Wie spielen Kinder heute?
Einst waren Gummitwist, Mensch ärgere Dich nicht und Pokémon-Karten der Hit bei Kindern. Heute heißen die Lieblingsspielzeuge Tiptoi und Fidget Spinner. Drei Experten erklären, wie sich das Spielen im Laufe der Jahre verändert hat
Das Spielzeug, mit dem das Kind gestern noch ununterbrochen gespielt hat, kann morgen schon unbeachtet in der Ecke liegen. Denn der Spielzeugmarkt wandelt sich schnell. Während vor einigen Jahren noch Jojos und Pokémon-Karten beliebt waren, heißen die heutigen Lieblingsspielzeuge Tiptoi oder Fidget Spinner. Wir haben Experten gefragt, wie sich das Spielen im Laufe der Jahre verändert hat. ● Eine, die diese Frage beantworten kann, ist Gertrud NiggKlee. Die Vorsitzende des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands Schwaben (BLLV) weiß, was auf deutschen Schulhöfen im Trend liegt. „Das zurzeit beliebteste Spielzeug ist der Fidget Spinner“, sagt sie. Diesen Handkreisel, der in der Regel aus einem Kugellager und drei rotierenden Flügeln besteht, gibt es inzwischen in unzähligen Farben und Formen. „Ganz egal, ob Mädchen oder Junge, jedes Kind muss einen haben“, sagt Gertrud Nigg-Klee. Ansonsten wird immer noch gern gesammelt und getauscht: „Panini-Bilder sind nach wie vor sehr beliebt“, sagt sie. „Und Kinder bewegen sich auch immer noch gerne.“Sie spielen auf dem Schulhof Fußball, Fangen oder Gummitwist – wie schon die Generationen vor ihnen.
Etwas ruhiger geht es in Klassenzimmern zu: „Mandalas sind in“, sagt Nigg-Klee. „Sie bieten eine gute Möglichkeit, sich wieder zu konzentrieren. Viele Kinder machen das gerne, um zu sich selbst zu finden und ruhig zu werden.“Dass Schulkinder diesen Ausgleich brauchen, habe Nigg-Klee zufolge mit dem wachsenden Einfluss digitaler Medien zu tun. Wie stark dieser inzwischen ist, zeige sich vor allem am Montagmorgen. „Manche Kinder sind da sehr müde und können sich nur schwer konzentrieren. Wenn die Lehrkraft nachfragt, was sie am Wochenende gemacht haben, kommt oft die Antwort, dass sie stundenlang gezockt haben“, also am Computer, Gameboy oder Smartphone gespielt.
Die Kinder seien dann unkonzentriert, fahrig und zappelig. Bei einigen Kindern könne es sogar mehrere Tage dauern, bis sie „aus der Spielund Fantasiewelt wieder in der Realität ankommen“, sagt Nigg-Klee. Und das ist keineswegs ein Problem, das sich nur in höheren Jahrgangsstufen zeige, sondern auch schon in der ersten Klasse. „Oft spielen die Kinder nicht altersgemäße Spiele“, weiß Nigg-Klee. Vielfach seien sie dabei auch unbeaufsichtigt. „Dabei ist es sehr wichtig, dass Eltern wissen, was ihre Kinder spielen.“● Dieser Meinung ist auch Erziehungsberater und Autor Jan-Uwe Rogge. Er rät Eltern, ihren Kindern zeitliche Grenzen für das digitale Spiel zu setzen. „Es ist immer wichtig, für sein Kind eine altersund entwicklungsbezogene Medienzeit festzulegen.“Er empfiehlt, keine „einzelmedienbezogene Zeitspanne“, sondern eine Gesamtzeit festzulegen, am besten pro Woche. „So haben Kinder auch mal die Möglichkeit, an ein oder zwei Tagen mehr zu spielen.“Sie müssen aber auch aushalten, nicht mehr spielen zu können, wenn ihre Zeit aufgebraucht „Kindern im Rahmen von Grenzen solche Mitsprache zu geben, ist sehr wichtig“, sagt Rogge.
