Mittelschwaebische Nachrichten
Paddeln für Stefan
Tragischer Unfalltod des Kanuslalom-Trainers beschäftigt die Regattakanuten. Warum Sebastian Brendel sich schon früh seiner Goldmedaille sicher ist und welche Ziele er noch hat
Rio de Janeiro Es hat angenehme 23 Grad auf der Lagoa Rodrigo de Freitas in Rio. Sebastian Brendel kniet in seinem Canadierboot, Zug um Zug setzt er sein Stechpaddel ins Wasser und kommt nach einem Blick aus dem Augenwinkel zu einer überraschenden Erkenntnis. Der Brasilianer Isaquias Queiroz dos Santos auf der Nebenbahn ist ihm nicht enteilt.
„Normalerweise führt er am Anfang meistens mit zwei, drei Längen Vorsprung“, kennt der Potsdamer die Taktik seines Widersachers. Der 28-jährige Titelverteidiger ist bei Halbzeit (500 m) auf einer Höhe mit dem Brasilianer und spürt 200 Meter später bereits die erste Vorfreude. „Ich bin stark im Endspurt und habe schnell gemerkt, dass ich das Ding in Gold nach Hause fahren kann.“
„Das kann man nicht ausblenden. Wir sind heute alle für Stefan gepaddelt.“Sebastian Brendel
Nach 1000 Metern hat Brendel eine Länge Vorsprung und ist wieder Olympiasieger. „Vor vier Jahren in London war ich nicht der Favorit, hier in Rio schon.“
Brendel hat die Branche im Canadier-Einer eindrucksvoll beherrscht. „Jedes Rennen ist ein Kampf und fordert viel Energie. Es ist nicht einfach, mit dem Druck umzugehen.“Bei der Siegerehrung ist er deshalb sichtlich bewegt. Tränen fließen. Auch der Unfalltod des Kanuslalom-Trainers Stefan Henze beschäftigt ihn. „Das kann man nicht ausblenden. Wir sind heute alle für Stefan gepaddelt.“
Thomas Konietzko, der Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), umarmt Brendel, als dieser wieder festen Boden unter sich hat, und schwelgt in Euphorie. „Sebastian hat eine Generation geprägt und ist schon jetzt in den Fußstapfen einer Birgit Fischer angekommen.“
Das ist dem zweimaligen Olympiasieger dann doch ein bisschen zu viel der Ehre. „An deren Erfolge werde ich nie herankommen.“Fischer gewann acht olympische Goldmedaillen und viermal Silber.
Brendel als fünffacher Weltmeister und neunmaliger Europameister ist wie alle Kollegen in Rio vom Zeitplangestalter zur Frühschicht verdonnert worden. „Um 5.30 Uhr hat der Wecker geklingelt.“Zwei Stunden später sticht er in See – die Aufwärmphase beginnt. Auf seinen üblichen Schluck Wasser aus dem See („Ich bekomme schnell einen trockenen Mund“) verzichtet er hier aus Sicherheitsgründen. Um die Wasserqualität steht es nicht zum Besten.
Brendel greift stattdessen zu einer Flasche Mineralwasser und erlebt kurz darauf eine Schrecksekunde. Die Wellen in der Lagune erhöhen den Widerstand des Wassers. „Nach einem komischen Paddelschlag hatte ich deshalb plötzlich Rückenschmerzen. Im Lendenwirbelbereich war alles fest. Da wurde ich schon ein bisschen nervös.“Der Physiotherapeut muss ran und leistet ganze Arbeit.
Im Rennen ist der Rücken kein Problem mehr. „Da waren die Schmerzen im Arm und den anderen Köperteilen viel größer“, sagt der Bundespolizist, der aus Schwedt an der Oder stammt und mit seiner Familie (zwei Kinder) in Potsdam lebt.
Jetzt kann er sich zwei Tage erholen und sich auf den Vorlauf am Freitag im Zweier vorbereiten. „Das ist eine schöne Zugabe“, findet Brendel. Er kann mit Jan Vandrey paddeln, weil nach Ausschlüssen einiger Nationen wegen Dopingverdachts Startplätze frei waren. „Erst einmal müssen wir das Finale erreichen, dann ist ein Platz zwischen drei und sechs realistisch“, glaubt der Goldmedaillengewinner.
Bereits ein Rennen später kann DKV-Präsident Konietzko noch einmal freudestrahlend gratulieren. „Das war das beste Rennen des Kajak-Zweiers in dieser Saison“, lobt er und klopft dem Frauen-Bundessonst trainer Kay Vesely auf die Schulter. Nur genau 0,051 Sekunden sind Franziska Weber (Potsdam) und Tina Dietze (Leipzig) langsamer als die Ungarinnen Gabriella Szabo und Danuta Kozak. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen, es war ein Superrennen“, betont Dietze, die mit ihrer Partnerin 2012 Gold gewonnen hatte. So sieht es auch der Trainer. „Kürzlich in Moskau haben uns die Ungarinnen noch deutlich abgehängt“, erzählt Vesely.
Präsident Konietzko ist mit dem Auftakt rundherum zufrieden. „Es ist schön, wenn die beste Leistung beim Saisonhöhepunkt abgerufen wird.“
Nur Max Hoff aus Köln hat im Kajak-Einer Pech. Blätter verfangen sich in seinem Steuer. Deshalb reicht es nur zu Rang sieben.