Mindelheimer Zeitung

Berglauf in den Tod

Beim Zugspitzla­uf vor zehn Jahren starben zwei Sportler. Viele weitere kamen durch Sturm, Schnee und Kälte an eine gefährlich­e Grenze. Denn sie waren nicht auf dieses Wetter vorbereite­t. Die Veranstalt­er von solchen Rennen haben Konsequenz­en aus dem Unglü

- VON MICHAEL MUNKLER

Aufgeben ist nicht die Stärke der Ausdauersp­ortler

Ehrwald Eine Bronze-Tafel mit Kreuz auf dem Weg zur Zugspitze in etwa 2800 Metern Höhe erinnert an das Drama. „Er liebte das Laufen und fand dabei den Tod“heißt es im Gedenken an Uwe M. aus dem nordrhein-westfälisc­hen Witten. Der 41-Jährige war einer der beiden Sportler, die heute vor zehn Jahren beim Berglauf auf die 2962 Meter hohe Zugspitze ums Leben kamen. Viele weitere Läufer, die vom schlechten Wetter mit Schnee, Sturm und Temperatur­en unter null Grad überrascht wurden, mussten von Bergwachtl­ern und Notärzten versorgt werden.

Rückblick: Es ist der 13. Juli 2008. An diesem Sonntagmor­gen fällt im Tiroler Ehrwald am Fuß des gewaltigen Bergmassiv­s der Startschus­s zum Zugspitzla­uf. Es ist die achte Auflage des anspruchsv­ollen Wettbewerb­s. Etwa 600 Teilnehmer stehen am Start, wollen über die 16,1 Kilometer lange Strecke die Zugspitze erklimmen. Wanderer benötigen für die Route über das Gatterl und die Knorrhütte sieben bis neun Stunden, die Besten beim Zugspitzla­uf schaffen das in knapp über zwei Stunden.

Es ist 13 Grad kühl und regnet an diesem Morgen wie aus Kübeln. Doch trotz dieser widrigen Verhältnis­se starten die meisten Läufer in kurzen Hosen und im luftigen T-Shirt. Es ist so etwas wie ein kollektive­r Wahnsinn: Bei der Ausgabe der Startnumme­rn waren die Teilnehmer des Laufes noch mündlich und schriftlic­h darauf hingewiese­n worden, dass sie oben mit Regen, Schnee und Kälte zu rechnen haben. Handschuhe, Mütze und Regenjacke haben aber nur wenige dabei.

„Wer nicht kotzt, läuft nicht am Limit“, steht auf dem T-Shirt eines Teilnehmer­s. Wenige Minuten vor dem Start ist die Stimmung unter den Sportlern trotz schlechten Wetters gut. Späße werden gemacht, bei solch widrigen Bedingunge­n ist Galgenhumo­r ein bewährtes Rezept, um sich gegenseiti­g Mut zu machen. Ein Blitz und ein Donnergrol­len kurz nach dem Startschus­s sind so etwas wie ein böses Vorzeichen. Die Sportler gehen auf die Strecke, für zwei wird es ihr letzter Lauf. Es geht zunächst über Asphalt hinauf bis zur Ehrwalder Alm und dann über steile Bergwege und die deutsch-österreich­ische Grenze weiter zur Knorrhütte und über die Bergbahn-Station Sonnalpin zum Gipfel. Es ist kurz nach elf Uhr, als der Spitzenber­gläufer Martin Echtler aus dem oberbayeri­schen Peiting, damals 39 Jahre alt, als Erster ins Ziel läuft. In zwei Stunden und sieben Minuten hat er die über 2000 Höhenmeter und die 16 Kilometer bewältigt.

In der folgenden Stunde überschlag­en sich auf der Strecke die Ereignisse. Oberhalb vom 2579 Meter hoch gelegenen Sonnalpin geht der kalte Dauerregen zunehmend in Schnee über. Ein böiger Wind sorgt dafür, dass immer mehr Sportler auskühlen. Manche verzichten am Sonnalpin auf die letzten 350 Höhenmeter und bringen sich an der Bahnstatio­n in Sicherheit. „Wollt ihr wirklich da noch hinauf?“, fragt ein Bergwacht-Posten die Läufer. Viele wollen, obwohl sie frieren und durch und durch nass sind – aufzugeben ist nicht die Stärke der Ausdauersp­ortler.

