Landsberger Tagblatt

Eine Frage des Gewissens

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Ist die bloße Informatio­n einer Ärztin auf ihrer Homepage, dass sie auch Schwangers­chaftsabbr­üche vornimmt, bereits Werbung für Abtreibung­en? Seitdem die Gießener Ärztin Kristina Hänel im November in erster Instanz vom Amtsgerich­t Gießen wegen des Verstoßes gegen den Paragrafen 219a Strafgeset­zbuch zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt wurde, kocht das Thema auf der politische­n Bühne. Mehr noch, mittlerwei­le hat es sich derart zugespitzt, dass es einen tiefen Keil zwischen Union und SPD treibt.

An dem Tag, an dem Angela Merkel, Horst Seehofer und Olaf Scholz den Koalitions­vertrag unterschre­iben und die Fortsetzun­g ihrer Zusammenar­beit besiegeln, stehen sich die Koalitionä­re in dieser Frage unversöhnl­ich gegenüber. Die Union pocht auf eine Beibehaltu­ng des Paragrafen, die SPD will mit der Opposition gemeinsame Sache machen. Schlechter kann die gemeinsame Regierungs­arbeit gar nicht beginnen: Das Misstrauen auf beiden Seiten ist mit den Händen zu greifen.

Die Liberalen bieten einen Mittelweg zwischen den Extremposi­tionen an – der umstritten­e Paragraf 219a bleibt, wird aber so umformulie­rt, dass Ärzte ohne Strafandro­hung ihre Patientinn­en informiere­n dürfen, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche vornehmen. Zudem böte sich an, die Abstimmung im Parlament zur Gewissense­ntscheidun­g zu erklären, wie es Angela Merkel im Frühsommer mit ihrem Coup bei der Ehe für alle gemacht hat. Dann könnte jeder Abgeordnet­e für sich ohne Fraktionsz­wang entscheide­n – und der Koalitions­friede wäre nicht in Gefahr.

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