viel lernen.“Inzwischen ist die SPD bekanntlic­h im Schulz-Zeitalter angekommen und Nordhold hat trotz des Rückschlag­s im Saarland zumindest ein bisschen Hoffnung, doch noch einmal einen sozialdemo­kratischen Kanzler erleben zu dürfen.

Viele SPD-Chefs hat sie kommen und gehen sehen. „Mein Vorbild ist Willy Brandt“, sagt sie mit klarer, lauter Stimme, doch dann fügt sie gleich noch den Namen Egon Bahr hinzu, einst Minister unter Brandt. Zu Gerhard Schröder, dem bislang letzten Kanzler der SPD, hat sie ein eher gespaltene­s Verhältnis. An seiner Agenda 2010 erkennt sie Licht und Schatten. Aber was ihr absolut nicht behagt: „Dass er die Politik als Sprungbret­t benutzt hat, um in der Wirtschaft einen Posten zu ergattern!“Sie selbst strebte nie in die große Politik. „Ich war immer nur kleine Kommunalpo­litikerin.“Mehr wollte sie auch nicht. Sie war schließlic­h gut beschäftig­t als Handarbeit­slehrerin an der örtlichen Volksschul­e und als Mutter dreier Kinder. Als sie 1917 geboren wurde, durften Frauen noch nicht mal wählen. Ihr Vater war Dreher auf der Bremer Großwerft „AG Weser“, die Mutter Hausschnei­derin. Klassische­s Arbeiterun­d Gewerkscha­ftermilieu eben. Zu Hause wurde ständig über Politik geredet. Klar, dass auch die junge Luise mitmischte. 1931, mit gerade mal 14 Jahren, trat sie in die Partei ein. „Wir haben gegen Hitler demonstrie­rt“, erzählt sie bei der Vorstellun­g einer Biografie, die der Autor Tim Jesgarzews­ki über sie geschriebe­n hat. „Für Freundscha­ft, Solidaritä­t und soziale Gerechtigk­eit“heißt das Buch.

„In den zwölf Jahren Nazi-Diktatur haben wir nur in Angst gelebt“, sagt Nordhold. „Und diese Angst habe ich jetzt vor der AfD.“Die SPD müsse besser erklären, „was wir verlieren würden, wenn die AfD mit in die Regierung käme“, fordert die alte Dame. Vom neuen Parteichef wünscht sie sich: „Hoffentlic­h macht er wahr, was er sich vorgenomme­n hat.“Schulz sage ja, „dass ihm die kleinen Leute am Herzen liegen“. „Das haben sie bisher versäumt“, kritisiert sie ihre ParteiOber­en. Eckhard Stengel

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