Mittelschwaebische Nachrichten

Zwei Pässe – das passt nicht allen

Hintergrun­d Die Union will die doppelte Staatsbürg­erschaft abschaffen. Doch es gibt keine Mehrheit dafür. Und im Prinzip ist der Doppelpass sowieso nur die Ausnahme von der Regel

- VON MARTIN FERBER

Berlin Über den Doppelpass streitet Deutschlan­d schon seit Jahren. Letzte Woche einigten sich die Innenminis­ter von CDU und CSU, die ursprüngli­ch eine Abschaffun­g der doppelten Staatsbürg­erschaft für in Deutschlan­d lebende Bürger mit ausländisc­hen Wurzeln fordern wollten, auf einen Kompromiss. Zunächst will man an der geltenden Rechtslage festhalten. Allerdings soll bis 2019 geprüft werden, ob sie möglicherw­eise der Integratio­n im Wege steht. Doch schon ein paar Tage nach der Einigung forderte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer eine schnelle Abschaffun­g des Doppelpass­es. „Der deutsche Pass ist kein Ramscharti­kel, den man als Zweitpass mal noch so mitnimmt“, sagte er – und schon geht der Streit von vorne los.

Wie viele Menschen in Deutschlan­d haben eine doppelte Staatsbürg­erschaft?

Die Zahlen schwanken zwischen 1,6 Millionen (Ergebnis der Volkszäh- 2011 und des Mikrozensu­s von 2014) und 4,3 Millionen (Auswertung der Melderegis­ter im Mai 2011). Die Schwankung hängt mit der komplizier­ten Rechtslage zusammen. Eigentlich müssen die Botschafte­n oder Konsulate den deutschen Behörden mitteilen, wenn ein Bürger ihres Landes um die Entlassung aus ihrer Staatsange­hörigkeit bittet, um Deutscher zu werden. Dies geschieht allerdings nicht immer so zuverlässi­g. Manche Bürger glauben auch, dass sie automatisc­h die Staatsbürg­erschaft ihres Herkunftsl­andes verlieren, wenn sie sich in Deutschlan­d einbürgern lassen – was aber nicht immer der Fall ist.

Woher kommen die Deutschen, die noch eine zweite Staatsange­hörigkeit haben?

Ein gutes Drittel der Bürger mit einem Doppelpass kommt aus einem Mitgliedsl­and der Europäisch­en Union. Nimmt man die offizielle­n Zahlen der Einwohnerm­eldeämter, wären dies bei 4,3 Millionen Doppelpäss­en rund 1,4 Millionen Menschen. Bei den „Doppelstaa­tlern“ aus den Nicht-EU-Mitgliedst­aaten stehen die Menschen aus Russland und aus der Türkei an der Spitze.

Welche Voraussetz­ungen müssen erfüllt werden, um die doppelte Staatsbürg­erschaft zu erhalten?

Grundsätzl­ich gilt: Wer in Deutschlan­d eingebürge­rt wird, verliert tatsächlic­h seine bisherige Staatsbürg­erschaft. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Mehrstaati­gkeit wird unter anderem dann akzeptiert, wenn nach dem Recht des anderen Staates keine Möglichkei­t besteht, aus der bisherigen Staatsange­hörigkeit auszuschei­den oder wenn Staaten ihren Bürgern grundsätzl­ich die Entlassung aus der Staatsange­hörigkeit verweigern. Und: Bürger aus EU-Mitgliedst­aaten sowie Schweizer und ihre Angehörige­n behalten ohnehin auch nach einer Einbürgeru­ng im Regelfall beide Pässe. Das Gleiche gilt für Spätaussie­dler aus Russland.

Was ist mit Nicht-EU-Bürgern?

Bis 2014 galt das sogenannte Optionsmod­ell. In Deutschlan­d geborelung ne Kinder von Ausländern behielten einerseits die Staatsange­hörigkeit ihrer Eltern, wurden aber anderersei­ts auch zu Deutschen. Zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr mussten sie sich dann allerdings entscheide­n, welchen Pass sie abgeben und welche Staatsange­hörigkeit sie behalten. 2014 reformiert­e die Große Koalition das Staatsbürg­erschaftsr­echt. Seitdem können Kinder ausländisc­her Eltern, die seit 2000 in der Bundesrepu­blik geboren und aufgewachs­en sind, neben der Staatsange­hörigkeit der Eltern auch die deutsche Staatsange­hörigkeit dauerhaft besitzen und behalten – wenn sie bei Vollendung des 21. Lebensjahr­es acht Jahre in Deutschlan­d gelebt oder sechs Jahre lang eine Schule besucht haben.

Kann Menschen mit doppelter Staatsbürg­erschaft der deutsche Pass wieder entzogen werden?

Das ist schwierig, weil die deutsche Staatsange­hörigkeit unter dem Schutz des Grundgeset­zes steht, das den Entzug der Staatsange­hörigkeit verbietet. Demnach darf niemand staatenlos werden. Bei einer doppelten Staatsange­hörigkeit besteht diese Gefahr nicht. Deshalb fordert Innenminis­ter Thomas de Maizière, dass Deutsche mit zwei Pässen, „die für eine Terrormili­z an Kampfhandl­ungen teilnehmen“, die deutsche Staatsange­hörigkeit verlieren.

Um wie viele Fälle geht es?

Das Bundeskrim­inalamt hat die Daten von 677 Personen analysiert, die von Deutschlan­d aus nach Syrien und den Irak ausgereist sind, um sich den Terrormili­zen anzuschlie­ßen. Von ihnen haben rund 160 Personen einen Doppelpass.

Gibt es eine politische Mehrheit für eine Abschaffun­g der doppelten Staatsbürg­erschaft?

Nein. Bislang erhebt von allen im Bundestag vertretene­n Parteien einzig die Union diese Forderung. Die SPD lehnt Änderungen kategorisc­h ab, die Grünen fordern gar, dass jedes in Deutschlan­d geborene Kind automatisc­h die deutsche Staatsbürg­erschaft erhält, wie dies auch unter anderem in den USA der Fall ist.

 ?? Foto: imago ?? Ein Bürger, zwei Staatsange­hörigkeite­n: Über den sogenannte­n Doppelpass ist – mal wieder – ein politische­r Streit entbrannt.
Foto: imago Ein Bürger, zwei Staatsange­hörigkeite­n: Über den sogenannte­n Doppelpass ist – mal wieder – ein politische­r Streit entbrannt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany