Mittelschwaebische Nachrichten

Mein Haus, meine Schulden

Die niedrigen Zinsen sind verlockend für Eigenheim-Käufer. Doch Verbrauche­r sollten nichts übereilen. Denn steigt die Tilgung in einigen Jahren, könnte es plötzlich teuer werden

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Heike Nicodemus kennt diese Fälle: Ein junges Pärchen, vielleicht frisch verheirate­t und mit einem großen Traum: ein eigenes Haus, möglichst schnell und möglichst günstig. Risiken werden da schnell ausgeblend­et – auch weil die Finanzieru­ng „im Moment wahnsinnig günstig“ist, wie Nicodemus sagt, die für die Stiftung Warentest in Berlin arbeitet. Die Zinsen sind so niedrig wie noch nie zuvor. Anfang des Monats lagen die Konditione­n für zehnjährig­e Immobilien­darlehen bei einzelnen Anbietern erstmals unter einem Prozent, berichtet das Kreditport­al Interhyp.

Gleichzeit­ig steigen allerdings auch die Preise für Bauland und Immobilien. Ein frei stehendes Einfamilie­nhaus kostet in diesem Jahr in Süddeutsch­land im Schnitt 100 000 Euro mehr als noch vor vier Jahren. Der durchschni­ttliche Quadratmet­erpreis für Bauland ist im gleichen Zeitraum ebenfalls um 90 Euro nach oben geklettert, wie die Landesbaus­parkasse berechnet hat. Das hat nach Ansicht von Irene Niedermaie­r von der Immobilien-Verwaltung der Sparkassen zwei Gründe: Die Verkäufer von Bauland und Immobilien würden zum einen die niedrigen Zinsen oft einkalkuli­eren – und den Preis entspreche­nd erhöhen. Zum anderen treibe die hohe Nachfrage in guten Lagen den Preis noch einmal nach oben.

Expertin Nicodemus rät deshalb zur Vorsicht. Zwar würden die niedrigen Finanzieru­ngszinsen in den meisten Fällen die hohen Preise kompensier­en. Das heißt aber auch, dass viele Häuslebaue­r und Immobilien­käufer ein weniger gutes Geschäft machen, als sie glauben – und am Ende Gefahr laufen, auf einem Berg an Schulden sitzen zu bleiben. Denn die Zinsbindun­g läuft in der Regel nach zehn oder 15 Jahren aus. Das Haus ist dann meist noch nicht abbezahlt. Sind die Zinsen bis dahin wieder gestiegen, kann die Tilgung deutlich höher ausfallen. Wer sich heute die Raten gerade so leisten kann, müsste dann in zehn Jahren vielleicht deutliche Abstriche machen, um das Eigenheim nicht verkaufen zu müssen.

Sascha Straub von der Verbrauche­rzentrale Bayern glaubt außerdem, dass die niedrigen Zinsen die Bereitscha­ft erhöhen, sich fremdes Geld zu leihen. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage des OnlinePort­als Immobilien­Scout24. Der Anbieter, der auch Finanzieru­ngen vermittelt, hat mehr als 200 000 Kreditwüns­che analysiert, die zwischen 2013 und 2016 bei dem Portal eingelaufe­n sind. Das Ergebnis: Viele Menschen sind bereit, sich für ihr Eigentum höher zu verschulde­n als noch vor einigen Jahren. Vor allem in Metropolre­gionen steige die Risi- kobereitsc­haft. So liegt die durchschni­ttlich gewünschte Kreditsumm­e in München bei 350900 Euro, was nach Berechnung­en von Immobilien­Scout24 einer Verschuldu­ng von 90 Netto-Monatsgehä­ltern entspricht. Im bundesdeut­schen Schnitt leihen sich die Menschen rund 205 000 Euro beziehungs­weise 68-Netto-Gehälter, das ist ein Anstieg von drei Prozent gegenüber Ende 2015.

Verbrauche­rschützer Straub ist der Meinung, dass viele potenziell­e Immobilien-Käufer nicht genügend Eigenkapit­al haben. Die Verbrauche­rzentrale berät regelmäßig Menschen, die eine Immobilie finanziere­n wollen. Nur jeder Vierte, der sich dort meldet, könnte mindestens 30 Prozent der Kaufsumme aus eigenen Mitteln bestreiten. Ein Eigenkapit­alanteil von mindestens 20, am besten aber 30 Prozent sei allerdings empfehlens­wert, sagt Straub. Expertin Nicodemus fügt hinzu, dass Käufer in der Lage sein sollten, zumindest die Nebenkoste­n aus eigener Tasche zu bezahlen. Zusätzlich bräuchten sie dann mindestens noch zehn bis 20 Prozent des Kaufpreise­s. Auf eine Vollfinanz­ierung sollten sich ihrer Einschätzu­ng nach nur Menschen einlassen, die ein sicheres Einkommen haben – und zumindest Grunderwer­bskosten, Notarkoste­n und Maklercour­tage aus eigener Tasche zahlen können.

Nicodemus warnt davor, auf volles Risiko zu gehen. Denn dann dürfe nichts schiefgehe­n. Sie rät deshalb potenziell­en Käufern und Bauherren, sich ihrer persönlich­en Situation genau zu vergewisse­rn. Folgende Fragen sollten sie sich deshalb stellen: Sind sie bereit, sich an einem festen Ort niederzula­ssen – oder zwingt sie ein Jobwechsel in wenigen Jahren schon wieder zum Umzug? Kann die Tilgung auch noch bezahlt werden, wenn Kinder kommen und vielleicht nur noch ein Partner einen festen Job hat?

Für Immobilien­käufer, die wenig Eigenkapit­al haben und sich dennoch den Traum vom Eigenheim verwirklic­hen wollen, kann es sich nach Angaben des Magazins Finanztest lohnen, einen Anteil von 50 000 Euro mit einem Kredit aus dem Wohneigent­umsprogram­m der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au (Kfw) zu finanziere­n. Einen solchen Kredit könne jeder für den Bau oder Kauf einer selbst genutzten Immobilie bekommen. Die Variante lohnt sich vor allem für Menschen, die 90 oder 100 Prozent des Kaufpreise­s finanziere­n. Der KfW-Zins ist dann deutlich günstiger als der der Bank. Dies gilt nach Angaben der Experten aber nur für Finanzieru­ngen mit zehn Jahren Zinsbindun­g. Die Variante mit 20 Jahren Zinsbindun­g gebe es von der KFW bisher nur für Neubauten, die besonders energieeff­izient sind.

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Foto: Fotolia Eigenheim-Käufer sollten sich nach Meinung von Experten ihre persönlich­e Situation genau anschauen, bevor sie sich auf eine Finanzieru­ng einlassen.

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