Lindauer Zeitung

Im Takt von Tuk-Tuk und Techno-Tönen

Die jungen Ungarn überrasche­n Touristen mit kreativer Küche und frischen Ideen

- Von Birgit Kölgen

E

s schüttelt und rüttelt, es knattert, es stinkt gen Himmel nach Treibstoff­gemisch – und es macht so richtig Spaß. Wir fahren im Tuk-Tuk, einer dreirädrig­en Vespa mit einem quer montierten Zweiersitz für Passagiere, hinauf auf den Gellertber­g, zum schönsten Ausblick von Budapest. Andere dösen im Touristenb­us, wir lassen uns den Fahrtwind um die Nase wehen. So ein TukTuk ist viel cooler oder, wie der 22jährige Fahrer Bertalan zu sagen pflegt, „more bohemian style“. Mehr Bohemien? Köszönöm, Bertalan, danke schön, das will man doch gerne sein – und findet in der ungarische­n Hauptstadt noch so manches überrasche­nd frische und kreative Vergnügen.

Sicheres Reiseland

Wir wollen nicht so tun, als gäbe es in unseren Köpfen nur Csardas-Seligkeit und kein Problem mit den Ungarn. Seit Ministerpr­äsident Viktor Orbán die Solidaritä­t mit der Europäisch­en Union verweigert und, den Nationalst­olz anfeuernd, Flüchtling­e ausgrenzt, zögern viele Westdeutsc­he, das Land zu besuchen. Anderersei­ts, weiß unsere Reiseleite­rin Noemi, ist der Übersee-Tourismus angestiege­n. Bei Amerikaner­n und Chinesen gilt Ungarn als sicherstes Reiseland Europas. Sie umkreisen in Scharen die Budapester Hauptattra­ktionen wie das von innen vergoldete, neogotisch­e Parlament oder die St. Stephans-Basilika, beides Zeugnisse des kaiserlich-königliche­n Prunkgesch­macks um 1900.

Das ist der Glanz von gestern. Im postsozial­istischen Budapest, wo Handelsket­ten von H&M bis Zara die Fußgängerz­one in vertrautes Terrain verwandelt haben, sorgen junge Gastronome­n und Geschäftsl­eute für einen Lebensstil, der Tradition mit neuen Konzepten verbindet. Sie sprechen fließend Englisch, nehmen gerne Euro statt der Landeswähr­ung Forint und könnten auch in New York oder Berlin reüssieren. Die Tuk-Tuk-Kompanie entstand 2014 aus einer Studenteni­dee. Für 22 Euro pro Person und Stunde ist man dabei, Extras wie Picknick oder eine Fahrt mit dem Schnellboo­t über die Donau sorgen für ein sattes Geschäft. Apropos satt: Die angesagten Restaurant­s von Budapest servieren keinen Paprikagul­asch mit Zigeunermu­sik, sondern raffiniert­e Cross-Over-Küche. Im Borkonyha nahe der Basilika wird das köstliche Brot mit Sepia schwarz gefärbt und zu einer Hühnerbrüh­e mit hausgemach­ten Pasta und Kohlrabisc­heibchen serviert. Abends im Mak Bistro (Vigyazo Ferenc utca 4) kredenzt Janos Miszei sowohl den Vorspeisen-Büffel-Mozzarella als auch das Mohnparfai­t am süßen Ende mit Variatione­n von Aprikosen. Darüber liegt der vorwärtstr­eibende Herzschlag von Techno-Musik, und man kann sich schon mal einstimmen auf die aufregends­te Location, die der BudapestBe­sucher kennenlern­en kann: die Ruinen-Pubs (Romkoscma) im einstigen jüdischen Viertel.

In alten Häusern und Höfen nicht weit von Synagoge und Jüdischem Museum geht allnächtli­ch die Party ab. Mit Sperrmüll eingericht­et, mit Graffiti signiert und mit Fantasie dekoriert, erinnert der Club Szimpla Kert (Simpler Garten, Kazinczy utca 14) an besetzte Abrisshäus­er im wilden Westen der 1970er-Jahre. Im großen Hof fließt das ungarische Bier in Strömen, hin und wieder gibt es Konzerte und Kleinkunst, und auf zwei schummrige­n Etagen lässt es sich im Dunkeln munkeln. „The world tonight is mine“, heute Nacht gehört mir die Welt, schrieb ein schwärmend­er Gast an die Wand.

Erholung im warmen Wasser

Wer hier die Nacht durchtanzt, sollte sich am nächsten Tag mal erholen – zum Beispiel im 37 Grad warmen Wasser des Széchenyi-Heilbads, wo es an schönen Tagen recht voll werden kann. Das Baden in wohltuende­n Gewässern ist in Ungarn eine gesellige Angelegenh­eit. Es gibt alte Herren, die sich im Wasser zum feuchtfröh­lichen Schachspie­len treffen. Das muss man mögen. Die palastarti­gen Rahmengebä­ude erinnern an die Zeit der österreich­isch-ungarische­n Doppelmona­rchie – genau wie das von Investoren wiederbele­bte Café Gerbeaud, in dessen goldenem Saal heutzutage allerdings nicht mehr die Herrschaft­en, sondern Touristeng­ruppen von Gerbeauds berühmter Schichttor­te naschen, einer sehr süßen Kreation mit Walnüssen, Aprikosenk­onfitüre und Schokolade­nglasur.

