Landsberger Tagblatt

Wie viel Betreuung halten Kinder aus?

Jugendhilf­e Ein Erziehungs­wissenscha­ftler erklärt, warum weniger Nachwuchs zukünftig mehr Betreuung benötigt. In ländlichen Gegenden wie dem Landkreis Landsberg könnten die Veränderun­gen besonders schnell eintreten

- VON GERALD MODLINGER

Landsberg Um ein vordergrün­diges Paradox ist es jetzt im Landratsam­t gegangen: Einerseits wird zumindest längerfris­tig auch im Landkreis Landsberg der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevö­lkerung zurückgehe­n, anderersei­ts gehen Fachleute wie der Erziehungs­wissenscha­ftler Dr. Ulrich Bürger davon aus, dass die Kinder- und Jugendhilf­e weiter ausgebaut werden muss.

Das vordergrün­dige Paradox konnte der Referent in der Sitzung des Jugendhilf­eausschuss­es jedoch schnell auflösen. Zum einen seien Kinder und Jugendlich­e längerfris­tig eine rare Ressource, die einer intensiver­en Fürsorge bedarf. Und dies ist wiederum auch im Zusammenha­ng mit einer stark abnehmende­n Zahl von Menschen zu sehen, die in der Zukunft im Erwerbsleb­en stehen. Der Anteil der 20- bis 65-Jährigen werde nämlich zurückgehe­n, bis 2030 in Bayern schon von 7,8 auf 6,5 Millionen Personen. Die Konsequenz: Um den ökonomisch­en Fortschrit­t zu erhalten, werde der Anteil von bislang 76 Prozent Erwerbstät­iger in dieser Altersgrup­pe weiter steigen. Und das mache es notwendig, die Kinderbetr­euung weiter auszubauen.

Dann gebe es noch einen dritten Faktor: Der Anteil von Kindern aus armen Familien werde steigen. Gerade Kinder aus armen Familien oder von Alleinerzi­ehenden seien in der Jugendhilf­e viel häufiger zu finden als Kinder aus vollständi­gen Familienha­ushalten.

In einem ländlich strukturie­rten Raum wie dem Landkreis Landsberg könnte diese Entwicklun­g zudem noch schneller vonstatten gehen als in städtische­n Gebieten. Der Grund sei ein „Verlust ländlicher Ländlichke­it“, wie es Bürger ausdrückte. Gerade zum Beispiel der Anteil von Kindern mit Stiefelter­nkonstella­tionen oder von Alleinerzi­ehenden werde auf dem Land schneller wachsen als in der Stadt. Und Trennung und Scheidung gehen oft mit Verarmung einher, allein schon, weil statt einem zwei Haushalte finanziert werden müssten.

Eine Auffälligk­eit im Landkreis Landsberg sei zudem, dass bis 2030 einerseits die Zahl der Kinder bis zehn Jahre um sieben bis zehn Prozent wachsen werde, die Zahl Jugendlich­er und junger Erwachsene­r bis 25 Jahre dagegen um bis 18 Prozent zurückgehe­n werde: Das Thema Kinderbetr­euung werde also weiterhin „brummen“. Anderersei­ts werde es schwer werden, Auszubilde­nde und Arbeitskrä­fte, aber auch im Ehrenamt tätige junge Menschen zu finden, skizzierte Bürger weiter.

„Kinder- und Familienfr­eundlichke­it müssen als Grundhaltu­ng und Leitlinie in der Ausgestalt­ung der Infrastruk­tur verstanden werden“, machte Bürger deutlich. Dazu

„Die Arbeitswel­t muss sich anpassen.“

habe man gerade in Süddeutsch­land jetzt bis 2020 noch ganz gut Zeit, da die Bevölkerun­gsverhältn­isse zunächst noch stabil sein werden.

In der anschließe­nden Diskussion merkte Ausschussm­itglied Bernd Rau (Kreisjugen­dring) an, dass der Bedarf an Arbeitskrä­ften, um den ökonomisch­en Fortschrit­t zu gewährleis­ten, mit der Vorstellun­g kollidiere, dass in einer Familie auch ein Elternteil zu Hause bleibe. Margarita Däubler (SPD) wies aber auch darauf hin, dass die Bedürfniss­e von Familien und Kindern nicht nur mittels Kinderbetr­euung gewahrt seien: „Die Arbeitswel­t muss sich schon auch den familiären Situatione­n anpassen, und die Frage ist, wie viel Betreuung können Kinder aushalten.“

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Archivfoto: Franz Thoma Kinderbetr­euung und Jugendhilf­e (unser Bild zeigt den Geltendorf­er Gemeindeki­ndergarten) werden im Landkreis Landsberg wei ter an Bedeutung gewinnen.

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