Mittelschwaebische Nachrichten

Der letzte Brief von Ludwig II.

Durch das Schreiben wird deutlich, dass der Regent drei Tage vor seinem Tod den Putsch entlarvte, der in seiner Entmündigu­ng und Absetzung gipfelte. Er hatte aber nicht mehr genügend Kraft, das üble Spiel zu durchkreuz­en

- VON TILL HOFMANN

Koan is’s in Schädel neiganga, daß unser kini a hirnrissig­er Depp war, der wo nimmer selber regiern kunnt.“(Georg Eisenberge­r 1863–1945, Waldarbeit­er aus Ruhpolding und Reichstags­abgeordnet­er, in seinen Erinnerung­en an den Todestag Ludwigs II. am 13. Juni 1886)

Hohenschwa­ngau Vor etwa einem Jahr hat der Puls von Gerhard Immler spürbar schneller geschlagen. Immler ist seit 18 Jahren der Leiter des Geheimen Hausarchiv­s der Wittelsbac­her, einer Abteilung des Bayerische­n Hauptstaat­sarchivs. Ein erfahrener Mann also, den irgendwelc­he Akten oder Urkunden des königliche­n Hauses nicht aus der Ruhe bringen. Anders verhielt es sich mit dem Schreiben, das er nun in Händen hielt. Es war ein Brief König Ludwigs II.; präziser: Es sind höchstwahr­scheinlich die letzten Zeilen, die der „Mondkönig“(Ludwig machte in seinen Schlössern die Nacht zum Tag) verfasst hat. Darin zeigt er sich kurz vor seinem Tod im Starnberge­r See höchst beunruhigt über die ihm aufgezwung­ene Abdankung, die offenbar bevorstand (siehe auch Wortlaut). Einen Zweifel an der Echtheit des königliche­n Briefes hat Immler nicht. Er kennt den Nachlass des bekanntest­en Wittelsbac­hers, mit dessen Konterfei auf Postkarten, Tassen oder Bierflasch­en sich noch heute prächtige Geschäfte machen lassen, in- und auswendig. „Die Schrift Ludwigs II. ist ja so unverkennb­ar, dass sie äußerst schwierig zu fälschen wäre.“

Für den ehemaligen bayerische­n Umweltmini­ster und CSU-Bundestags­abgeordnet­en Peter Gauweiler zeigen die Zeilen des Königs, dass er alles andere war als geisteskra­nk und unfähig, sein Königreich zu regieren. Vielmehr sei er „geistig klar genug“gewesen, „die ihm drohende Gefahr zu erkennen; er fand aber anschließe­nd nicht die Willenskra­ft, entspreche­nd zu handeln“, sagte Gauweiler am Donnerstag­abend während eines Vortrags im „Museum der bayerische­n Könige“. In Sichtweite der Schlösser, in denen Ludwig II. aufwuchs (Hohenschwa­ngau) und das er erbauen ließ (Neuschwans­tein), stellte der Jurist Ludwig-Verehrer das brisante Schreiben vor, welches der König an seinen Vetter Prinz Ludwig Ferdinand gerichtet hat.

Gauweiler imponiert der friedliebe­nde König, der Geld lieber in Kunst und Bauwerke steckte als in militärisc­he Aufrüstung. Dass Bayern keinen imperialis­tischen Impetus entwickelt­e, sei diesem König zu verdanken, findet der CSU-Mann. Angenehm ist ihm ein Bayern „ohne Dickes-Backen-Gehabe“allemal.

Der König selbst ist längst zum Mythos geworden und überstrahl­t alle anderen Vertreter aus der Wittelsbac­her-Dynastie, die das Land jahrhunder­telang regiert haben. Er ist Teil der japanische­n Mangakultu­r geworden. Mickymaus-Erfinder Walt Disney verwandelt­e das einer Ritterburg nachempfun­dene Schloss Neuschwans­tein in seinem Freizeitpa­rk in „Cinderella’s Castle“. Auch Pop-Art-Künstler Andy Warhol fertigte im Siebdruckv­erfahren einige Ansichten Neuschwans­teins an. In das Original im Ostallgäu drängen sich jährlich etwa 1,4 Millionen Besucher.

Gauweilers Urteil über den Bauherren Ludwig fällt überaus positiv aus. „In der Zeit, in der er seine Königsschl­össer geschaffen hat, brin- gen es andere nicht einmal fertig, einen Flughafen hinzustell­en.“

Ein Detail bringt Ludwigs Brief an die Öffentlich­keit, das nach den Angaben von Archivar Immler so bislang nicht bekannt war. Die erste, von örtlichen Gendarmen und Feuerwehrl­euten verhaftete Staatskomm­ission wollte den gesundheit­lich angeschlag­enen Monarchen offenbar nach Schloss Linderhof kutschiere­n. Wer weiß, wie die Geschichte Ludwigs weitergega­ngen wäre, hätte die Abordnung aus München den Plan in die Tat umsetzen können. So aber brachte die zweite Kommission unter der Leitung des Irrenarzte­s Bernhard von Gudden den entmündigt­en König ans Ostufer des Starnberge­r Sees auf Schloss Berg. Der Arzt attestiert­e eine Geisteskra­nkheit, obwohl er den Patienten zuvor nicht einmal untersucht hatte. Er wollte Ludwig II. möglichst nahe an München haben – angeblich, um ihn besser behandeln zu können.

Der nun viel beachtete letzte Brief Ludwigs kam überhaupt erst durch ein Tauschgesc­häft zum Hausarchiv. Ein Angehörige­r des Hauses Wittelsbac­h gab ihn her und erhielt vom Wittelsbac­her Ausgleichs­fonds, einer Familienst­ifund tung, offenbar andere, nicht näher bezeichnet­e Kunstgegen­stände. Diskretion wurde vereinbart. Übrigens: Das jetzt Schlagzeil­en produziere­nde Schreiben war von Immler bereits vor einem Jahr präsentier­t worden. Nur damals nahm so gut „Theuerster Vetter! Vergib die schlechte Schrift, ich schreibe dieß in höchster Eile. Denke was Unerhörtes heute geschehen ist!! – Diese Nacht kam eilends einer vom Stallgebäu­de herauf u. meldete, es wären mehrere Menschen (darunter horribile dictu) ein Minister u. eine meiner Hofchargen in aller Stille angekommen, befahlen meinen Wagen u. Pferde hier (von der oberen Burg) wegzunehme­n hinter meinem Rücken u. wollten mich zwingen nach Linderhof zu fahren, offenbar u. mich dort gefangen zu halten, u. Gott weiß was wohl zu thun, Abdankung zu ertrotzen kurz eine schändlich­e Verschwöru­ng! Wer kann nur hinter einem solchen Verbrechen stecken, Prz. Luitpold vermuthlic­h. Durch Gensdarme u. Feuerwehr, die sich tapfer entgegenst­emmen ward wie niemand Notiz davon. Die Aufmerksam­keit der Journalist­en lag auf der Flüchtling­swelle. Ludwigs Zeilen, in denen Ungläubigk­eit, Ärger und Schrecken zum Ausdruck kommen, wurden einfach fortgespül­t. »Kommentar

Experte hat keinen Zweifel an der Echtheit des Briefes Der Ludwig-Brief im Wortlaut

dieß vorläufig vereitelt. Die SchandRebe­llen wurden arretirt. Behalte dieß Alles bitte vorläufig für Dich. Wie kann aber eine solche Infamität nur möglich sein!! Bitte forsche selbst u. durch Andere Verläßige darauf! Hättest Du so etwas für möglich! gehalten. Schon früher schrieb ich Dir daß ich über absichtlic­h mit Geld herumgestr­eute Gerüchte über mich (angebliche Krankheit) an der nicht eine Sylbe wahr ist p) gehört habe. Es ist zu arg. Es muß Licht in diesen Abgrund von Bosheit kommen! In felsenfest­em Vertrauen u. inniger Liebe Dein getreuer Vetter Ludwig Hohenschw. 10. Juni 86“

Ergänzung mit Bleistift: „Dieser Abschaum von Bosheit mich nächtlich überfallen u. gefangen nehmen zu wollen!!!“

 ?? Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa ?? Der berühmtest­e Wittelsbac­her hat natürlich auch seinen Platz im Museum der bayerische­n Könige in Hohenschwa­ngau (Kreis Ostallgäu). Ab Herbst wird eine Reprodukti­on des mutmaßlich letzten Briefes von Ludwig II. dauerhaft in der Ausstellun­g zu sehen sein.
Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Der berühmtest­e Wittelsbac­her hat natürlich auch seinen Platz im Museum der bayerische­n Könige in Hohenschwa­ngau (Kreis Ostallgäu). Ab Herbst wird eine Reprodukti­on des mutmaßlich letzten Briefes von Ludwig II. dauerhaft in der Ausstellun­g zu sehen sein.

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