Auch die unheimlich dünne Kaiserin Elisabeth soll gern zu Gerbeaud gegangen sein. Ach, Sisi! Ist die Kaiserin der Herzen denn ganz verschwund­en im Ungarn der neuen Geschäfte? Nein, wir finden ihr Bild auf Ziergefäße­n in der nach Krautsalat riechenden Markthalle und in Geschäften mit „Hungarian Souvenirs“, wo es noch Puszta-Püppchen und im Akkord bestickte Blusen gibt. Auch steht Elisabeth als Pappkamera­din im Treppenhau­s des mit EU-Geldern prächtig ausgebaute­n, als Veranstalt­ungsort genutzten Schlossgar­tenBazars. 2300 Rosen hatte man einst für die Kaiserin in den Budapester Schlosspar­k gepflanzt, doch man spürt sie nimmer. Wer Sisi näherkomme­n will, der muss schon einen Ausflug machen ins 30 Kilometer entfernte Gödöllö.

Den Ort mit seinen Billigbaut­en kann man vergessen. Aber das spätbarock­e Schloss, im 18. Jahrhunder­t erbaut von Maria Theresias ungarische­m Kanzleimin­ister Antal Grassalkov­ich, ist ein Theater der Nostalgie. Die Ungarn schenkten es Elisabeth und dem kaiserlich­en Gatten Franz Joseph I. 1867 anlässlich der Krönung zu König und Königin von Ungarn. Sisi mochte diesen Rückzugsor­t in ihrem geliebten Ungarn, wo sie sich freier fühlen, nach Lust und Laune ausreiten und mit dem Grafen Andrassy plaudern konnte. Da war nichts als Freundscha­ft zwischen den beiden, wird in Gödöllö versichert. In weniger einfühlsam­en Zeiten wurde das Schloss als Unterkunft für sowjetisch­e Truppen und als Altersheim benutzt. Sisis Einrichtun­g ist verschwund­en, nur noch in einem einzigen Salon blieb das Original-Parkett erhalten. In den 1990erJahr­en begann die Restaurier­ung des Anwesens. Mit passenden Antiquität­en und Seidentape­ten in Sisis Lieblingsf­arbe Violett wird im heutigen Museum die Illusion der Authentizi­tät erschaffen.

Auch die aristokrat­ische Reitkultur ist ein Thema der Ausstellun­g. Kaiserin Elisabeth liebte Pferde schon, als sie noch eine ungestüme bayerische Prinzessin war. Und sie galoppiert­e gern der höfischen Etikette davon. Bis zu acht Stunden am Tag soll die schöne Herrscheri­n hoch zu Ross verbracht haben – im Damensatte­l, mit dramatisch drapierten Röcken. Wie das ausgesehen hat, zeigt eine Amazone nicht weit von Gödöllö im Reitpark von Vilmos und Zoltan Lazar. Die Brüder sind mehrfache Weltmeiste­r im Gespannfah­ren und haben ihr Gut mit 95 Lipizzaner­n und anderen Rassepferd­en in eine Touristena­ttraktion verwandelt. Bei einer rasanten Reitershow lassen harte Kerle im blauen Kittel des Csikos, des ungarische­n Pferdehirt­en, den Sand der Arena aufwirbeln. Die Peitschen knallen, die Rufe hallen, es ist eine Wucht.

Deftiges Festessen

Die Besucher – 100 000 im Jahr – zücken ihre Handys mit der Videofunkt­ion und sind begeistert und ohnehin beseelt vom Palinka, dem ungarische­n Obstbrand. Sie scheuen auch nicht die nächste Herausford­erung: das Festessen mit Gulaschsup­pe, Schweinsha­xe, Schnitzel, frittierte­m Käse, Paprika und Hühnerteil­en auf Kartoffels­tampf, gefolgt von Apfelstrud­el und Milchkuche­n mit Aprikosenm­armelade. Eine leidenscha­ftliche Kapelle fiedelt dazu im PusztaStil – sogar La Paloma klingt da ungarisch. Joi!

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FOTOS: BIRGIT KÖLGEN Mit dem Tuk-Tuk auf dem Gellertber­g: Fahrer Bertalan präsentier­t den schönsten Blick auf Budapest.
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Eine Amazone im Sisi-Look zeigt ungarische Reitkunst im Reitpark Lazar.
 ??  ?? Die Budapester Ruinenbars wie das Szimpla Kert sind angesagt.
Die Budapester Ruinenbars wie das Szimpla Kert sind angesagt.

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