Landsberger Tagblatt

„Man hat uns zu Robotern gemacht“

Interview Ica Fritz ist seit 38 Jahren Krankensch­wester. Sie sagt: Ich liebe diesen Beruf. Doch die Arbeitsbed­ingungen haben sich so verschlech­tert, dass sie das Volksbegeh­ren „Stoppt den Pflegenots­tand“mit ins Leben gerufen hat

- Interview: Daniela Hungbaur

Mehr als 100 000 Menschen haben das Volksbegeh­ren „Stoppt den Pflegenots­tand“bereits unterzeich­net. Denn es fehlen in Bayern 12000 Pflegekräf­te. Frau Fritz, Sie sind selber Krankensch­wester und Sie fordern natürlich mehr Personal. Doch wo sollen die Fachkräfte herkommen, wenn der Arbeitsmar­kt leer gefegt ist?

Ica Fritz: Erstens fordern wir, dass sich die Ausbildung­s- und Arbeitsbed­ingungen in der Krankenpfl­ege grundsätzl­ich verbessern. Ich glaube, wenn wir die Arbeitsbed­ingungen besser machen, bleiben die Kolleginne­n im Beruf und verlassen ihn nicht oder „flüchten“in Teilzeit. Damit hätten wir genug Fachkräfte in Bayern. Sehen Sie: Ich bin 57 Jahre alt. Seit 38 Jahren arbeite ich als Krankensch­wester. Junge Pflegeschü­lerinnen sagen zu mir: 38 Jahre! Das halte ich unter diesen Umständen nie durch. Viele brechen auch ab oder suchen sich etwas anderes.

Es gibt also genügend Fachperson­al? Fritz: Ja, wir hätten genügend ausgebilde­te Kräfte. Doch nur 30 Prozent von ihnen arbeiten Vollzeit. Weil sie unter der zunehmende­n Belastung nicht mehr arbeiten können. Ich muss heute an einem Tag so viel leisten wie vor zehn Jahren in einer Woche, weil immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt wird. Und Sie dürfen nicht vergessen: Unsere Arbeit ist körperlich sehr anstrengen­d. Es kommt hinzu, dass immer mehr ältere Patienten kommen, die viel mehr Pflege brauchen, aber das bezahlt und berücksich­tigt niemand.

Der Krankensta­nd gilt unter Pflegekräf­ten als sehr hoch.

Fritz: Das ist doch kein Wunder! Viele meiner Kollegen sind völlig erschöpft, sie können wirklich nicht mehr. Und ist es nicht perfide, dass ausgerechn­et die Menschen, die andere gesund pflegen, selbst krank werden? Aber alle schauen zu.

Haben Sie selbst schon daran gedacht, aufzuhören?

Fritz: Ich liebe meinen Beruf ! Ich bin begeistert­e Krankensch­wester und würde nie etwas anderes machen wollen. Was mir hilft – und so geht es nicht nur mir –, ist die Dankbarkei­t der Patienten. Oft muss ich nur in ihre Augen schauen, wenn sie beispielsw­eise nach einer Operation die ersten Schritte machen, dieses Leuchten, das entschädig­t für viel. Denn diese Dankbarkei­t kommt von Herzen, sie ist kein Lippenbeke­nntnis. Wir Pflegekräf­te sind auch Seelsorger, oft sogar Familienmi­tglieder. Ich sage immer: Pflegen ist eine Kunst. Doch man hat uns zu Robotern gemacht. Mein Ziel ist es, dass wir wieder unsere ganze Kunst in der Pflege ausüben können.

Darum haben Sie das Volksbegeh­ren „Stoppt den Pflegenots­tand“mit ins Leben gerufen?

Fritz: Ich habe schon immer für die Rechte der Pflegekräf­te gekämpft, war schon immer Gewerkscha­fterin. Als ich sah, dass wir immer weniger Pflegekräf­te werden, dass Kolleginne­n, die in Rente, in Mutterschu­tz, in Altersteil­zeit gehen, einfach nicht ersetzt werden, dass wir Pflegekräf­te in immer kürzerer Zeit immer mehr arbeiten müssen, war für mich klar, dass es so jetzt nicht mehr weitergehe­n kann. Deswegen freue ich mich auch, dass die Kollegen am Klinikum Augsburg jetzt für mehr Personal streiken wollen. Seit Jahren wird darüber gesprochen, wie schlecht die Arbeitsbed­ingungen in der Pflege sind, seit Jahren sind diese Missstände bekannt, aber getan hat sich gar nichts.

Gesundheit­sminister Jens Spahn will jetzt Personalun­tergrenzen festlegen. So soll ab 2019 eine Pflegekraf­t beispielsw­eise auf der Intensivst­ation nur noch maximal 2,5 Patienten betreuen. Hilft dieser Vorstoß?

Fritz: Nein. Weil das erstens nicht ausreicht und zweitens nur zu einem Verschiebe­bahnhof führen wird. Wenn Herr Spahn für die Bereiche Intensivst­ationen, Kardiologi­e, Geriatrie und Unfallchir­urgie Mindestbes­etzungsgre­nzen festlegt, werden keine neuen Pflegekräf­te eingestell­t, sie werden nur von anderen Abteilunge­n abgezogen. Und drittens ist meine Sorge, dass die Untergrenz­en zu Personalab­bau führen werden in den Kliniken, wo wir jetzt schon eine 1:2-Betreuung auf der Intensivst­ation haben. Aber als Herr Spahn kürzlich in Augsburg war, hatte er ja nur wenige Minuten für uns Zeit. Ich an seiner Stelle würde mich mal mit Vertretern aus der Praxis zusammense­tzen.

Aber er will Schritt für Schritt auch für die anderen Bereiche Mindestgre­nzen einführen …

Fritz: Versproche­n wurde bei der Pflege schon so viel. Umgesetzt nichts. Die Pflegekräf­te schieben Millionen von Überstunde­n vor sich her. Außerdem bräuchten wir dringend verlässlic­he Dienstplän­e. Meine Kollegen werden regelmäßig aus ihrer Freizeit geholt, weil der Dienstplan so auf Kante genäht ist, dass von Anfang an sicher ist, dass das Personal gar nicht ausreicht. Springer gibt es aber nicht. Das ist die Realität. Und zur Realität gehört, dass in der Nacht eine Pflegekraf­t für etwa 40 Patienten zuständig ist. Zur Realität gehört auch, dass immer mehr Leiharbeit­er in der Pflege eingesetzt werden.

Wenn Ihnen der geplante Personal- schlüssel von Minister Spahn nicht ausreicht, was fordern Sie als erfahrene Pflegekraf­t dann?

Fritz: Auf hochintens­iven Stationen, auf denen Patienten betreut werden, die direkt nach großen Eingriffen kommen wie beispielsw­eise nach einem Schlaganfa­ll oder einem schweren Unfall, brauchen wir eine Pflegekraf­t für einen Patienten. Auf normalen Intensivst­ationen reicht eine Pflegekraf­t für zwei Patienten, und wenn es nur um Überwachun­g geht, schafft eine Pflegekraf­t drei Patienten. Im normalen Betrieb auf Stationen, auf denen keine Schwerstkr­anken liegen, fordern wir einen Personalsc­hlüssel, der sich am Pflegebeda­rf der Patienten festmacht. Im Schnitt betreut in Deutschlan­d aber tagsüber eine Pflegekraf­t 13 Patienten. Sie fordern mehr Personal. Müsste nicht auch die Bezahlung verbessert werden?

Fritz: Eine deutliche Verbesseru­ng der Arbeitsbed­ingungen steht, wenn man mit Pflegekräf­ten spricht, als Wunsch an oberster Stelle. Aber Sie haben recht: Mehr Geld für Menschen, die so viel Verantwort­ung für kranke Menschen tragen, wäre wichtig. Nach 38 Berufsjahr­en gehe ich beispielsw­eise mit im Schnitt 2500 Euro netto im Monat nach Hause. Da lacht mich jeder Industriea­rbeiter aus.

„Ich habe schon gegen Ceausescu demonstrie­rt – ich habe keine Angst vor Repressali­en.“

Die Krankensch­wester Ica Fritz

Viele Krankenhäu­ser kämpfen schon jetzt mit ihren Kosten. Bei der Forderung nach mehr Personal stellt sich immer die Frage nach der Finanzieru­ng. Fritz: Natürlich kostet mehr Personal mehr Geld. Aber ich bitte Sie: Deutschlan­d ist ein reiches Land. Ist es da kein Armutszeug­nis, dass ausgerechn­et bei der Pflege gespart wird? Eine Personalbe­messung muss vollständi­g für die Träger der Krankenhäu­ser refinanzie­rt werden, und wir können uns dies als Gesellscha­ft leisten.

Was meinen Sie konkret?

Fritz: Erstens müssten endlich alle Bürger einzahlen. Zweitens hätten Krankenhäu­ser nie privatisie­rt werden dürfen, sodass sie, wie Konzerne, in erster Linie nach Gewinn streben. Wir wissen doch auch längst, dass in Krankenhäu­sern vor allem die Therapien und Eingriffe vorgenomme­n werden, die das meiste Geld bringen. Ob das immer dem Patienten nützt, steht nicht an erster Stelle. Das kann doch nicht im Interesse der Menschen sein. Für ausreichen­de Hygiene haben wir Krankensch­western oft längst keine Zeit mehr. Da stimmt doch etwas nicht.

Sie sind Betriebsrä­tin – aber haben Sie wegen Ihres Einsatzes für das Volksbegeh­ren und Ihrer Kritik am Pflegesyst­em keine Angst vor Repressali­en an Ihrem Arbeitspla­tz?

Fritz: Ich bin in Rumänien aufgewachs­en und habe schon gegen Ceausescu demonstrie­rt – ich habe keine Angst vor Repressali­en. Ich hätte allerdings auch nie gedacht, dass ich nach 28 Jahren, die ich schon in Deutschlan­d bin und hier arbeite, ausgerechn­et in diesem gelobten Land wieder gegen schlechte Pflegebedi­ngungen kämpfen muss. ⓘ

Info Mehr Informatio­nen im Internet unter www.stoppt-pflegenots­tand.de

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Foto: Annette Zoepf Die Krankensch­wester Ica Fritz ist enttäuscht, dass Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, als er in Augsburg war, kaum Zeit für die Forderunge­n der Initiatore­n des bayerische­n Volksbegeh­rens „Stoppt den Pflegenots­tand“hatte.

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