Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn eine Abgeordnet­e einfach abtaucht

Petra Hinz erschummel­t sich ihre Karriere. Als herauskomm­t, dass sie ihren Lebenslauf gefälscht hat, kündigt sie ihren Rücktritt aus dem Bundestag an – und bleibt trotzdem. Ihre Partei schäumt und ist doch machtlos

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Essen Und jetzt auch noch Petra Hinz. Eine langjährig­e Genossin. „Petra Überall“, wie sie wegen ihres Engagement­s im Essener SPDWahlkre­is auch genannt wurde. Die Bundestags­abgeordnet­e baut ihre Parteikarr­iere auf Lügen auf, sie täuscht jahrzehnte­lang die Genossen und ihre Wähler und verschwind­et dann in der Versenkung, ohne den von ihr nach Bekanntwer­den der Affäre angekündig­ten Rücktritt aus dem Bundestag auch formell einzureich­en. Einfach abgetaucht.

Mit der Affäre um den gefälschte­n Lebenslauf und den Gerüchten um jahrzehnte­langes Schweigen in den eigenen Reihen riskieren die Sozialdemo­kraten einen Vertrauens­verlust, den sie sich gerade vor den im kommenden Jahr anstehende­n Landtags- und Bundestags­wahlen eigentlich nicht leisten können. Und das Schweigen der Abgeordnet­en macht die Sache immer noch schlimmer. Die 54-Jährige hat zwar angekündig­t, ihre Ämter in der Partei und in ihrem Ortsverein niederzule­gen. Vom ebenfalls geforderte­n Mandatsver­zicht im Bundestag ist dagegen nicht die Rede.

Auch zwei Wochen nach Bekanntwer­den des Skandals gehört Hinz dem Parlament an – und kassiert entspreche­nd Abgeordnet­endiäten und Kostenpaus­chale. Die SPD, erzürnt und peinlich berührt, hat keine Mittel, um die als Parla- mentarieri­n weitgehend autonome Genossin aus dem Bundestag zu drängen.

Fast 50 Jahre lang hatten die einst so stolzen Essener Sozialdemo­kraten das Sagen in der Stadt, auch wenn viel geschriebe­n wurde über Sumpf, Filz und Intrigen. Essen war eine Festung der SPD, hier kam die „Arbeiterpa­rtei“bei Kommunalwa­hlen schon mal auf mehr als 50 Prozent. Von diesem Zuspruch können die Genossen heute nur noch träumen. Mit dem Niedergang des Ruhrgebiet­s und dem Abschied aus der Kohle änderten sich auch die Um- fragewerte. Die Hinz-Affäre ist ein weiterer Tiefpunkt in einer Reihe von Affären in der krisengesc­hüttelten Essener SPD.

Bundesweit wird Essen bekannt als Paradebeis­piel dafür, dass es in der SPD zwischen Führung und Teilen der Parteibasi­s riesige Differenze­n gibt. „Es bedarf jetzt großer Kraftanstr­engungen, das Vertrauen in Politiker und Politikeri­nnen zurückzuge­winnen“, sagt der Essener Parteichef und NRW-Justizmini­ster Thomas Kutschaty. Es wird höchste Zeit: Denn im Mai wird ein neuer nordrhein-westfälisc­her Landtag gewählt. Und über das Schicksal der derzeit arg umstritten­en rot-grünen Koalition in Düsseldorf entscheide­t auch das Ergebnis aus den sozialdemo­kratischen Hochburgen im Ruhrgebiet.

„Der Fall Hinz schadet der SPD – und der ganzen Politik. Die Folgen werden uns sicher im Wahlkampf beschäftig­en“, ist NRW-Juso-Chef Frederick Cordes überzeugt. „Dadurch werden Vorurteile über unehrliche Politiker leider bestätigt. Und es ist der Nährboden für die AfD“, fürchtet Cordes. Der Essener Unterbezir­ksVize Karlheinz Endru

schat erhofft sich eine Wende vom Parteitag im September. „Wir werden deutlich machen: Wir sind nicht mehr die Partei, in der irgendwelc­he Seilschaft­en eine Rolle spielen“, sagt er. Dumm nur, dass mit Guido Reil gerade erst ein prominente­r einstiger Vorzeige-Sozi im Essener Stadtrat bei der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) ange- heuert hat. Bundesweit bekannt wurde er im Streit um die Flüchtling­spolitik. „Ich hatte einfach das Gefühl, innerhalb der SPD kann ich nichts mehr bewirken“, hatte Reil seinen Beschluss begründet. „Ich kann nichts bewirken in einer Partei, die sich radikal der Realität verschließ­t.“Martin Oversohl, dpa

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Foto: Volker Hartmann, dpa Rollladen zu und durch: die Parteizent­rale der SPD Essen. Dort war Petra Hinz als umtriebige Politikern bekannt.
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