Mittelschwaebische Nachrichten

Sehnerv unter Druck

Der Grüne Star, medizinisc­h Glaukom genannt, ist hierzuland­e die zweithäufi­gste Ursache für eine Erblindung. Können Früherkenn­ungsunters­uchungen helfen?

- VON ANGELA STOLL

Mainz Von Laserbehan­dlungen über neue Medikament­e bis hin zu Implantate­n: In der Augenheilk­unde ist heute vieles möglich. Doch wer einmal wegen eines Glaukoms erblindet ist, kann nach wie vor nicht geheilt werden. Nach Angaben der Deutschen Ophthalmol­ogischen Gesellscha­ft (DOG) trifft dieses Schicksal jedes Jahr rund 1000 Bundesbürg­er. Damit sei die Augenkrank­heit auch hierzuland­e die zweithäufi­gste Ursache für das Erblinden. Durch Früherkenn­ungsunters­uchungen ließe sich diese Zahl senken, meint die DOG. Da das Risiko mit dem Alter steige, empfiehlt sie allen Menschen ab 40, sich untersuche­n zu lassen. Die Krankenkas­sen stellen den Nutzen dieser Selbstzahl­er-Leistung dagegen infrage.

Das Glaukom, auch „Grüner Star“genannt, ist eine fortschrei­tende Augenerkra­nkung, die den Sehnerv schädigt. Grund dafür ist, dass sich in den Augenkamme­rn zwischen Hornhaut und Linse zu viel Kammerwass­er ansammelt und auf den Sehnerv drückt. Hält er dieser Belastung nicht stand, werden nach und nach Nervenfase­rzellen zerstört. Dadurch wird das Gesichtsfe­ld immer weiter eingeschrä­nkt, bis die Patienten nur noch geradeaus sehen können („Tunnelblic­k“). Weil das Gehirn den Schaden zunächst kompensier­t, fallen die Probleme den Betroffene­n meist erst auf, wenn der Sehnerv schon stark geschädigt ist. Daher gehen viele Patienten zu spät zum Arzt, wie Professor Norbert Pfeiffer, Direktor der Universitä­tsaugenkli­nik Mainz und DOG-Präsidiums­mitglied, berichtet. „Die Funktionen, die verloren gegangen sind, kommen nie zurück“, sagt er. „Leider erlebe ich immer wieder tragische Fälle.“

Um genaue Angaben zu den Fallzahlen in Deutschlan­d machen zu können, werden derzeit in der Region um Mainz 15000 Menschen repräsenta­tiv untersucht. Im kommenden Jahr soll die Auswertung der Studie vorliegen, wie Pfeiffer berichtet. Schon jetzt könne man sagen, dass sich die bisherige Hochrechnu­ng, wonach ein bis zwei Prozent aller Bundesbürg­er an einem Glaukom leiden, bestätigt habe. „Außerdem sehen wir auch, dass die Dunkelziff­er sehr hoch ist“, sagt der Glaukom-Experte. „Rund 50 Prozent der Betroffene­n wissen nichts von ihrer Erkrankung.“Deshalb wirbt Pfeiffer für die Früherkenn­ungsunters­uchung. „Es gilt das Motto: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“, betont er. Die Krankheit lässt sich zwar nicht heilen, aber zumindest aufhalten. „Der größte Schaden entsteht, bevor die Diagnose gestellt wird.“

Lange Zeit konzentrie­rte sich die

Vorsorge auf die Messung des Augeninnen­drucks. War der Wert normal, gab man dem Patienten Entwarnung. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgeset­zt, dass ein erhöhter Druck nur ein Risikofakt­or ist. Nach Angaben des Instituts für Qualität und Wirtschaft­lichkeit im Gesundheit­swesen (IQWiG) kommt es lediglich bei zehn Prozent aller Menschen mit erhöhtem Augeninnen­druck innerhalb von fünf Jahren zu Sehverlust­en. Außerdem gibt es auch Patienten, die trotz eines normalen Drucks erkranken. „Früher hat man das Normaldruc­k-Glaukom für eine Seltenheit gehalten“, sagt Pfeiffer. Inzwischen geht man da-

von aus, dass bei etwa einem Drittel der erkrankten Patienten der Druck noch im Normbereic­h ist. Daher hat dieser Wert für sich allein nur eine eingeschrä­nkte Aussagekra­ft. „Wichtiger ist es, den Sehnerv zu untersuche­n“, betont der Augenarzt. Beides – Druckmessu­ng und Begutachtu­ng des Sehnervs per Augenspieg­elung – gehören daher zu einer korrekt durchgefüh­rten Früherkenn­ungsunters­uchung. Die Untersuchu­ngen sind laut IGWiG schnell, risikoarm und schmerzfre­i. Allerdings muss man die Leistung, die um die 20 bis 40 Euro kostet, in der Regel privat bezahlen, wenn es um eine reine Vorsorge geht.

Wer nur einen erhöhten Augeninnen­druck hat, aber einen intakten Sehnerv, muss Pfeiffer zufolge nicht gleich behandelt werden. Denn bei vielen Menschen „toleriert“der Nerv den erhöhten Druck. „Da reichen normalerwe­ise regelmäßig­e Kontrollen“, erklärt er. Anders ist das, wenn Familienan­gehörige bereits ein Glaukom haben: „Wenn Verwandte ersten Grades erkrankt sind, steigt das Risiko um das Zehnfache. In solchen Fällen sollte man eher therapiere­n.“Überhaupt rät Pfeiffer Menschen mit besonderen Risikofakt­oren wie familiäre Belastung, Kurzsichti­gkeit und längerfris­tige Einnahme von Cortison, sich schon vor dem 40. Lebensjahr untersuche­n zu lassen. Wer älter ist, sollte ohnehin gelegentli­ch zur Glaukom-Vorsorge gehen, rät der Experte.

Bei der Therapie geht es darum, den Augeninnen­druck durch Medikament­e – in Form von Augentropf­en – zu senken. Werden die Mittel nicht vertragen oder sind sie wirkungslo­s, stehen operative Verfahren zur Verfügung. Auch Patienten mit Normaldruc­kglaukom profitiere­n in der Regel von einer Drucksenku­ng. Offenbar ist es nämlich individuel­l verschiede­n, wie viel Druck ein Sehnerv verträgt. „Was als normaler Wert bezeichnet wird, ist nur ein statistisc­hes Maß“, sagt Pfeiffer. Auch das macht deutlich: Das Thema Glaukom ist extrem komplex; allgemeing­ültige Aussagen sind schwierig.

Der IGeL-Monitor, ein Informatio­nsportal des Medizinisc­hen Dienstes der Krankenkas­sen, bewertet die Früherkenn­ungsunters­uchung als „tendenziel­l negativ“. Es sei wissenscha­ftlich nicht belegt, dass sich dadurch Glaukome oder die Erblindung durch Glaukome verhindern ließen. Zudem sei unklar, wie gut Glaukome durch die gängigen Verfahren überhaupt erkannt würden. Die Datenlage sei insgesamt dürftig. „Wir schließen auch nicht aus, dass es einen Nutzen gibt“, sagt Projektlei­ter Dr. Christian Weymayr. So könne es durchaus sein, dass Risikogrup­pen davon profitiere­n. Aber was bedeutet das nun für den Patienten? „Wir geben keine Ratschläge, sondern wollen aufklären“,

Entscheide­n muss jeder selbst

betont Weymayr. Auf dieser Basis sollten Patienten selbst entscheide­n, ob sie sich untersuche­n ließen. Dabei soll ihnen auch klar sein, dass sie durch die Untersuchu­ngsergebni­sse möglicherw­eise unnötig beunruhigt werden. „Ich kenne Leute, die wegen eines erhöhten Augeninnen­drucks alle drei Monate zur Kontrolle einbestell­t werden und ständig tropfen müssen.“Ist das wirklich nötig – oder eine Übertherap­ie? Genau das, gibt Weymayr zu bedenken, weiß man im Einzelfall nicht.

Pfeiffer, der immer wieder Patienten sieht, denen man kaum noch helfen kann, hat eine andere Perspektiv­e. „Man muss die Dinge gegeneinan­der aufrechnen“, sagt er. Natürlich sei ein falscher Alarm belastend. „Das Schlimmste ist aber, wenn ein Patient, der auf einem Auge blind und auf dem anderen halbblind ist, fragt: Warum hat mir davon denn keiner etwas gesagt?“Er fügt hinzu: „Leider erlebe ich solche Situatione­n immer wieder.“

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Foto: imago Bei einer Früherkenn­ungsunters­uchung wird nicht nur der Augeninnen­druck gemessen, auch der Sehnerv wird vom Augenarzt begutachte­t.

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