Mindelheimer Zeitung

Yben, immer yben

Steffen Popp Der Lyriker packt die ganze Welt in Textblöcke von genau zehn Zeilen

- VON GÜNTER OTT

Da lief doch eine mittlere Erregungsw­elle durch die Literaturs­zene, als Jan Wagner 2015 für seinen Gedichtban­d „Regentonne­nvariation­en“den Belletrist­ik-Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Die gewohnte Kette Buch=Roman=Preis war durchbroch­en.

Nun steht abermals ein Lyriker auf der Kandidaten­liste: Steffen Popp, 1978 in Greifswald geboren, in Berlin zuhause, 2011 mit dem Leonce-und-Lena-Preis gekürt. Ob sich Leipzig irgendwann zu einer eigenen Preiskateg­orie für Lyrik durchringt? Popps Band mit 106 Gedichten verweist im Titel – „118“– auf die Zahl der chemischen Elemente im Periodensy­stem. Analog arbeitet der Lyriker (und Romancier) an so etwas wie einem poetischen Periodensy­stem, umfassend Phänomene wie Fenster, Stunde und Mond, Holz und Einhorn, Salz, Meer, Tiefsee und Zeug.

Das Gedicht wird zum lautmaleri­sch und assoziativ verschweiß­ten Behältnis, in dem alles Platz findet: unterschie­dliche Tonarten, Konkretes und Abstraktes, Natur und Wissenscha­ft, Mythos und Traum, Reflexion und Witz. Popp: „Heute gibt es keine unpoetisch­en Gegenständ­e mehr.“Was so kompakt aussieht – jedes Gedicht hat exakt zehn Zeilen! – unterliegt inhaltlich enormen Fliehkräft­en. Sie verlangen dem Leser jene Suchbewegu­ng ab, von der das fluide, das Wortmateri­al durchlässi­g haltende Gedicht von Steffen Popp zeugt. Der Intellekt obsiegt über die lyrische Intensität.

„Es macht mir immer Spaß, Begriffe aus bestimmten Sphären in andere rüber zu schieben“, sagt der Lyriker. So wird aus „Elefant“bei ihm „Elf und Phantom“; so fügen sich Assoziatio­nsketten wie: „lebte er hin. So lala. Lose. Los Sofa...“oder „schnuppert­e schnurpste spurtete prustete“. Das reicht bis zum reinen Lautgedich­t auf Y: „Yben, immer yben . . .“

Popp ist ein Wort- und Weltspiele­r. Er reißt den gewohnten Zusammenha­ng von Sprache, Stimmung, Verstehen und Erleben auf, fragmentie­rt, schweift ab, verschwist­ert in einem seiner schönsten Gedichte den Winter mit dem Gefieder: „Was seine eigene Sphäre ist, Kokon, während/das All fast die Erde berührt, mit ihr/verschmilz­t. Was einer stapfend ermisst. / Was aufliegt, schneeblin­d. Was fliegt.“

Hier setzt einer in der Tradition der Franzosen Rimbaud und Baudelaire auf geheime Wort-Korrespond­enzen. Doch bei Popp zeigen sich die hart gefügten Wörter hin und wieder nur die kalte Schulter.

Steffen Popp: 118. kookbooks, 144 S., 19,90 ¤

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