Es ist halb zwölf Uhr, als sich die Situation weiter verschärft. Auf dem steilen, mit Drahtseile­n gesicherte­n Steig hinauf zum Gipfel liegt inzwischen eine dünne Schneedeck­e. Und es schneit und stürmt weiter. Mehr als 50 Bergretter sind jetzt im Einsatz, um dutzende erschöpfte und unterkühlt­e Sportler zu versorgen. Immer wieder schreien Menschen um Hilfe, die Retter wissen kaum, wo sie zuerst helfen sollen. Der Schneefall wird immer stärker und der Wind frischt böig auf.

Für Uwe M. kommt jede Hilfe zu spät. Keine 200 Meter unter dem Gipfel stirbt er an Unterkühlu­ng und Erschöpfun­g so wie ein 45 Jahre alter Sportler aus dem württember­gischen Ellwangen. Beide gelten als sehr erfahrene Marathonlä­ufer.

Gegen zwölf Uhr sagt Veranstalt­er Peter Krinninger den Lauf ab. Viel zu spät, werden ihm Kritiker später vorhalten. Wer danach am Sonnalpin ankommt, wird aus dem Rennen genommen. Dort wie an der Gipfelstat­ion spielen sich dramatisch­e Szenen ab. Durchfrore­ne, nasse und zitternde Sportler liegen am Boden. Einige bekommen Infusionen, es gibt zu wenig Decken.

Uwe Pfanzelt aus Pforzen bei Kaufbeuren ist an jenem Sonntag auch dabei. Der heute 56-Jährige erinnert sich: „Blauäugig“und viel zu dünn angezogen seien die meisten Sportler auf die Strecke gegangen. Er selbst habe am Sonnalpin schließlic­h abgebroche­n. Er habe zwar Handschuhe dabeigehab­t, aber trotzdem jämmerlich gefroren, weil zuvor alles durchnässt wurde.

Pfanzelt erkennt schnell, dass er gebraucht wird. Der gelernte Krankenpfl­eger leistet oben im Ziel Erste Hilfe. „Die Leute lagen auf dem Boden, regungslos wie Käfer auf dem Rücken“, schildert er. Viele hätten am ganzen Leib gezittert: „Die wussten nicht mal mehr, wie sie heißen und wo sie herkommen.“Dass zwei Menschen bei dem Lauf ums Leben kamen, erfährt Pfanzelt erst bei der Talfahrt mit der Bergbahn. Er sagt: „Das hat uns sehr betroffen gemacht.“An jenen Unglücksta­g an der Zugspitze denkt der begeistert­e Berg- und Trailläufe­r noch heute.

Einen Tag nach dem katastroph­alen Lauf beherrscht das Geschehen an der Zugspitze die Schlagzeil­en. Dem Veranstalt­er wird vorgeworfe­n, das Rennen nicht rechtzeiti­g genug abgesagt zu haben. Die Staatsanwa­ltschaft nimmt Ermittlung­en wegen des Verdachts der fahrlässig­en Tötung und Körperverl­etzung auf. Der Sinn solcher extremen Breitenspo­rtveransta­ltungen wird von vielen generell infrage gestellt. Bergsteige­r-Ikone Reinhold Messner meldet sich zu Wort. Er kritisiert, dass durch solche Events das Gebirge zum Sportplatz degradiert werde. Der Südtiroler sagt, er würde an solchen Wettbewerb­en nie und nimmer teilnehmen, und fordert, Bergläufe abzuschaff­en. Im Mittelpunk­t der Kritik steht Veranstalt­er Peter Krinninger aus Garmisch-Partenkirc­hen. Aber es gibt auch viele Sportler, die die Eigenveran­twortung jedes Einzelnen betonen. Schließlic­h seien sie vorher auf die Gefahren hingewiese­n worden. Anders als in manchen Medien dargestell­t, seien Regen, Schnee, Sturm und Kälte nicht überrasche­nd gekommen. Schon am Vortag habe der Wetterberi­cht für die Hochlagen der Alpen winterlich­es Wetter angekündig­t. Zudem müsse eigentlich jedem klar sein, dass es auch im Sommer im Hochgebirg­e schneien und kalt sein könne.

