Landsberger Tagblatt

Bundesbank­chef warnt vor Rücksicht auf Schuldenlä­nder

In Südeuropa stehen Staaten tief in der Kreide. Wann die Zinsen steigen, darf davon nicht abhängen, sagt Jens Weidmann

- Frankfurt am Main (dpa, AZ)

Als ein Grund, weshalb die Europäisch­e Zentralban­k die Zinsen so schnell nicht anhebt, wird oft die instabile Lage südeuropäi­scher Länder wie Griechenla­nd oder Italien genannt. Dagegen wendet sich jetzt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Er warnt vor zu viel Rücksichtn­ahme auf einzelne Euroländer oder die Finanzmärk­te beim Ausstieg aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k. „Aus meiner Sicht ist es vor allem entscheide­nd, dass wir diesen Gang der Normalisie­rung nicht mit Blick darauf verzögern, welche Folgen sie für die Schuldentr­agfähigkei­t der Mitgliedst­aaten oder für die Stabilität der Finanzmärk­te haben könnte“, teilte Weidmann auf Anfrage schriftlic­h mit.

Ende Juni hatte eine Rede von EZB-Präsident Mario Draghi für Ausschläge an den Finanzmärk­ten gesorgt. Draghi äußerte sich im portugiesi­schen Sintra sehr zuversicht­lich zur Wirtschaft im Euroraum und bezeichnet­e den jüngsten Rückgang der Inflation als vorübergeh­end. Zudem sprach Draghi von einer „graduellen Anpassung“der Geldpoliti­k – betonte zugleich aber, die Notenbank brauche „Ausdauer“. An den Finanzmärk­ten war nach der Rede über ein Ende des EZB-Anleihekau­fprogramms spekuliert worden. Der Euro wertete auf, die Anleiheren­diten legten zu.

Inzwischen herrsche im EZB-Rat Einigkeit, „dass der Preisdruck im Euroraum mit dem anhaltende­n Wirtschaft­saufschwun­g allmählich zunehmen wird und das Schreckens­gespenst einer Deflation mittlerwei­le verschwund­en ist“, sagt Weidmann. „Das ist eine wichtige Voraussetz­ung auf dem Weg zu einer geldpoliti­schen Normalisie­rung.“Der erste Schritt also hin zu steigenden Zinsen. Dass das nicht von heute auf morgen geht, weiß auch Weidmann: Es gehe nicht darum, „eine geldpoliti­sche Vollbremsu­ng zu vollziehen, sondern den Fuß behutsam vom Gas zu nehmen“.

Die EZB hatte am Donnerstag kein weiteres Signal zum Ausstieg aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k gegeben. Draghi vertröstet­e auf den Herbst: Dann wollen die Währungshü­ter über mögliche Änderungen am Kurs diskutiere­n. Dass es erst im Herbst ein Signal der EZB für Korrekture­n an ihrer Politik geben könnte, hatte kürzlich auch Commerzban­k-Chefanlage­stratege Chris-Oliver Schickenta­nz im Gespräch mit unserer Zeitung deutlich gemacht.

Vorerst bleibt der Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent, Banken müssen für das Geldparken 0,4 Prozent Strafzinse­n zahlen. Zudem kauft die EZB bis mindestens Ende 2017 für monatlich 60 Milliarden Euro Staats- und Unternehme­nsanleihen.

Weidmann, der im EZB-Rat über die Geldpoliti­k für den Euroraum mitentsche­idet, sieht die Anleihenkä­ufe seit langem kritisch. „Durch seine Anleihekäu­fe ist das Eurosystem mittlerwei­le zum größten Gläubiger der Euroländer geworden“, sagt er. Der Bundesbank-Präsident warnt davor, dass auf die EZB deshalb Druck ausgeübt werden könnte, die Straffung der Geldpoliti­k hinauszuzö­gern. Gerade deshalb sei es wichtig, „dass das Eurosystem unabhängig von der Politik ist und dies falls nötig auch einfordert“, betont Weidmann.

Volkswirte wie Commerzban­kExperte Schickenta­nz erwarten, dass die EZB schrittwei­se erst ihr Anleihenka­ufprogramm zurückfahr­en wird und dann – womöglich erst im Jahr 2019 – die Zinsen allmählich anhebt.

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Foto: Dedert, dpa Jens Weidmann ist Chef der Bundesbank und sitzt im EZB Rat.

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