„Zehn Minuten reichen für den Anfang“
Die Münchner Medienexpertin Maya Götz über die richtige Nutzung von Computer, Fernseher und Co, über wichtige Regeln in der Familie und die Aufgaben von Eltern bei den digitalen Gehversuchen ihrer Kinder
Frau Götz, bin ich ein schlechter Vater, wenn ich mein Kind einmal vorm Fernsehgerät „parke“, um mich kurz ausruhen zu können?
Das ist durchaus nachvollziehbar. Aber man kann ja beim Fernsehen miteinander kuscheln. Das geht auch, wenn man müde ist. Es ist immer besser, sich zum Kind zu setzen. Denn Kinder können schnell Angst bekommen oder haben einfach viele Fragen. Zudem liefert gemeinsames Fernsehen gemeinsamen Gesprächsstoff.
Viele Eltern scheinen sehr verunsichert zu sein, wenn es darum geht, wie ihre Kinder Medien nutzen sollten. Was ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, das Eltern unbedingt dabei beachten müssen?
Sobald ein Kind ein Medium für sich entdeckt, muss die Medienerziehung beginnen. Dann müssen Eltern klare Regeln aufstellen und auf diesen bestehen, auch wenn es einmal Tränen gibt. Umso leichter wird es später. Das Erste, das Kinder lernen müssen, ist das Gerät auszuschalten. Beim Fernsehen zum Beispiel nach einer Sendung. Beim Computer empfiehlt es sich, eine Eieruhr oder einen Wecker danebenzustellen. Zehn Minuten am Computer sind für den Anfang absolut ausreichend. Kinder müssen lernen, mit dem Übermaß an medialen Angeboten zurechtzukommen.
Der Psychiater und Bestseller-Autor Manfred Spitzer mahnt unablässig, dass Computer, Smartphone oder Fernsehen Kindern enorm schaden würden. Wie sehen Sie das?
Götz: Es gibt die Schattenseiten, ganz klar. Aber wie Herr Spitzer zu sagen, Kinder sollten überhaupt keine elektronischen Geräte benutzen, ist unrealistisch. Unsere Welt ist komplett durchdrungen von Medien. Und dafür müssen Eltern ihre Kinder fit machen. Spätestens in der Pubertät wird das Kind ein Smartphone verlangen, weil angeblich jeder eines habe. Los geht das meist schon bei den Zehnjährigen.
Und dann?
Götz: Ich rate dazu, Kindern erst möglichst spät ein Smartphone zu erlauben. Hier braucht es viel Medienkompetenz, und für Eltern ist es unheimlich schwer zu kontrollieren, was ihre Kinder damit tun. Wesentlich schwerer als bei Fernseher oder Tablet. Unsere älteste Tochter hat mit zwölf ein Handy bekommen. Mein Mann und ich haben mit ihr einen schriftlichen Vertrag geschlossen: Sie darf niemanden beleidigen oder Fotos von sich posten, die zu viel nackte Haut zeigen. Wenn sie Hausaufgaben macht, muss das Handy woanders liegen. Sie akzeptiert das, weil sie diese Regeln nachvollziehen kann. Hält sie sich nicht daran, gibt es Handy-Entzug.
In welchem Alter sollten Kinder mit der Mediennutzung beginnen?
Wenn es Eltern gelingt, Kinder bis zum Alter von zwei, drei Jahren von Fernsehen oder Tablet fernzuhalten, wäre das gut. Ohnehin können Kinder bis zu zwei Jahren kaum den Geschichten, etwa im Fernsehen, folgen. Diese wirken eher wie ein Kaleidoskop auf sie – mit Ausnahme von Sendungen wie die „Teletubbies“, die sehr einfach gestrickt sind. Generell gilt: Medienkonsum soll den Alltag der Kinder immer bereichern, nicht bestimmen.
Wie lange sollten Kinder maximal fernsehen oder das Tablet nutzen?
Götz: Vorschulkinder maximal 20 bis 30 Minuten, zum Beispiel die Zeit vor dem „Sandmännchen“, und anschließend abschalten. Beim Tablet genügen zehn Minuten am Tag. Das kann man dann steigern, beim Tablet auf 20 Minuten für Grundschüler und etwas mehr für Kinder ab der dritten Klasse.
Tablets werden bereits häufig auch in Grundschulen eingesetzt ... ... und das kann Kindern spannende Lernmöglichkeiten eröffnen.
Verkümmert dadurch nicht die Fähigkeit, mit der Hand zu schreiben, die Experten als überaus wichtig bewerten?
Götz: Die Arbeit mit Computern ist ein fester Teil unserer Kultur und wird es bleiben. Darauf müssen Kinder vorbereitet werden. Es kann allerdings nicht darum gehen, andere Kulturtechniken wie das handschriftliche Schreiben abzuschaffen.
Ab welchem Alter sollten Kinder ein eigenes Tablet, einen eigenen Computer oder Fernseher besitzen dürfen?
Götz: Auch hier gilt: Je später, desto besser. Wichtig ist, Kindern nicht selbst zu überlassen, wie viel sie fernsehen oder Computer spielen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?
Götz: Genau. Denn Kinder werden immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert, und Eltern müssen sie im Umgang damit unterstützen. Das geht nicht, wenn der Fernseher im Kinderzimmer steht.
Was dürfen Kinder keinesfalls sehen?
Götz: Horrorfilme! Auch Krimis können Kinder an ihre Grenzen führen, bis hin zu traumatischen Erlebnissen. Ich kenne das Beispiel eines Jungen, der mit sechs den „Weißen Hai“sah. Sein Opa dachte, das sei ein Tierfilm. Als dann das Blut spritzte, sagte der Opa, das sei nur Ketchup. Der Junge ist inzwischen 26 und kann nach wie vor nicht im Meer oder in Seen schwimmen.
Woran erkennen Eltern, dass eine Sendung ihre Kinder ängstigt?
Götz: Kinder werden teils steif, reißen ihre Augen auf oder zittern. Normalerweise sagen sie sogar: „Ich habe Angst.“Wenn es nicht so schlimm ist, können Eltern ihnen ein Kopfkissen zum Verstecken geben. Sie sollten sie auf das Gesehene ansprechen, im Zweifelsfall ausschalten. Um das Gesehene zu verarbeiten, kann man es mit Lego oder Playmobil nachspielen und darüber reden. So verschwinden auch Albträume schnell wieder, die das Kind möglicherweise bekommen hat.
Und woran erkennen Eltern eine kindgerechte Sendung?
Götz: Das Kind verfolgt sie aufmerksam und lacht zwischendurch.
Interview: Daniel Wirsching