Mittelschwaebische Nachrichten
Der unerwartete Durchbruch
Serge Gnabry vom FC Arsenal galt schon als gescheitertes Talent. In Rio ist er allerdings der alles überragende deutsche Spieler. Auch der FC Augsburg soll interessiert sein
Rio de Janeiro Schnell wird einem Fußballspieler heute das Prädikat „jung, talentiert, gescheitert“auferlegt. Mario Götze wird nach seinen drei Jahren beim FC Bayern nachgesagt, den Sprung vom Talent zum Topspieler nicht geschafft zu haben. Marko Marin galt vor wenigen Jahren als große deutsche Nachwuchshoffnung, konnte sich aber weder bei Chelsea, Sevilla noch bei Florenz durchsetzen.
Lange sah es aus, als drohe Serge Gnabry ein ähnliches Schicksal. Mit 16 Jahren und reichlich Vorschusslorbeeren wagte der gebürtige Stuttgarter den Schritt in die Jugend von Arsenal London. Sein Vater JeanHermann, ehemaliger Fußball-Nationalspieler für die Elfenbeinküste, zog mit seinem Sohn nach England.
Die Zeit bei den Gunners begann vielversprechend. Schon bei den Jugendteams konnte der Flügelflitzer, der sowohl auf der linken als auch der rechten Außenbahn spielen kann, Trainer Arsène Wenger auf sich aufmerksam machen. Der schwärmte von der Torgefahr des Deutschen, von seinem Antritt, von seiner technischen Raffinesse.
Mit 17 debütierte Gnabry in der Premier League, drei Tage darauf durfte er auch gegen Schalke in der Champions League ran. Und genau als er gerade dabei war, sich einen Namen zu machen, erlitt er durch eine monatelange Verletzung den ersten Rückschlag seiner Karriere.
Doch Serge Gnabry kämpfte sich zurück. Der damals 18-Jährige durfte in seinem zweiten Ligaspiel von Anfang an auf dem Platz stehen. Gnabry überzeugte, durfte eine Woche später gegen Swansea wieder ran – und schrieb Vereinsgeschichte. Mit seinem Treffer zum 2:1-Sieg wurde Gnabry zum zweitjüngsten Arsenal-Torschützen aller Zeiten. Die Londoner Medien waren begeistert von der Schnelligkeit und den Dribblings des jungen Deutschen. Sein Verein verlängerte sofort den Vertrag. „Ich bin überzeugt, dass er ein großartiger Spieler sein wird. Er ist nah dran am Stammplatz“, sagte Wenger zuversichtlich. Es kam anders.
Nach neun Saisoneinsätzen war Schluss mit Gnabrys Höhenflug. Für den Rest der Saison stand der Deutsche nicht mehr für Arsenal auf dem Platz, wurde wegen seiner Formschwäche wieder in den U-21-Kader verschoben. Nach einem weiteren Jahr ohne Einsatz hofften die Londoner, eine Leihe zu West Brom würde Gnabrys Karrie- re einen Schub geben. Vergeblich. Der Flügelspieler stand für seinen zwischenzeitlichen Arbeitgeber nur einmal auf dem Platz.
Die Verantwortlichen bei Arsenal zweifelten daran, ob Serge Gnabry den Sprung vom Talent zum TopSpieler noch schaffen könnte. Seinen Vertrag wollten sie deshalb vorerst nicht verlängern.
Einer, der immer an Gnabry glaubte, war DFB-Trainer Horst Hrubesch. Als er den Kader für die Olympischen Spiele zusammenstellte, erinnerte er sich an seinen Schützling. Gnabry zahlte seinem Nationaltrainer das Vertrauen auf beeindruckende Weise zurück, war in allen Spielen in Rio de Janeiro der entscheidende Faktor. Schon im Auftaktspiel gegen Mexiko überraschte er, als er das Remis nach seiner Einwechslung für Leon Goretzka rettete. Beim 10:0 gegen Fidschi, bei dem auch Nils Petersen (5) und Max Meyer (3) trafen, erzielte er seine Tore vier und fünf im Wettbewerb und trug so dazu bei, dass die Deutschen heute (13 Uhr) gegen die Portugiesen im Viertelfinale stehen. Leon Goretzka, dessen Verletzung Gnabrys Leistungsexplosion überhaupt erst möglich machte, wird nicht mit der Mannschaft nach Brasilia reisen. Er fällt länger aus. Serge Gnabry wird seinen Platz auch gegen Portugal einnehmen. Denn plötzlich ist er nicht mehr das gescheiterte Talent, sondern der Shootingstar der Mannschaft.
„Mich ärgert, dass man ihm im Verein nicht das Vertrauen gegeben hat“, sagt Hrubesch. Er traut Gnabry zu, endlich den nächsten Schritt zu machen. Vielleicht kann der Deutsch-Ivorer in der Heimat an alte Leistungen anknüpfen. Angeblich denken die Verantwortlichen beim FC Augsburg darüber nach, Gnabry zu verpflichten, wenn Raul Bobadilla oder Alexander Esswein den Verein verlassen. Eintracht Frankfurt und der Berliner Hertha wurde ebenfalls Interesse am 21-Jährigen nachgesagt. Die Klubs dementierten jedoch. Weil sein Vertrag am Saisonende ausläuft, dürfte Gnabry vergleichsweise günstig zu haben sein. Falls Arsenal ihn jetzt noch abgeben möchte. (mit dpa)