Manfred Schilcher belastet Ingo Lehmann
Derivate Prozess Zum Auftakt am Landgericht in Augsburg sagt der Ex-Kämmerer, er habe vorgeschlagen, aus den riskanten Zinsgeschäften auszusteigen. Doch das habe der frühere Oberbürgermeister nicht gewollt
Augsburg Auf diesen Moment hat Manfred Schilcher fast sechs Jahre lang gewartet. Sechs Jahre, in denen er einer öffentlichen und veröffentlichten Vorverurteilung ausgesetzt war, ohne sich wehren zu können, wie er sagt. Er spricht von einer massiven Belastung – für sich und seine Familie. Das habe Spuren hinterlassen. Im Gerichtssaal ist davon nichts zu sehen oder zu spüren. Der 68-Jährige trägt seine Stellungnahme vor, wie er es früher im Stadtrat getan hat: klar und schnörkellos. Und mit dem, was er sagt, belastet er einen anderen: den früheren Oberbürgermeister Ingo Lehmann.
Vor der Wirtschaftsstrafkammer des Augsburger Landgerichts unter Vorsitz von Richter Wolfgang Natale muss sich der frühere Kämmerer der Stadt wegen des Vorwurfs der Untreue verantworten. Ihm zur Seite stehen die Anwälte Dr. Silke Ackermann und Joachim Feller. Zusammengefasst wirft die Anklage Schilcher vor, unzulässige spekulative Derivatgeschäfte betrieben zu haben und dazu auch keine Zustimmungen von Stadtrat und Oberbürgermeister eingeholt zu haben. Mit diesen Geschäften machte die Stadt Millionenverluste, die sie derzeit auf 8,3 Millionen Euro beziffert.
Nachdem Staatsanwältin Simone Bader gut 20 Minuten die Anklageschrift gegen Manfred Schilcher und die beiden wegen Beihilfe zur Untreue angeklagten Vermögensberater verlesen hat, ist der Ex-Kämmerer an der Reihe. Letzmals hat er sich am 29. Dezember 2011, einen Tag nach Bekanntwerden der Derivataffäre, ausführlich zu den Vorgängen geäußert – schriftlich, auf Nachfrage unserer Zeitung. Danach zog er es vor, nichts mehr zu sagen, später, nachdem er im März
2012 von sei- nem Amt als Kämmerer enthoben worden war, musste er von Amts wegen schweigen.
Gestern, kurz vor 10 Uhr, hat Manfred Schilcher das Wort. Er liest seine Stellungnahme ab. Und die hat es in sich. Es seien seine Erinnerungen, die er wiedergebe, Unterlagen von der Stadt habe er nicht erhalten. Alle Geschäfte habe er auf Empfehlung der Beraterbank und in enger Abstimmung mit der Sachbearbeiterin und anderen Mitarbeitern der Kämmerei abgeschlossen. Der frühere Oberbürgermeister Ingo Lehmann sei von ihm immer wieder, meist mündlich, ohne Protokoll, aber auch in Vorbesprechungen zu Ausschuss- und Stadtratssitzungen über die Beratergespräche und die Zinsgeschäfte informiert worden.
Und noch mehr. Wie Schilcher sagt, habe er Lehmann über die Vorgänge unverzüglich berichtet, auch als die Entwicklung der Zinsen Schlimmes für die Derivatgeschäfte erwarten ließ. Im Februar 2009 habe er vorgeschlagen, die Geschäftsbeziehung mit der Bank zu beenden, weil das Ziel, Zinsen zu sichern, nicht mehr zu erreichen gewesen sei. Gegen eine Zahlung von drei Millionen Euro hätten die Derivate aufgelöst werden können. „Der Oberbürgermeister war der Auffassung, dass sich die Probleme beheben“, sagte der Ex-Kämmerer vor Gericht. Wenige Tage später, am 18. Februar 2009, habe auch der Finanzausschuss des Stadtrats das Ansinnen Schilchers abgelehnt.
Als die riskanten Finanzgeschäfte im Frühjahr 2011 vom Kommunalen Prüfungsverband kritisiert wurden, schaltete die Stadt eine Wirtschaftskanzlei aus München ein, die die Angelegenheit untersuchte. Als im September 2011 im Stadtrat nach dem Stand des Gutachtens gefragt wurde, habe er auf Anweisung von Ingo Lehmann nichts sagen dürfen, so Schilcher. „Er wollte eine Diskussion über das Thema um jeden Preis verhindern.“Am 28. Dezember 2011 ging der Oberbürgermeister dann an die Öffentlichkeit. Am Ende seiner Ausführungen sagt der frühere Kämmerer, er habe zu keinem Zeitpunkt gegen die Interessen der Stadt gehandelt. Im Gegenteil: 30 Jahre lang sei ihm das Wohl der Stadt am Herzen gelegen.
Wie geht es nun weiter? Nächsten Montag (Beginn 9 Uhr) sollen ein mitangeklagter Vermögensberater sowie zwei Sachverständige gehört werden. An den folgenden Prozesstagen wird auch Ingo Lehmann als Zeuge vor Gericht aussagen.
Der frühere Oberbürgermeister hat seinerseits vor dem Verwaltungsgericht München Klage gegen die Stadt eingereicht. Er verlangt die Erstattung seiner Anwaltskosten im Zivilprozess der Stadt gegen das Bankhaus. Dabei ist von einem sechsstelligen Betrag die Rede.