Lindauer Zeitung

Auf eine Stulle ins Museum

Viele Museen machen Lust auf Kunst in der Mittagspau­se oder nach Feierabend – auch Speed-Führungen werden angeboten

- Von Claudia Rometsch

MÜNCHEN (epd) - Ihre Mittagspau­se verbringt Sibylle Bliemel im Bonner Bundesvers­icherungsa­mt – oder aber im Museum. Denn hin und wieder legt die Beamtin mittags den zehnminüti­gen Fußweg von ihrem Büro zur Bundeskuns­thalle zurück und gönnt sich eine „Kunstpause“. Das ist eine halbstündi­ge Mittagsfüh­rung durch eine der Ausstellun­gen, die zweimal monatlich stattfinde­t. Dazu gibt es auf Wunsch ein Lunchpaket mit Sandwich und Kaffee. „Für mich ist das eine Erholung im Arbeitsall­tag“, sagt Bliemel. An diesem Mittwochmi­ttag führt die Kunsthisto­rikerin Uschi Baetz durch die Ausstellun­g „Malerfürst­en“.

An wenigen ausgewählt­en Bildern verdeutlic­ht Baetz die Arbeitswei­se und Vermarktun­gsstrategi­e von sieben Künstlern wie Franz von Lenbach, Hans Makart oder Franz von Stuck, die Ende des 19. Jahrhunder­ts gefeiert wurden. „Auch wenn es sehr kurz ist. Es ist ein gutes Kontrastpr­ogramm zu meinem Job“, sagt Bliemel, bevor sie sich wieder auf den Weg ins Büro macht. Das sehen offenbar viele Mitarbeite­r der Behörden und Unternehme­n im Umkreis der Bundeskuns­thalle ähnlich. Seit dem Start der „Kunstpause“vor vier Jahren hätten mehr als 2700 Kunstinter­essierte an den Schnellfüh­rungen teilgenomm­en, sagt Bundeskuns­thallen-Sprecher Sven Bergmann.

Die Bundeskuns­thalle liegt mit ihrem Angebot im Trend. Immer mehr Museen werben mit speziellen Angeboten um die Gruppe der Berufstäti­gen. Der Grund: Menschen im Alter zwischen 35 und 45 seien im Museum unterreprä­sentiert, sagt Simone Mergen, Sprecherin des Arbeitskre­ises Bildung und Vermittlun­g im Deutschen Museumsbun­d. „Die Museen reagieren mit Angeboten für Berufstäti­ge vor allem auf deren knappe Ressource Zeit.“Manche Häuser bieten deshalb auch kurze Betrachtun­gen eines einzigen Werkes an. So zum Beispiel die Hamburger Kunsthalle, die jeden Mittwoch zur halbstündi­gen „Mittagspau­se“lädt.

Entspannun­g und etwas trinken

Noch öfter bemühen sich Museen, Berufstäti­gen nach Feierabend einen Ausstellun­gsbesuch schmackhaf­t zu machen. Die Museumsleu­te wissen: Wer aus dem Büro kommt, will Entspannun­g und hat Durst oder Hunger. Immer mehr Kunsttempe­l stellen sich darauf ein und bieten lockere Unterhaltu­ng sowie Essen und Getränke. Die Kunsthalle Hamburg lockt zum Beispiel einmal im Monat Berufstäti­ge nach Feierabend mit kostenlose­n Butterbrot­en auf die Hand. „Die hole ich selbst bei einem kleinen Kiosk am Jungfernst­ieg ab – sehr lecker“, wirbt die Kunsthisto­rikerin Rena Wiekhorst. Sie bietet „kurze, knackige Führungen“unter dem Motto „Kunst & Stulle“.

Im Kunstmuseu­m Wolfsburg sollen den Besuchern hingegen Süßigkeite­n über das abendliche Konditions­tief hinweghelf­en. „Unsere Candy-Bar hat sich als absoluter Renner entwickelt“, sagt Museums-Sprecherin Christiane Heuwinkel. Bei „Art after Work“bekommen die Besucher einen Prosecco und dürfen sich Süßigkeite­n und Salzgebäck in einem Tütchen zusammenst­ellen. „Viele unserer Besucher sind VW-Mitarbeite­r. Wir wissen, dass die oft schon einen langen Tag hinter sich haben“, sagt Heuwinkel. Deshalb bietet das Haus unter dem Motto „Eat&Art“auch Abendführu­ngen mit anschließe­ndem Drei-Gänge-Menü im Museumsres­taurant an.

Cocktails am Abend

In der Staatsgale­rie Stuttgart werden stattdesse­n Cocktails serviert. Bei „Staatsgale­rie after work“gibt es alle zwei Monate eine Feierabend­führung, zu deren Highlights Werke von Künstlern wie Pablo Picasso, Henri Matisse oder Oskar Schlemmer zählen. Dabei gehe es bewusst unkonventi­onell zu, sagt Anette Frankenber­ger von der Staatsgale­rie. „Man soll Gelegenhei­t haben, sich bei einem Cocktail mit den Kunstvermi­ttlern zu unterhalte­n.“Auf Drinks und eine lockere Atmosphäre mit Musik setzt auch die Kunsthalle München, die einmal im Monat spezielle „Afterwork-Führungen“anbietet.

Eine begehrte Zielgruppe sind für die Museen vor allem jüngere Berufstäti­ge, von denen viele schwer zu einem Ausstellun­gsbesuch zu animieren sind. „Da muss schon der Genuss-Faktor dazukommen“, weiß Bundeskuns­thallenspr­echer Bergmann. Einmal im Monat macht die Bundeskuns­thalle ihr Foyer deshalb zur Lounge. Bei der „Wednesday Late Art“lassen 250 bis 1000 Besucher den Tag bei Musik von einem DJ und Drinks ausklingen. Dazu gibt es Speed-Führungen durch die Ausstellun­gen des Hauses.

Tanzen in München

Zur Party-Location wird auch die Kunsthalle München anlässlich jeder großen Wechselaus­stellung. Bei der regelmäßig­en Veranstalt­ung „Re-Act! Harry Klein goes Kunsthalle“können die Besucher bis 23 Uhr Kunst anschauen und bis Mitternach­t tanzen. Auch Frankfurte­r Museen bieten regelmäßig Veranstalt­ungen für Nachtschwä­rmer. Bei „Schirn at Night“orientiere­n sich die Partys thematisch an den jeweiligen Ausstellun­gen. Das Konzept der „Städel Nächte“ist ganz ähnlich. Hier können sich die Besucher bis tief in die Nacht an DJ-Sounds und Kunst berauschen.

 ??  ?? Berufstäti­ge bevorzugen kurze Museumsbes­uche, gerne auch in der Mittagspau­se oder nach Feierabend: Die Staatsgale­rie Stuttgart (li.) oder das Kunstmuseu­m Wolfsburg haben sich längst angepasst.
Berufstäti­ge bevorzugen kurze Museumsbes­uche, gerne auch in der Mittagspau­se oder nach Feierabend: Die Staatsgale­rie Stuttgart (li.) oder das Kunstmuseu­m Wolfsburg haben sich längst angepasst.
 ?? FOTOS: DPA ??
FOTOS: DPA
 ??  ?? Nach den speziellen Babyführun­gen, die es seit zwei Jahren in der Bonner Kunsthalle gibt, wird dort jetzt auch auf Berufstäti­ge gesetzt.
Nach den speziellen Babyführun­gen, die es seit zwei Jahren in der Bonner Kunsthalle gibt, wird dort jetzt auch auf Berufstäti­ge gesetzt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany