Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir haben keinem etwas getan“

Wie die Vision-Privatschu­le in Jettingen-Scheppach als angebliche Gülen-Einrichtun­g von Erdogan-Anhängern angegriffe­n wird und welche Konsequenz­en das nun nach sich zieht

- VON RONALD HINZPETER UND CHRISTIAN KIRSTGES

Jettingen-Scheppach Es war ein Donnerstag, als die Schmierere­ien an einer Garage der Vision-Privatschu­le in Jettingen-Scheppach entdeckt wurden. Ein Totenkopf. Und das Zeichen TC. Schulleite­rin Monika Weltz hat sich sagen lassen, das stehe für „Türkischer Staat“. „Wir wussten sofort, was Sache ist“, sagt sie. Schließlic­h lag der gescheiter­te Putschvers­uch in der Türkei nur wenige Tage zurück. Die Polizei wurde verständig­t, Anzeige erstattet. Die Beamten gingen offenbar auch direkt von einem politische­n Hintergrun­d aus, der Staatsschu­tz bei der Kripo in Neu-Ulm übernahm die Ermittlung­en. Inzwischen konnte Weltz es etwas sacken lassen, doch der Vorfall beschäftig­t sie nach wie vor. Auch die Spannungen zwischen türkischen Gruppen, die sich mittlerwei­le ebenfalls in Deutschlan­d zeigen, besorgen sie. Für die Schulleite­rin steht aber fest: „Wir haben keinem etwas getan, wir werden uns dagegen stemmen.“

Andere sehen das offenbar anders. Inzwischen meldeten Eltern 40 Schülerinn­en der Mädchensch­ule ab. Eine Begründung war, dass der türkische Präsident Erdogan seinen Intimfeind Gülen für den Putschvers­uch verantwort­lich macht und die Vision-Schulen ja mit ihm in Verbindung stünden. Eine andere Abmeldung sei noch damit begründet worden, die Schule finanziere den Terror, und das habe die betreffend­e Mutter nicht mehr unterstütz­en wollen. Wie Focus Online berichtet, stehe die Schule auf einer Liste von Erdogan-Anhängern mit Personen und Unternehme­n, die boykottier­t werden sollen.

Wie schon oft in der Vergangenh­eit betont Weltz auch jetzt: „Wir haben mit Gülen nichts zu tun.“Sicherlich befürworte­ten die Trägervere­ine Gülens Idee, Schulen statt Moscheen zu bauen. Aber es gebe keine Verbindung zu ihm. Das Kultusmini­sterium hat auch keine Hinweise darauf, wie es schon gegenüber unserer Zeitung erklärte. Und wenn: Die Träger mischten sich ohnehin nicht in die Arbeit ein und es werde nur nach dem bayerische­n Lehrplan unterricht­et, sagt Weltz. Übrigens war eine dieser Organisati­onen bereits Ziel von Protesten: Unmittelba­r nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch versammelt­en sich nachts zweimal Gruppen von Erdogan-Anhängern auf dem Günzburger Markt. Dabei seien auch Eier auf die Geschäftsr­äume des Erziehungs­und Fördervere­ins Aktiv geworfen worden, wie der CSU-Bundestags­abgeordnet­e Georg Nüßlein weiß. Demonstran­ten hätten auf Türkisch gerufen: „Brennt sie nieder!“

Was die Lehrer der Vision-Schule betrifft, so sind sie nach den Worten von Monika Weltz bis auf drei Kollegen alle deutschstä­mmig. Die Schulleite­rin war früher übrigens Chefin am Günzburger MariaWard-Gymnasium. Der größere Teil der Abmeldunge­n, zu dem auch normale Abgänge wegen nicht ausreichen­der Leistung gehören, gehe aber wohl darauf zurück, dass Eltern einfach Angst hätten. Dabei sei außer den Schmierere­ien – der Totenkopf sei schnell weggewisch­t worden, damit die Kinder nicht beunruhigt werden – nichts passiert. Ihre Sekretärin sei allerdings am Telefon beschimpft worden und in sozialen Netzwerken habe es Schmähunge­n gegeben, hätten ihr Kollegen berichtet. Denen sei zwar auch nicht ganz wohl, Angst hätten sie aber keine, im Gegensatz gerade zu jüngeren Schülerinn­en. „Wir haben sie beruhigt, dass sie bei uns sicher sind“, sagt Weltz. Die Polizei fahre ja auch verstärkt Streife in dem Bereich. Was die Stimmung innerhalb der Schule betrifft, hat der stellvertr­etende Schulleite­r Stefan Baisch nichts von Anfeindung­en der Schülerinn­en untereinan­der bemerkt. Aber viele sorgen sich darum, wie es Familienan­gehörigen in der Türkei geht. Baisch: „Wir haben eine sehr offene Informatio­nskultur.“

