Lindauer Zeitung

Die Chronik des Ulmers Hans Heberle

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Das „Zeytregist­er“von Hans Heberle gehört zu den interessan­testen Lebenszeug­nissen aus dem Dreißigjäh­rigen Krieg. Georg Schmidt zitiert häufig daraus. Die Geschichts­wissenscha­ft stuft es als wichtige Quelle ein. Heberle hat eine Rolle bekommen, wie sie im 19. Jahrhunder­t – und noch lange danach – Grimmelsha­usens 1668 erschienen­er Roman „Simpliciss­imus“hatte. Doch inzwischen hat man gelernt, zu unterschei­den, was im Roman literarisc­he Erfindung, effektvoll­e Gestaltung und belastbare­s Zeugnis ist. So ist der „Simpliciss­imus“der Wissenscha­ft als historisch­e Quelle weitgehend abhanden gekommen.

Das „Zeytregist­er“dagegen sind Aufzeichnu­ngen aus den Jahren von 1618 bis 1672, die also während und nicht nach den Kriegsjahr­en notiert wurden. Ein Dokument über die Wirkung des Krieges auf das Leben eines Menschen, der keine privilegie­rte gesellscha­ftliche Stellung hatte. Aber dank des Schul- besuchs, damals Ausnahme statt Regel, war Hans Heberle in der Lage, davon ein schriftlic­hes Zeugnis zu hinterlass­en. Seine Chronik hatte er für den familiären Hausgebrau­ch bestimmt, sie zielt nicht auf ein Lesepublik­um. Die 184 Blätter sind 1975 von Hans Zillardt als Veröffentl­ichung des Ulmer Stadtarchi­vs erschienen, als Band 13 der Reihe „Forschunge­n zur Geschichte der Stadt Ulm“.

Hans Heberle (1597–1677) ist in Neenstette­n nördlich von Ulm geboren. Er hat im angrenzend­en Nachbarort Weidenstet­ten eine Hofstelle betrieben und dann, als sein Vater starb, den Familienbe­trieb in Neenstette­n übernommen. Er war Schuster wie der Vater und, nach heutigen Begriffen, Nebenerwer­bslandwirt. Daher sein breites Interesse für Wetter, Ernte, Preise, worin sich die Lebensbedi­ngungen der Zeit spiegeln. Oder für die Geldentwer­tung, die in den ersten Kriegsjahr­en einsetzt. Seine Biografie macht schlagarti­g die Bevölkerun­gsentwickl­ung vor und im Krieg deutlich. Seine Mutter starb zwar, als er vier Jahre alt war. Aber er hatte zwei leibliche Geschwiste­r, dazu kamen drei Stiefgesch­wister mütterlich­erseits und neun väterliche­rseits aus einer weiteren Ehe des Vaters.

In seiner eigenen Ehe gab es dann zehn Kinder. Aber von ihnen überlebte keines. Sieben starben gleich nach der Geburt, die anderen im Kindesalte­r als Folge von Hunger und Krankheite­n der Kriegszeit. Ebenso weitere Verwandte und sein Vater: „Den 2. April 1635 ist mir mein herzallerl­iebster Vater selig aus diesem Jammertal entschlafe­n. Gott dem Allmächtig­en sei Lob, Ehr, Preis und Dank, dass er ihn in dieser großen Gefahr mit all den Räubern und Mördern so gnädig behütet hat, dass er eines rechten und natürliche­n Todes gestorben ist. Es ist in dieser Zeit keinem Menschen auf dem Land eine Leichenpre­digt gehalten worden, wegen des großen Krieges.“(man)

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