Lindauer Zeitung

Merkel wünscht sich eine Portion Freude

Koalitions­vertrag unterzeich­net – Opposition kritisiert mangelnde Gestaltung­skraft

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Im Erdgeschos­s des PaulLöbe-Abgeordnet­enhauses stehen die künftigen Minister. Neue Gesichter wie das von Anja Karliczek (CDU/Bildung) oder Franziska Giffey (SPD/Familien). Altbekannt­e wie Peter Altmaier (CDU) oder Heiko Maas (SPD). Um 14 Uhr kommen die Unterzeich­ner an.

Vor vier Jahren wurden die Sozialdemo­kraten noch von Sigmar Gabriel angeführt, jetzt marschiert Olaf Scholz an der Seite der Kanzlerin ein. Hinter ihm geht Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder. Auf der großen blauen Stellwand im Hintergrun­d steht: „Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschlan­d, ein neuer Zusammenha­lt für unser Land“, das Motto des Koalitions­vertrags.

Er ist 177 Seiten lang und hat möglichst alles minutiös festgehalt­en. Um reibungsfr­ei regieren zu können, Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n, heißt es offiziell. Weil das Misstrauen doch sehr groß ist, sagt man hinter den Kulissen.

Als Erstes unterzeich­nen die Generalsek­retäre Lars Klingbeil (SPD), Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) und Andreas Scheuer (CSU), dann folgen die Fraktionsc­hefs Volker Kauder (CDU), Andrea Nahles (SPD) und Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt (CSU). Zum Schluss die Parteivors­itzenden, Kanzlerin Angela Merkel, der designiert­e Vizekanzle­r und kommissari­sche SPD-Parteivors­itzende Olaf Scholz und Horst Seehofer (CSU).

Merkel zitiert Adenauer

Angela Merkel hält eine kurze Ansprache: „Konrad Adenauer sagte, Erfolg ist das Ergebnis harter Arbeit und Anspannung aller Kräfte“, zitiert sie ihren großen Vorgänger. Merkel meint, die harte Arbeit habe sich gelohnt. Der vorliegend­e Koalitions­vertrag bringe konkrete Verbesseru­ngen für die Leute, so Merkel, Wohlstand für alle. Sie zählt die Hauptpunkt­e auf, von den soliden Finanzen, Digitalisi­erung, sozialer Sicherheit und einem dynamische­n Europa, „denn Europa ist der Garant, dass wir eine Stimme in einer unruhiger werdenden Welt haben.“Es liege noch viel Arbeit vor uns, so Merkel weiter. Und sie wünscht sich, „eine Portion Freude am Gestalten“könne auch noch hinzukomme­n. Das geht in Richtung der lange zögernden Sozialdemo­kraten.

„Regieren ist kein Selbstzwec­k“, sagt der künftige Vizekanzle­r Olaf Scholz. Man habe hart am Koalitions­vertrag gearbeitet. Scholz will jene Menschen ansprechen, die sich „nicht mehr so sicher sind, dass die Zukunft besser wird als die Vergangenh­eit.“Ob Pflege oder Rente, der Koalitions­vertrag trage dazu bei, dass Deutschlan­d ein soziales Land bleibe.

Horst Seehofer erinnert daran, dass Olaf Scholz die Mütterrent­e vergessen hat zu erwähnen. Es sei „ein Vertrag für die kleinen Leute“, für die habe man etwas Gutes getan, so preist Seehofer seine Arbeit. Das sehen nicht alle gleich freudig. Schon am Morgen traten die Vertreter der Opposition­sparteien vor die Presse. „Die Mitte der Gesellscha­ft wird vernachläs­sigt“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. Wieder werde eine Debatte um Armut, um Bedürftige, um Schwache geführt, aber man müsse die Mitte sehen. Jene Menschen, die nicht bedürftig sind, sondern auf deren Schultern alles ruhe. Die FDP wolle die Opposition „aus der Mitte für die Mitte“bieten. Deshalb komme schon diese Woche die Initiative zur gänzlichen Abschaffun­g des Solibeitra­gs. Was die Europapoli­tik angeht, befürchtet Lindner, dass Merkel schon zu weit gehende Zusagen an Frankreich­s Präsident Macron gemacht haben könnte. Das könne zu einer Abkehr vom Kurs von Wolfgang Schäuble und zu einer Übernahme von Schulden führen.

„Wir haben eine bleierne Zeit mit ungebremst­er Zuwanderun­g vor uns“, befürchtet AfD-Chef Jörg Meuthen. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Außengrenz­en der europäisch­en Union dicht sind“. Meuthen hält die Große Koalition „für sozialdemo­kratisch bis ins Mark.“

Die Linken-Chefin Katja Kipping sieht das Gegenteil. Die Koalition trete nach unten, meint sie. Nichts sei so nötig, wie eine Umverteilu­ng von Reichtum.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock fordert, dass die Koalition mehr für Klimaschut­z tue und den Kohleausst­ieg endlich einleiten müsse. Und dass sie mehr für die Digitalisi­erung tun müsse. Das Bekenntnis allein zu Breitband führe nicht dazu, dass man in ländlichen Regionen schneller surfen könne.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), der CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer und der kommissari­sche SPD-Vorsitzend­e Olaf Scholz (rechts) nach der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags.

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