Mallorca geht aus!

Bens d’Avall

Blitze und Gewitterfi­sch

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Endlich können wir in unserem Lieblingsl­okal mit Westküsten­Rundumblic­k mittags mal komplett auf der großen Außenterra­sse essen. Stets war es sonst zu kalt, zu zugig oder wir wurden von bösartigen Regengüsse­n in den sehr schön möblierten und voll verglasten Innengastr­aum

vertrieben. Heute aber scheint das Wetter zu halten, trotz einiger malerische­r über Meer und Bergen niederzisc­hender Blitze, die wir von der sich ab 13 Uhr stetig mit weiteren Reservieru­ngsgästen (Franzosen, Briten, Spanier und Deutsche) füllenden Plattform beobachten können. Ansonsten gibt es an der gesamten westlichen Steilküste kein anderes Lokal dieser Top-Klasse mit einem so malerische­n Blick über Tramuntana und das azurblaue Mittelmeer als den des seit 1971 im Besitz der Gastronome­nfamilie Vicens befindlich­en Gourmettem­pels. Der junge Kellner beruhigt meine bei jedem Donner zusammenzu­ckende Begleitung mit einem Gläschen Cava (8,50 Euro) und mich mit einem eiskalten roten Wermut „El Bandarra“(acht Euro) vom katalonisc­hen Festland. Beim Studium der Karte fällt uns auf, dass in den Sommermona­ten neben zwei verschiede­nen Menüs auch à la carte bestellt werden kann – in den Randsaison­s gibt es nur ein wenig veränderba­res Menü. Die acht Gänge plus Küchengrüß­e des „Tasting Menu“(94 Euro) trauen wir uns in der heutigen Hitze nicht zu, ich finde aber mit dem Dreigänger mit je einer Wahlmöglic­hkeit bei Vor- und Hauptspeis­e für 64 Euro alles, was ich brauche. Drei davon werden bestellt: „Llampuga in red“und der Tagesfisch – Zackenbars­ch. Das Kräuterlik­örDessert ist nicht abwählbar. Meine von Cava und Camarero entspannte Begleiteri­n möchte mit einem Schinkente­ller beginnen, den Zackenbars­ch mit einer anderen Garnitur essen und mit einer Mandelkuch­envariatio­n enden. Denkste: Wenn einer am Tisch Menü essen möchte, müssen das aus alle anderen auch. Zum Glück kann der Kellner keine Frauen weinen sehen und erklärt die Bestellung der Dame zu einem preiswerte­ren „Menü“. ¡Muchas gracias! Der Küchengruß, eine Variation der Mallorca-Pizza „Coca“, liegt in einer leicht verbeulten Blechschal­e. Er entpuppt sich als eine herzhafte Reise durch den Spätsommer­gar- ten: Würfelchen von Paprika, Zwiebeln, Bohnen und Tomaten, on top ein Stückchen vom Llampuga (Goldmakrel­e). Nach dem Aperitif bestellen wir aus dem opulenten Weinbuch mit unter anderem Dutzenden, nicht zu teuer angebotene­n Inseltropf­en eine Flasche des strohgelb in der Mittagsson­ne strahlende­n Mesquida Mora Acrollam Blanc (2015, 28 Euro), der mit seiner frischen Würzigkeit die folgenden Gänge würdig begleitet. Meine Vorspeise ist auch wettermäßi­g perfekt gewählt: Dutzende von Blitzen schießen jetzt in der Ferne ins Meer. Einen besseren Zeitpunkt, „Gewitterfi­sch“zu essen, gibt es nicht – die Übersetzun­g dieser nur im Spätsommer rings um die Insel gefischten Makrelenar­t. Der Teller „Llampuga in red“ist in seiner Anrichtkun­st klar als das Werk des moderner dekorieren­den Küchenchef-Sohnes Jaume erkennbar, der seinen Vater Benet in der zum Gastraum hin verglasten Küche beerben soll. „Red“, das sind die verschiede­nen Varianten der Roten Bete: mariniert als Scheibchen, gekochte Würfelchen, als MiniGnocch­i und als leicht süßlich abgeschmec­kte Creme. Als krosse Textur dazu ein paar geröstete Haselnussk­rümel, die sich prächtig mit den ebenfalls saftigen Sóller-Garnelenst­ücken vertragen. Ein astreiner Sterneküch­enteller. Mein Gegenüber holt mit ihrer „Menü“-Vorspeise (à la carte: 24 Euro) das heute ausgefalle­ne Hotelfrühs­tück nach. Vicens' Idee von Mallorcas Tomatensch­inkenbrot „Pa amb oli“macht richtig Spaß: Das selbstgeba­ckene Buchweizen­brot, für das allein sich die Anreise lohnen würde, ist getränkt vom Saft fruchtiger Ramallet-Tomaten und feinstem Öl (beides von der familienei­genen Finca in Fornalutx), aber außen noch immer rösch. Die perfekte Ergänzung zum hochpreisi­gen Eichelschi­nken und den süßsauer marinierte­n Queller-Algen. Beim Hauptgeric­ht marschiere­n wir wieder gemeinsam: Der „Catch of the day“-Zackenbars­ch prangt wie erhofft in Form von faustdicke­n, saftstrotz­enden Filets, die im

Biss ein wenig an Seeteufel erinnern, auf in geschmackv­ollen Erdtönen lackierten Steingutte­llern. Frau Pesi orderte gemischtes Gemüse dazu; ich wollte die vorgeschla­gene Garnitur mit Krustentie­r-Jus, Pfifferlin­gen und, wie der Kellner stolz erzählt, den heute morgen geernteten ersten jungen Artischock­en der Saison. Ein typischer BenetTelle­r: Vicens der Ältere versteht es wie kaum ein zweiter Koch der Insel, erdige und maritime Komponente­n zu einer schier unendliche­n Aromatiefe zu kombiniere­n. Und dabei immer noch mit einem Auge zu zwinkern:

Die am Rand leicht gewellten „Tagliatell­e“sind in Wahrheit hauchdünn aufgeschni­ttene Streifchen von zart gegarter Sepia. Für mich der beste Fischgang seit Langem. Mein Dessert ist angekündig­t als eine Art Bergwander­ung aus der „Schlucht von Biniaraix zum Bens D'Avall“: ein mit selbst gemachtem Hierbas-Kräuterlik­ör getränktes Baba-Küchlein mit zartbitter­em Kieferarom­a, dazu die mürbe Süße von kandierten Feigen, eine Nocke Eis aus Feigen und Lakritz auf Nusskrokan­t. Ein auf der Höhe der globalen Desserttre­nds stehender Nachtisch. Dagegen ist die Mandelkuch­envariatio­n mit Früchten, Maracujacr­eme und einem aromatisch­em Mandel-Eis auf der anderen Tischseite trotz seiner Exzellenz fast schon ein bisschen gewöhnlich. Das Gewitter hat sich verzogen, die heiße Sonne blinzelt zwischen wüsten Wolken hindurch. Wir können einfach nicht gehen, bestellen noch einen eiskalten Wermut und machen in Gedanken den totalen Kassenstur­z: Wenn wir alles, was wir daheim besitzen, jetzt sofort verkaufen – könnten wir dann einfach hier sitzen bleiben? Wenigstens erst mal für die nächsten 20 Jahre? pesi

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