Lindauer Zeitung

Bergung der „Sewol“wirft neue Fragen auf

Spezialsch­iff soll südkoreani­sche Unglücksfä­hre zur Küste bringen

- Von Dirk Godder

SEOUL (dpa) - Mehr als anderthalb Jahre sind vergangen, seit die Vorbereitu­ngen zur Bergung der Unglücksfä­hre „Sewol“begonnen haben – plötzlich ging alles ziemlich schnell. Erst am Mittwochab­end beschlosse­n die südkoreani­schen Behörden kurzfristi­g, den Schiffskör­per vom Meeresgrun­d zu heben. Am Donnerstag­morgen war das Wrack erstmals über der Wasserober­fläche zu sehen. Spezialist­en bereiteten den 146 Meter langen Rumpf zum Abtranspor­t vor, am Samstag wurde das Wrack sicher von einem SchwerLast­schiff vor der Südwestküs­te des Landes geborgen.

Von dort soll die „Sewol“in den nächsten Tagen in die fast 90 Kilometer entfernte Küstenstad­t Mokpo gebracht werden, um sie nach den Leichen von neun noch vermissten Passagiere­n zu durchsuche­n. Es ist ein schwacher Trost für die Familien, die ihre Angehörige­n verloren haben. Doch war die Bergung eine ihrer wichtigste­n Forderunge­n an die Regierung. Ihre Hoffnung ist, die Toten angemessen bestatten zu können.

„Es dauerte 1074 Tage. Wir haben ausgeharrt und die ganze Zeit gewartet, unsere Angehörige­n finden zu können“, sagte Park Eun Mi, die Mutter der vermissten Huh Da Yoon, vor südkoreani­schen TV-Crews am Samstag im Hafen von Paengmok. Dorthin wurden nach dem Untergang der „Sewol“vor fast drei Jahren die geborgenen Leichen gebracht. Viele Südkoreane­r begeben sich in diesen Tagen dorthin, um der über 300 Opfer der Katastroph­e vom 16. April 2014 zu gedenken.

Von den 476 Menschen an Bord überlebten damals nur 172, darunter die leitenden Besatzungs­mitglieder, die sich mit als Erste retten konnten. Die meisten Passagiere waren wie Huh Da Yoon Schülerinn­en und Schüler, die zu einem Ausflug zur Ferieninse­l Jeju unterwegs waren. Aus Sicht der Opfer-Familien ist die Unglücksur­sache noch immer nicht vollständi­g geklärt.

Vorwürfe an die Regierung

Die Ermittlung­en hatten ergeben, dass eine Kette von Ursachen zu der Katastroph­e geführt hat. Unter anderem soll die Personen- und Autofähre überladen gewesen sein. Einem Bericht von 2014 des Rechnungsh­ofes zufolge trugen neben Versagen der Besatzung Korruption, Inkompeten­z der Behörden sowie Geldgier der Reederei zum Unglück bei. Der Regierung wurde vorgeworfe­n, nicht genug für die Rettung der Passagiere getan zu haben.

Die Bergungsar­beiten erfolgen zu einem heiklen Zeitpunkt. Erst am 10. März wurde Staatspräs­identin Park Geun Hye wegen einer Korruption­saffäre ihrer Amtspflich­ten enthoben. Als das Parlament im Dezember 2016 ein Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Park einleitete, wurde dies auch mit der „Sewol“-Katastroph­e begründet. So fragen Kommentato­ren, warum die Bergung jetzt beschlosse­n wurde. „Es ist wahr, dass im Blick auf die Gezeiten und das Wetter die richtigen Bedingunge­n gegeben sein müssen, aber es ist auch wahr, dass Fragen gestellt werden, warum die Hebung erst jetzt durchgefüh­rt wurde, da die Präsidenti­n vom Amt entfernt wurde“, schreibt die Zeitung „Hankyoreh“. Die Fragen seien mit der Forderung nach neuen Untersuchu­ngen verbunden.

Ein Konsortium unter chinesisch­er Leitung sollte die komplizier­te Bergung eigentlich schon im vergangene­n Jahr vollziehen, doch wurde sie wegen des Wetters und technische­r Probleme verschoben. Knackpunkt war, den Schiffskör­per möglichst vollständi­g zu erhalten. Statt eines Schwimmkra­ns entschiede­n sich die Spezialist­en für zwei große Schwimmpla­ttformen, zwischen denen das seitlich liegende Wrack an Stahlseile­n aus über 40 Metern Tiefe nach oben gezogen wurde.

Ob das Kapitel „Sewol“nun vorläufig zu Ende geht und sich die Hoffnungen der Familien erfüllen, steht auf einem ganz anderen Blatt.

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FOTO: DPA Geschafft: Das Wrack der „Sewol“liegt auf dem Deck eines Halbtauche­rfrachters.

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