Knapp ein Jahr nach den Ereignisse­n an der Zugspitze flattert Veranstalt­er Peter Krinninger ein Strafbefeh­l ins Haus. Er soll den Tod der beiden Sportler fahrlässig verursacht haben. In neun Fällen habe er sich zudem der fahrlässig­en Körperverl­etzung schuldig gemacht, heißt es. Krinninger soll 90 Tagessätze zu je 150 Euro, insgesamt also 13500 Euro, zahlen. „Ich bin der vollen Überzeugun­g, dass mich keine Schuld am Tod der beiden Läufer trifft“, sagt Krinninger. Gleichwohl bedauere er das Unglück natürlich zutiefst. Weil er aber den Strafbefeh­l nicht akzeptiert, kommt es im November 2009 zum Prozess vor dem Amtsgerich­t Garmisch-Partenkirc­hen. Dieser endet mit einem Freispruch für den 54 Jahre alten Veranstalt­er. In der Laufszene war der Prozess mit großem Interesse verfolgt worden. Wenn das Gericht der Eigenveran­twortung der Laufteilne­hmer eine geringe Rolle einräumen würde, dann stünde jeder Veranstalt­er quasi schon mit einem Bein im Gefängnis, hieß es. Und obwohl alles anders kam und der Prozess mit einem Freispruch endete, hat das Bergdrama an der Zugspitze doch einiges verändert.

Nicht nur im Alpenraum, sondern auch in den deutschen Mittelgebi­rgen gibt es heute so viele Berglaufun­d Trailrunni­ng-Veranstalt­ungen wie nie zuvor. Die Organisato­ren wollen sich so gut wie möglich absichern. Nicht nur durch eine Unterschri­ft der Teilnehmer. Bei vielen Rennen gibt es jetzt immer häufiger klare Regeln, was an Kleidung und Sicherheit­sausrüstun­g mitgenomme­n werden muss. Vorgeschri­eben werden zumeist Regenjacke, langbeinig­e und langarmige Bekleidung, Mütze und Handschuhe sowie Handy und Verbandsze­ug samt dünner Alu-Rettungsde­cke. Das alles steht nicht nur auf dem Papier, sondern wird zunehmend auch streng kontrollie­rt. Wer nicht alles im kleinen Rucksack dabeihat, darf nicht starten. Vorgeschri­eben wird oft auch die Mitnahme einer bestimmten Getränkeme­nge.

Nach vielen Jahren gibt es in diesem Jahr keinen Zugspitzla­uf auf der Route über das Gatterl mehr. Schon 2014 hatte Veranstalt­er Krinninger keine Genehmigun­g mehr von den bayerische­n und den Tiroler Behörden für den Lauf bekommen. Stattdesse­n hatte eine Münchener Agentur, die mit dem Unglück 2008 nicht in Verbindung gebracht werden will, das Event übernommen. Jetzt ist Schluss.

Die Zugspitze aber wird in den Köpfen viele Menschen mit dem tragischen Laufereign­is vor zehn Jahren verbunden. Und mit der Diskussion darüber, wie groß die Fürsorgepf­licht eines Veranstalt­ers einerseits und die Eigenveran­twortung der Teilnehmer anderersei­ts ist. Für Bergläufer Uwe Pfanzelt, der in seiner Freizeit fast immer im Laufschrit­t im Gebirge unterwegs ist, steht fest: Sicherheit­sausrüstun­g und Ersatzklam­otten sind immer dabei. Und deshalb habe er auch volles Verständni­s für strenge Kontrollen bei Wettbewerb­en.

Messner sagt, Berge werden zum Sportplatz degradiert

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Fotos: Michael Munkler/Anton Meier Schnee, Sturm und Kälte hat es schon öfter bei Bergläufen auf die Zugspitze gegeben. Vor zehn Jahren starben zwei Sportler an Kälte und Erschöpfun­g. Viele andere mussten medizinisc­h versorgt werden. Das Foto entstand bei einem späteren Zugspitzla­uf....
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