Landsberger Tagblatt

Wie spielen Kinder heute?

Einst waren Gummitwist, Mensch ärgere Dich nicht und Pokémon-Karten der Hit bei Kindern. Heute heißen die Lieblingss­pielzeuge Tiptoi und Fidget Spinner. Drei Experten erklären, wie sich das Spielen im Laufe der Jahre verändert hat

- VON SANDRA LIERMANN Die Lehrerin Der Erziehungs­berater Die Spielwaren­hersteller­in

Das Spielzeug, mit dem das Kind gestern noch ununterbro­chen gespielt hat, kann morgen schon unbeachtet in der Ecke liegen. Denn der Spielzeugm­arkt wandelt sich schnell. Während vor einigen Jahren noch Jojos und Pokémon-Karten beliebt waren, heißen die heutigen Lieblingss­pielzeuge Tiptoi oder Fidget Spinner. Wir haben Experten gefragt, wie sich das Spielen im Laufe der Jahre verändert hat. ● Eine, die diese Frage beantworte­n kann, ist Gertrud NiggKlee. Die Vorsitzend­e des Bayerische­n Lehrerinne­n- und Lehrerverb­ands Schwaben (BLLV) weiß, was auf deutschen Schulhöfen im Trend liegt. „Das zurzeit beliebtest­e Spielzeug ist der Fidget Spinner“, sagt sie. Diesen Handkreise­l, der in der Regel aus einem Kugellager und drei rotierende­n Flügeln besteht, gibt es inzwischen in unzähligen Farben und Formen. „Ganz egal, ob Mädchen oder Junge, jedes Kind muss einen haben“, sagt Gertrud Nigg-Klee. Ansonsten wird immer noch gern gesammelt und getauscht: „Panini-Bilder sind nach wie vor sehr beliebt“, sagt sie. „Und Kinder bewegen sich auch immer noch gerne.“Sie spielen auf dem Schulhof Fußball, Fangen oder Gummitwist – wie schon die Generation­en vor ihnen.

Etwas ruhiger geht es in Klassenzim­mern zu: „Mandalas sind in“, sagt Nigg-Klee. „Sie bieten eine gute Möglichkei­t, sich wieder zu konzentrie­ren. Viele Kinder machen das gerne, um zu sich selbst zu finden und ruhig zu werden.“Dass Schulkinde­r diesen Ausgleich brauchen, habe Nigg-Klee zufolge mit dem wachsenden Einfluss digitaler Medien zu tun. Wie stark dieser inzwischen ist, zeige sich vor allem am Montagmorg­en. „Manche Kinder sind da sehr müde und können sich nur schwer konzentrie­ren. Wenn die Lehrkraft nachfragt, was sie am Wochenende gemacht haben, kommt oft die Antwort, dass sie stundenlan­g gezockt haben“, also am Computer, Gameboy oder Smartphone gespielt.

Die Kinder seien dann unkonzentr­iert, fahrig und zappelig. Bei einigen Kindern könne es sogar mehrere Tage dauern, bis sie „aus der Spielund Fantasiewe­lt wieder in der Realität ankommen“, sagt Nigg-Klee. Und das ist keineswegs ein Problem, das sich nur in höheren Jahrgangss­tufen zeige, sondern auch schon in der ersten Klasse. „Oft spielen die Kinder nicht altersgemä­ße Spiele“, weiß Nigg-Klee. Vielfach seien sie dabei auch unbeaufsic­htigt. „Dabei ist es sehr wichtig, dass Eltern wissen, was ihre Kinder spielen.“● Dieser Meinung ist auch Erziehungs­berater und Autor Jan-Uwe Rogge. Er rät Eltern, ihren Kindern zeitliche Grenzen für das digitale Spiel zu setzen. „Es ist immer wichtig, für sein Kind eine altersund entwicklun­gsbezogene Medienzeit festzulege­n.“Er empfiehlt, keine „einzelmedi­enbezogene Zeitspanne“, sondern eine Gesamtzeit festzulege­n, am besten pro Woche. „So haben Kinder auch mal die Möglichkei­t, an ein oder zwei Tagen mehr zu spielen.“Sie müssen aber auch aushalten, nicht mehr spielen zu können, wenn ihre Zeit aufgebrauc­ht „Kindern im Rahmen von Grenzen solche Mitsprache zu geben, ist sehr wichtig“, sagt Rogge.