Wie lange die digitale Spielzeit sein sollte? „Das kommt immer auf Die vom Familienministerium iniziierte Initiative „Schau hin“rät Eltern: Kinder bis fünf Jahre sollten Medien maximal 30 Minuten pro Tag nut zen. Für ältere Kinder bietet sich eine wöchentliche Nutzungszeit an. Da bei gilt die Faustregel: eine Stunde pro Lebensjahr in der Woche. Ein sechsjähriges Kind hätte somit sechs, ein neunjähriges Kind neun Stun den pro Woche, in denen es Medien nutzen kann. (sli) das Alter des Kindes an“, sagt Rogge. Je jünger Kinder sind, desto mehr spielen sie analog. „Sie spielen im Sand, toben herum, haben Bausteine und -klötze, mit denen sie experimentieren. Je älter sie werden, desto wichtiger wird das digitale Spiel.“Wichtig sei jedoch, dass Eltern ihren Kindern auch alternative Angebote machen: rausgehen, Wanderungen, gemeinsame Unternehmungen. „Das sind immer noch Dinge, auf die Kinder durchaus abfahren – auch wenn sie sagen ,Ich hab keine Lust‘.“● Einen Tipp, um Kinder zum analogen Spielen zu bewegen, hat Michaela Magin. Die Pressesprecherin beim Spielehersteller Ravensburger rät zu gemeinsamen Spieleabenden. „Das haptische Erleben und das Zusammenkommen um einen Tisch maist. chen einfach Spaß“, erklärt sie, „gerne auch generationenübergreifend.“Wer denkt, Brettspiele seien in Zeiten von Spielekonsolen, Computerspielen und Smartphone-Apps nicht mehr in Mode, täuscht sich. „Das Brettspiel ist keineswegs out“, sagt Magin. Dafür sprechen die Verkaufszahlen des baden-württembergischen Spielwarenherstellers: „Der mit 76 Prozent Umsatzanteil größte Geschäftsbereich ,Spiele, Puzzles, Beschäftigung‘ ist im vergangenen Jahr um acht Prozent auf 358,1 Millionen Euro Umsatz gewachsen“, heißt es im Geschäftsbericht. „Die Umsatzzahlen in dem Segment sind seit zehn, fünfzehn Jahren konstant steigend“, erklärt Magin. Da ist nicht nur Neues gefragt. Auch Spieleklassiker wie das 1986 erschienene „Verrückte Labyrinth“oder „Scotland Yard“, Spiel des Jahres 1983, verkaufen sich noch immer gut.
So ganz bleibt aber auch die Brettspiel-Branche nicht vom digitalen Wandel verschont. „Der Eindruck, dass Spiele und Spielzeug immer digitaler werden, ist schon richtig“, sagt Magin. Das sei aber nicht pauschal schlecht: „Elektronik im Spiel
„Sie bewegen sich auch immer noch gerne“ Medienzeiten für Kinder „Auch digitale Medien können vorteilhaft sein“
bietet Möglichkeiten, die Kinder in eine neue Spieltiefe mitzunehmen. Die Spielwelt bekommt ein anderes Gefühl, wenn sie mit allen Sinnen erlebt wird, wenn Akustik dabei ist oder eine gewisse Form der künstlichen Intelligenz“, sagt sie.
Ein besonders beliebtes Spielzeug aus diesem hybriden Bereich, in dem analoges und digitales Spielen verschmelzen, sei der „Tiptoi“: Das digitale Lernspiel in Form eines großen, sprechenden Stifts kann Bilder erklären oder Figuren eine Stimme verleihen und so Wissen vermitteln.
Denn digitales Spielen heißt nicht per se, dass Kinder mit offenem Mund und leerem Blick vor einem Bildschirm sitzen. Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge warnt davor, digitale Spiele pauschal zu verteufeln: „Vor etwa 230 Jahren hatten wir in Deutschland eine Debatte über Lesesucht. Kinder, die zu viel lesen, würden vom Leben abgehalten, hieß es damals.“Das sei vergleichbar mit der heutigen Debatte. Aber: „Eine nur negative Herangehensweise bringt doch nichts. Auch digitale Medien können vorteilhaft sein. Ich denke, diese Chancen sollte man Kinder nutzen lassen.“Schließlich enthalte jedes Medium Vor- und Nachteile: „Das war im analogen Zeitalter so – und das ist im digitalen genau so.“