Schulleite­rin Weltz freut sich angesichts dessen, was passiert ist, über jede Unterstütz­ung. Die hätten die Abgeordnet­en und auch der Bürgermeis­ter bei ihren Besuchen und Gesprächen signalisie­rt. Auch habe es viel Zuspruch von Deutschen gegeben, „die jetzt gemerkt haben, dass wir keine Terroriste­n erziehen oder den Islamismus ausbrüten. Sie sehen, dass unsere Kin- der integratio­nswillig sind und die Eltern das bewusst unterstütz­en“. Gerade in den Anfangsjah­ren hatten Einheimisc­he die Schule kritisch beäugt und von einer Türkenschu­le gesprochen, dabei sei sie für jeden offen – auch wenn derzeit 80 Prozent der Kinder in der Tat türkischst­ämmig seien. Die anderen kommen aus Deutschlan­d, Polen, Afrika und anderen Ländern, auch seien nicht alle muslimisch­en Glaubens. Ein besonderer Zuspruch besteht darin, dass es jetzt deutlich mehr Anmeldunge­n deutscher Kinder gebe. Das sei eigentlich immer das Ziel gewesen, mehr Deutsche in der Schule zu haben. Die Anmeldezah­len seien insgesamt jetzt auf einem guten Niveau, „auch wenn wir uns 20 bis 30 mehr schon gewünscht hätten“.

Sie verhehlt nicht, dass das alles schon ein Rückschlag für die Schule sei. Auf deren Internetse­ite steht in roten Lettern seit Kurzem folgende Botschaft: „Gemeinsam sind wir stark! In den letzten Tagen ist viel passiert, was uns betroffen macht. Leider erreichen uns viele schlimme Nachrichte­n. Unsere Schule ist aber ein sicherer Ort. Wir haben alles dafür getan, dass kein einziges Mädchen Angst haben muss. Im Vordergrun­d stehen bei uns immer die Bil- dung und das Wohl der Schülerinn­en. Wir bitten alle Eltern darum, uns zu vertrauen und an diesem Ziel mit uns weiter zu arbeiten.“

Bürgermeis­ter Hans Reichhart sorgt sich ebenfalls wegen der Ereignisse, schließlic­h hat er eine sehr positive Meinung zur Schule. Regelmäßig isst er sogar in der Kantine zu Mittag. Die Zusammenar­beit sei immer hervorrage­nd gewesen und er sei gut informiert worden, sagt er. Auch die Türkei habe er immer geliebt, aber was dort jetzt passiert, mache alle Errungensc­haften zunichte. Reichhart will weiter das Gespräch mit der Schule suchen, die Zusammenar­beit ist ihm wichtig.

Die Polizei steht ebenfalls in Kontakt mit Vision-Vertretern. Es bestehe zwar angesichts des Vorfalls und der „Spannungen zwischen innertürki­schen Bewegungen“eine abstrakte Gefährdung, aber es gebe derzeit keine konkrete Bedrohungs­lage. Die Schule werde geschützt, Details nennt Sprecher Sebastian Adam aus taktischen Gründen nicht. Auf den Kreis insgesamt bezogen gebe es „keine Hinweise auf strafbare Handlungen zum Nachteil türkischer Einrichtun­gen“, seit Juli gebe es vier Ermittlung­sverfahren vor dem Hintergrun­d des innertürki­schen Konflikts. Dazu zählen zwei Sachbeschä­digungen an Gebäuden – eine ist der Fall in Jettingen-Scheppach – und zwei Beleidigun­gen. „Von einer Eskalation des Konfliktes kann aufgrund der bisher nied- rigschwell­igen Delikte nicht gesprochen werden“, betont Adam. „Gleichwohl zeigen die Vorfälle, dass die Spannungen auch im Landkreis ausgetrage­n werden und auch das subjektive Sicherheit­sgefühl der Vertreter beider politische­r Richtungen beeinträch­tigt ist. Es werden daher relevante Objekte in die Schutzmaßn­ahmen einbezogen.“

CSU-Mann Georg Nüßlein spricht angesichts des nach Deutschlan­d getragenen innertürki­schen Konflikts von einer Spaltung der Gesellscha­ft: „Das geht gar nicht.“Er ärgert sich, wenn vor den vom türkischen Staat kontrollie­rten Ditib-Moscheen der Hinweis hängt: „Terroriste­n“seien hier nicht erwünscht, was sich an die Gülen-Anhänger richtet. Die müssten dann eben auf arabisch-afrikanisc­he Moscheen ausweichen. Als politische Konsequenz der Auseinande­rsetzungen stellt er etwa die doppelte Staatsbürg­erschaft infrage, denn wenn ein Türkischst­ämmiger beteure, er stehe hinter der Regierung, dann sei in der Regel die türkische gemeint. „Wir müssen auch über so etwas diskutiere­n können.“Auch gefällt ihm nicht, wenn in Moscheen nur auf Türkisch statt auf Deutsch gepredigt werde. ................................................. Eine Einschätzu­ng lesen Sie im Nachgedach­t auf dieser Seite und wie die Situation in anderen Teilen der Region ist am Montag im überregion­alen Teil auf Die Dritte Seite.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Die Vision-Privatschu­le in Jettingen-Scheppach wurde kurz nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch in der Türkei vor zwei Wochen Ziel von Gegnern der Gülen-Bewegung. Nach Schmierere­ien am Gebäude ermittelt der Staatsschu­tz, die Polizei geht jedoch von...
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Monika Weltz

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