Wie lange die digitale Spielzeit sein sollte? „Das kommt immer auf Die vom Familienmi­nisterium iniziierte Initiative „Schau hin“rät Eltern: Kinder bis fünf Jahre sollten Medien maximal 30 Minuten pro Tag nut zen. Für ältere Kinder bietet sich eine wöchentlic­he Nutzungsze­it an. Da bei gilt die Faustregel: eine Stunde pro Lebensjahr in der Woche. Ein sechsjähri­ges Kind hätte somit sechs, ein neunjährig­es Kind neun Stun den pro Woche, in denen es Medien nutzen kann. (sli) das Alter des Kindes an“, sagt Rogge. Je jünger Kinder sind, desto mehr spielen sie analog. „Sie spielen im Sand, toben herum, haben Bausteine und -klötze, mit denen sie experiment­ieren. Je älter sie werden, desto wichtiger wird das digitale Spiel.“Wichtig sei jedoch, dass Eltern ihren Kindern auch alternativ­e Angebote machen: rausgehen, Wanderunge­n, gemeinsame Unternehmu­ngen. „Das sind immer noch Dinge, auf die Kinder durchaus abfahren – auch wenn sie sagen ,Ich hab keine Lust‘.“● Einen Tipp, um Kinder zum analogen Spielen zu bewegen, hat Michaela Magin. Die Pressespre­cherin beim Spielehers­teller Ravensburg­er rät zu gemeinsame­n Spieleaben­den. „Das haptische Erleben und das Zusammenko­mmen um einen Tisch maist. chen einfach Spaß“, erklärt sie, „gerne auch generation­enübergrei­fend.“Wer denkt, Brettspiel­e seien in Zeiten von Spielekons­olen, Computersp­ielen und Smartphone-Apps nicht mehr in Mode, täuscht sich. „Das Brettspiel ist keineswegs out“, sagt Magin. Dafür sprechen die Verkaufsza­hlen des baden-württember­gischen Spielwaren­hersteller­s: „Der mit 76 Prozent Umsatzante­il größte Geschäftsb­ereich ,Spiele, Puzzles, Beschäftig­ung‘ ist im vergangene­n Jahr um acht Prozent auf 358,1 Millionen Euro Umsatz gewachsen“, heißt es im Geschäftsb­ericht. „Die Umsatzzahl­en in dem Segment sind seit zehn, fünfzehn Jahren konstant steigend“, erklärt Magin. Da ist nicht nur Neues gefragt. Auch Spieleklas­siker wie das 1986 erschienen­e „Verrückte Labyrinth“oder „Scotland Yard“, Spiel des Jahres 1983, verkaufen sich noch immer gut.

So ganz bleibt aber auch die Brettspiel-Branche nicht vom digitalen Wandel verschont. „Der Eindruck, dass Spiele und Spielzeug immer digitaler werden, ist schon richtig“, sagt Magin. Das sei aber nicht pauschal schlecht: „Elektronik im Spiel

„Sie bewegen sich auch immer noch gerne“ Medienzeit­en für Kinder „Auch digitale Medien können vorteilhaf­t sein“

bietet Möglichkei­ten, die Kinder in eine neue Spieltiefe mitzunehme­n. Die Spielwelt bekommt ein anderes Gefühl, wenn sie mit allen Sinnen erlebt wird, wenn Akustik dabei ist oder eine gewisse Form der künstliche­n Intelligen­z“, sagt sie.

Ein besonders beliebtes Spielzeug aus diesem hybriden Bereich, in dem analoges und digitales Spielen verschmelz­en, sei der „Tiptoi“: Das digitale Lernspiel in Form eines großen, sprechende­n Stifts kann Bilder erklären oder Figuren eine Stimme verleihen und so Wissen vermitteln.

Denn digitales Spielen heißt nicht per se, dass Kinder mit offenem Mund und leerem Blick vor einem Bildschirm sitzen. Erziehungs­berater Jan-Uwe Rogge warnt davor, digitale Spiele pauschal zu verteufeln: „Vor etwa 230 Jahren hatten wir in Deutschlan­d eine Debatte über Lesesucht. Kinder, die zu viel lesen, würden vom Leben abgehalten, hieß es damals.“Das sei vergleichb­ar mit der heutigen Debatte. Aber: „Eine nur negative Herangehen­sweise bringt doch nichts. Auch digitale Medien können vorteilhaf­t sein. Ich denke, diese Chancen sollte man Kinder nutzen lassen.“Schließlic­h enthalte jedes Medium Vor- und Nachteile: „Das war im analogen Zeitalter so – und das ist im digitalen genau so.“

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Foto: Boris Roessler, dpa Die kleinen Handkreise­l namens Fidget Spinner sind der Trend des Sommers und das zurzeit beliebtest­e Spielzeug, sagen Experten. Dieses Kind lässt balanciert den Kreisel auf dem Daumen.

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