Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Blick auf die Verfemten und Vergessenen
„Entartete“Kunst: Ein Sammler hat die Verfolgung der Moderne im NS-Staat exemplarisch dokumentiert
Ismaning Adolf Hitler, der gescheiterte Maler und Regisseur der organisierten Verächtlichmachung der Moderne, war nicht der Erste, der Künstler diffamierte und verhöhnte als „kleine Kunstkleckser, die grundsätzlich Wiesen blau, Himmel grün und Wolken schwefelgelb empfinden“. Die Verachtung hatte Tradition in Deutschland – und sie war schon vor den Nationalsozialisten mehrheitsfähig. Kaiser Wilhelm II. verspottete Werke von Max Liebermann und Käthe Kollwitz, die sich in ihren Werken Alltagsthemen zuwandten, als „Rinnsteinkunst“.
Was aber unter der mörderischen Diktatur der Nazis auf die Künstler zukam, war ohne Vergleich. Über 1600 Künstler und 20 000 Werke wurden Opfer des willkürlichen völkischen Feldzugs gegen die sogenannte „Entartete Kunst“. In insgesamt 35 Femeschauen in ganz Deutschland (von denen die Schau „Entartete Kunst“in München 1937 die Bekannteste ist) wurden zeitgenössische Künstler zwischen 1933 und 1941 an den Pranger gestellt und diffamiert. Aus 101 Museen in Deutschland entfernten die Nazis Werke, die ihnen nicht genehm waren. Warum ein Kunstwerk als „entartet“abgestempelt wurde, hatte viele Gründe. Weil das Sujet oder der Stil den Reinheitswächtern der NS-Ideologie aufstießen, weil die Künstler politisch unbequem oder jüdisch waren oder als „wahnsinnig“diskreditiert wurden.
Unter den verfemten und öffentlich vorgeführten Künstlern waren große Namen – Otto Dix, Max Beckmann, Wassily Kandinsky –, aber die Namen der meisten der damals schikanierten, mit Berufsverbot belegten und verfolgten Künstler kennt heute kaum noch jemand.
Ihre Werke und ihre Entfaltungsmöglichkeiten wurden zerstört und so tief ausgelöscht, dass sie auch nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur kaum mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückkamen. Eben diesen Vergessenen widmet das Kallmann-Museum in Ismaning bei München derzeit eine viel beachtete Ausstellung. Hinter dem Projekt, das die bis heute noch nicht gänzlich fassbare Dimension der Knechtung und Vernichtung von Kunst und Geist in Deutschland aufzeigt, steht der Sammler Gerhard Schneider, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die diffamierten Künstler und ihre Kunst dem Vergessen zu entreißen. Schneider, Jahrgang 1938, sammelt seit Jahrzehnten Werke der von den Nazis angeprangerten Künstler – von über 400 hat er Bilder und Grafik zusammengetragen. Eine Auswahl davon ist in Ismaning zu sehen. Die Ausstellung führt zweierlei vor Augen: Zum einen, welches große künstlerische Potenzial durch das Zerstörungsund Verfolgungsprogramm der „Entarteten Kunst“ins Abseits gedrängt wurde und auch verloren gegangen ist. Zum anderen: Wie wenig Bewusstsein abseits der großen Namen für das Schicksal der 1600 Geschmähten bis heute vorhanden ist. Für Gerhard Schneider war die zufällige Begegnung mit dem Nachlass von Valentin Nagel (1891–1942) die Initialzündung, sich intensiv mit den diffamierten großen Unbekannten zu befassen. „Wie war solches Vergessen möglich?“– diese Frage trieb den Sammler ebenso an wie der Wunsch, den Verfemten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihr Werk ins Blickfeld zu rücken. Zumindest das, was davon noch übrig ist. Denn manches wurde von den Nazis verkauft, das meiste jedoch vernichtet. Schneider spricht von „geradezu uferlosen Verlusten“. In einem über 400 Seiten starken, hervorragenden Katalog zur Ausstellung in Ismaning sind Biografien von Künstlern ebenso zu finden wie akribisch dokumentierende Listen, wessen Werke wann und wo als entartet beschlagnahmt wurden. Es ist ein Standardwerk zum Thema, das die Ausstellung überdauern wird.
Laufzeit bis 11. September. Der Katalog kostet 24 Euro. Infos unter: www.kallmann-museum.de