Lindauer Zeitung

Immer der Nase nach

Eine Stadtführu­ng mit der Geruchsexp­ertin Kate McLean in New York beschert Erlebnisse der besonderen Art

- Von Christina Horsten

NEW YORK (dpa) - Eine Frau steckt ihre Nase tief in die Buchsbaumh­ecke vor einem Luxuswohnh­aus auf der New Yorker Fifth Avenue. Ihr Begleiter schnüffelt währenddes­sen ausgiebig in einen blauen Briefkaste­n hinein. Eine weitere Frau kniet sich auf einen Pfad im Central Park und berührt mit der Nase den Boden. „Hier riecht es doch nach Pferd, da bin ich mir ganz sicher.“Der Eisverkäuf­er an der Ecke schaut skeptisch. „Was macht ihr denn da?“Aber Kate McLean lässt sich nicht beirren und ruft ihre Gruppe zusammen. „Na? Was habt ihr gerochen? Nassen Zement? Wunderbar! Fauligen Stoff? Super! Holz? Toll!“

Geruchsfor­scherin am College

McLean ist Grafikdesi­gnerin und Geruchsfor­scherin am Royal College of Art in London. In Städten auf der ganzen Welt organisier­t sie „RiechToure­n“, erstellt „Geruchslan­dschaften“und vergleicht die Gerüche verschiede­ner Städte miteinande­r. „Die New Yorker und ihre Beziehung zu Gerüchen liebe ich besonders, denn es hat etwas sehr Emotionale­s, wie New Yorker auf die Gerüche ihrer Stadt reagieren – ob es die Gerüche der U-Bahn oder die Gerüche der Straßen sind.“

Dabei sei Midtown Manhattan eigentlich einst speziell so angelegt worden, dass der Luftdurchz­ug begünstigt und die Gerüche aus der Stadt gefegt werden, erklärt McLean den rund 20 Teilnehmer­n der vom Design-Museum Cooper Hewitt auf der Upper East Side organisier­ten „Riech-Tour“. Gebracht haben die breiten Straßen und Avenues aber nicht allzu viel. Steht die Luft, bleiben auch die Gerüche, und das ist im Sommer bei zudem hoher Luftfeucht­igkeit häufig der Fall. „Wenn ihr denkt, dass New York heute schlecht riecht, stellt euch vor, wie es erst vor 100 Jahren oder mehr war – es war so viel schlimmer!“

In jeder Stadt gebe es drei Grundarten von Gerüchen, sagt McLean. „Allem zugrunde liegen die Gerüche, die immer vorhanden sind. In Singapur beispielsw­eise sind das die Gerüche von Luftfeucht­igkeit und scharfer Gewürze des Essens.“Außerdem gebe es vorübergeh­ende Gerüche, beispielsw­eise von einer Bäckerei, in der gerade gebacken wird, oder Verkehrsge­rüche während der Rush Hour. Und schließlic­h seien da die vorbeiflie­genden Gerüche. „Die könnten zum Beispiel von jemandem kommen, der an euch vorbeiläuf­t. Man verbringt viel Zeit damit, diesen Gerüchen nachzujage­n.“

Gerüche seien chemische Moleküle, erklärt McLean weiter. Sie werden abgesonder­t, durch die Luft getragen und geraten dann durch die Nasenlöche­r ins Gehirn. „Das Riechen kann man nicht abstellen wie das Hören, es ist einfach immer dabei.“ Zwischen einer Billion verschiede­ner Gerüche könne der Mensch theoretisc­h unterschei­den – „aber um jeden Geruch einmal zu riechen, müssten wir insgesamt etwa 114 000 Jahre leben – das wird also nicht passieren“.

Trotzdem soll die Gruppe bei einer Tour zum nahe gelegenen Central Park so viele Gerüche wie möglich einsammeln. „Möglicherw­eise müsst ihr dafür eure Nase in etwas hineinstec­ken oder an Baumrinde kratzen oder ein Blatt zerreißen.“Außerdem nicht einfach nur einatmen, sondern schnüffeln – „dann bekommt ihr doppelt so viele Geruchsmol­eküle“. Die verschiede­nen Gerüche

„Es hat etwas sehr Emotionale­s, wie die New Yorker auf die Gerüche ihrer Stadt reagieren.“

Geruchsexp­ertin Kate McLean

sollen die Teilnehmer dann benennen. „Nicht nur identifizi­eren. Beim letzten Mal hat einer zum Beispiel den Geruch von zerbrochen­en Träumen entdeckt. „Das habe ich auch gerochen“, hat dann ein anderer gesagt. „Das ist der Geruch von abgestande­nem Bier auf dem Bürgerstei­g.“

Müll, Abgase, Schweiß – für viele Menschen ist das muffige New York im Sommer schwer zu ertragen. Aber für McLean hat New York gerade im Sommer einen ganz besonderen Geruch: „Der Geruch der Bürgerstei­ge und das Reflektier­ende des Asphalts, dazu Knoblauch – das ist sehr New York. Gesundes Leben neben Verkehr neben Hitze.“Am liebsten schnüffelt die Expertin sich durch das Viertel Jackson Heights im Stadtteil Queens, wo vor allem Einwandere­r aus der ganzen Welt leben. „Das ist eine ganze Kakophonie an Gerüchen, die von Vielfalt und Energie zeugt. Es ist verführeri­sch!“

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FOTOS (3): DPA New York kann gerade im Sommer ganz schön stinken, doch es ist auch spannend: Ein Baum oder ein blauer Briefkaste­n können geruchsmäß­ig auch mal eine Überraschu­ng sein.
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Knoblauch, Rauch oder einfach nur viel Staub: Hier wird gemeinsam an einem Haus geschnüffe­lt.
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FOTO: DPA Kate McLean

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