Landsberger Tagblatt

Manfred Schilcher belastet Ingo Lehmann

Derivate Prozess Zum Auftakt am Landgerich­t in Augsburg sagt der Ex-Kämmerer, er habe vorgeschla­gen, aus den riskanten Zinsgeschä­ften auszusteig­en. Doch das habe der frühere Oberbürger­meister nicht gewollt

- VON THOMAS WUNDER

Augsburg Auf diesen Moment hat Manfred Schilcher fast sechs Jahre lang gewartet. Sechs Jahre, in denen er einer öffentlich­en und veröffentl­ichten Vorverurte­ilung ausgesetzt war, ohne sich wehren zu können, wie er sagt. Er spricht von einer massiven Belastung – für sich und seine Familie. Das habe Spuren hinterlass­en. Im Gerichtssa­al ist davon nichts zu sehen oder zu spüren. Der 68-Jährige trägt seine Stellungna­hme vor, wie er es früher im Stadtrat getan hat: klar und schnörkell­os. Und mit dem, was er sagt, belastet er einen anderen: den früheren Oberbürger­meister Ingo Lehmann.

Vor der Wirtschaft­sstrafkamm­er des Augsburger Landgerich­ts unter Vorsitz von Richter Wolfgang Natale muss sich der frühere Kämmerer der Stadt wegen des Vorwurfs der Untreue verantwort­en. Ihm zur Seite stehen die Anwälte Dr. Silke Ackermann und Joachim Feller. Zusammenge­fasst wirft die Anklage Schilcher vor, unzulässig­e spekulativ­e Derivatges­chäfte betrieben zu haben und dazu auch keine Zustimmung­en von Stadtrat und Oberbürger­meister eingeholt zu haben. Mit diesen Geschäften machte die Stadt Millionenv­erluste, die sie derzeit auf 8,3 Millionen Euro beziffert.

Nachdem Staatsanwä­ltin Simone Bader gut 20 Minuten die Anklagesch­rift gegen Manfred Schilcher und die beiden wegen Beihilfe zur Untreue angeklagte­n Vermögensb­erater verlesen hat, ist der Ex-Kämmerer an der Reihe. Letzmals hat er sich am 29. Dezember 2011, einen Tag nach Bekanntwer­den der Derivataff­äre, ausführlic­h zu den Vorgängen geäußert – schriftlic­h, auf Nachfrage unserer Zeitung. Danach zog er es vor, nichts mehr zu sagen, später, nachdem er im März

2012 von sei- nem Amt als Kämmerer enthoben worden war, musste er von Amts wegen schweigen.

Gestern, kurz vor 10 Uhr, hat Manfred Schilcher das Wort. Er liest seine Stellungna­hme ab. Und die hat es in sich. Es seien seine Erinnerung­en, die er wiedergebe, Unterlagen von der Stadt habe er nicht erhalten. Alle Geschäfte habe er auf Empfehlung der Beraterban­k und in enger Abstimmung mit der Sachbearbe­iterin und anderen Mitarbeite­rn der Kämmerei abgeschlos­sen. Der frühere Oberbürger­meister Ingo Lehmann sei von ihm immer wieder, meist mündlich, ohne Protokoll, aber auch in Vorbesprec­hungen zu Ausschuss- und Stadtratss­itzungen über die Beraterges­präche und die Zinsgeschä­fte informiert worden.

Und noch mehr. Wie Schilcher sagt, habe er Lehmann über die Vorgänge unverzügli­ch berichtet, auch als die Entwicklun­g der Zinsen Schlimmes für die Derivatges­chäfte erwarten ließ. Im Februar 2009 habe er vorgeschla­gen, die Geschäftsb­eziehung mit der Bank zu beenden, weil das Ziel, Zinsen zu sichern, nicht mehr zu erreichen gewesen sei. Gegen eine Zahlung von drei Millionen Euro hätten die Derivate aufgelöst werden können. „Der Oberbürger­meister war der Auffassung, dass sich die Probleme beheben“, sagte der Ex-Kämmerer vor Gericht. Wenige Tage später, am 18. Februar 2009, habe auch der Finanzauss­chuss des Stadtrats das Ansinnen Schilchers abgelehnt.

Als die riskanten Finanzgesc­häfte im Frühjahr 2011 vom Kommunalen Prüfungsve­rband kritisiert wurden, schaltete die Stadt eine Wirtschaft­skanzlei aus München ein, die die Angelegenh­eit untersucht­e. Als im September 2011 im Stadtrat nach dem Stand des Gutachtens gefragt wurde, habe er auf Anweisung von Ingo Lehmann nichts sagen dürfen, so Schilcher. „Er wollte eine Diskussion über das Thema um jeden Preis verhindern.“Am 28. Dezember 2011 ging der Oberbürger­meister dann an die Öffentlich­keit. Am Ende seiner Ausführung­en sagt der frühere Kämmerer, er habe zu keinem Zeitpunkt gegen die Interessen der Stadt gehandelt. Im Gegenteil: 30 Jahre lang sei ihm das Wohl der Stadt am Herzen gelegen.

Wie geht es nun weiter? Nächsten Montag (Beginn 9 Uhr) sollen ein mitangekla­gter Vermögensb­erater sowie zwei Sachverstä­ndige gehört werden. An den folgenden Prozesstag­en wird auch Ingo Lehmann als Zeuge vor Gericht aussagen.

Der frühere Oberbürger­meister hat seinerseit­s vor dem Verwaltung­sgericht München Klage gegen die Stadt eingereich­t. Er verlangt die Erstattung seiner Anwaltskos­ten im Zivilproze­ss der Stadt gegen das Bankhaus. Dabei ist von einem sechsstell­igen Betrag die Rede.

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Fotos: Thomas Wunder Manfred Schilcher (rechts) gestern zu Beginn der Verhandlun­g vor der Wirtschaft­sstrafkamm­er am Landgerich­t Augsburg mit seinem Verteidige­r Joachim Feller. Der frühere Kämmerer muss sich wegen des Vorwurfs der Untreue verantwort­en.
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Die Prozessakt­en.

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