Mittelschwaebische Nachrichten
Ans Wasser, ins Wasser, aufs Wasser
Seit Jahren versuchen Naturschützer, der Isar wieder mehr Raum zu geben. Ein Erfolg, sagen die einen. Eine Katastrophe, meinen andere. Weil der Fluss viel zu viele Menschen anzieht. Eine Geschichte von rücksichtslosen Massen, Müllbergen und der Suche nach
München Wer einen Infostand hat und mit wildfremden Menschen in Kontakt treten will, der sollte etwas anzubieten haben. Bei Gabriele Grimmeiß und Fabian Unger ist es etwas ganz Besonderes. Sie verschenken weder Kugelschreiber noch Blumen, weder Luftballons noch Bonbons. Sie bieten kostenlos Druckluft an. Auch der Ort, an dem sie ihren kleinen Infostand aufgebaut haben, ist ungewöhnlich: Er steht an einem kleinen Waldweg an der Isar unterhalb der Marienbrücke bei Wolfratshausen. Wer hier vorbeikommt, will ans Wasser, ins Wasser oder aufs Wasser.
Unger und Grimmeiß haben vor allem die Menschen im Visier, die aufs Wasser wollen. Die beiden sind Vogelschützer – Unger hauptamtlich beim Landesbund für Vogelschutz, Grimmeiß ehrenamtlich. Sie wollen aufklären, wie wertvoll die Tier- und Pflanzenwelt am Fluss ist und wie man sich richtig verhält, um in dem Naturschutzgebiet nicht zu stören und nichts zu zerstören. Ihre Zielgruppe: Schlauchbootfahrer. Ihr Trick, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen: drei ordentliche Luftpumpen zur freien Verfügung. „Ich helfe manchmal sogar beim Aufpumpen“, sagt Unger.
Aufklärung wird auch 35 Kilometer flussabwärts immer wichtiger. Auf acht Kilometern Länge wurde die Isar renaturiert, 2011 hat man das Projekt im Süden Münchens abgeschlossen. Seither kommen an schönen Sommertagen und -abenden nicht mehr hunderte Erholungsuchende an den Fluss, sondern viele tausende. Einige legen sich in die Sonne oder suchen Abkühlung im Wasser. Andere grillen, drehen ihre Gettoblaster auf und feiern, was das Zeug hält. Nicht wenige torkeln des Nachts die Uferböschungen hoch, als kämen sie direkt vom Oktoberfest. Zurück bleiben leere Flaschen, abgenagte Knochen, Aschehaufen, Müll und sonstige Hinterlassenschaften.
Eines der Ziele der Isar-Renaturierung, den Menschen der Großstadt ihren Fluss als Naherholungsgebiet zurückzugeben, sei zweifellos erreicht worden, sagt Rolf Renner von der Isar-Allianz. Er sagt es mit ironischem Unterton und fügt hinzu: „Das ist sogar zu einer Katastrophe geworden.“Viel zu spät habe man von Seiten der Stadt München damit begonnen, „die überbordende Freizeitnutzung wieder einzudämmen“. Auch sei es bisher nicht gelungen, wieder mehr Artenreichtum bei Pflanzen und Tieren in die Stadt zu bringen. „Da hapert es noch ganz gewaltig“, sagt Renner.
Die Isar-Allianz, ein Zusammenschluss von Vereinen und Verbänden, die es sich zum Ziel gesetzt haben, dem einst wilden, später begradigten und einbetonierten Fluss mehr Freiräume zu erkämpfen, meldet zwar beachtliche Erfolge. Zufrieden aber kann man nach Renners Worten noch lange nicht sein. Das gilt auch für viele andere Interessengruppen, die den Fluss und seine Umgebung nutzen: Fischer, Wanderer, Naturfreunde, Umweltschützer, Kanusportler, Surfer, gewerbliche Bootsverleiher und Flößer sowie – nicht zu vergessen – die Anwohner im Stadtgebiet. Fast jeder weiß etwas, was aus seiner Sicht noch besser sein könnte.
Ist also nicht alles, was gut gemeint war, auch gut gemacht worden? Und was kommt auf die Menschen an Wertach und Lech zu, wo ebenfalls Renaturie geplant oder im Gang sind?
Das bayerische Umweltministerium kann – abgesehen von den unerwünschten Folgen der Grillpartys – keine Nachteile von Renaturierungen erkennen. Im Gegenteil. „Es ist fantastisch, was hier an der Isar passiert ist“, sagt Professor Martin Grambow, Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft. Er listet die offenkundigen Vorteile auf: Man habe den Menschen in der Millionenstadt München Zugang zur Natur direkt vor ihrer Haustür ermöglicht. Das Landschaftsbild und die Wasserqualität seien deutlich verbessert worden. Der Fluss habe Dynamik zurückgewonnen. Und trotz der Probleme mit dem Müll und den offenen Feuerstellen sei das ökologische System dabei, sich insgesamt zu stabilisieren. Damit sei auch die Voraussetzung für eine langsame Verbesserung der Biologie gegeben.
Für Ulrike Scharf steht fest, dass die Projekte fortgesetzt werden: „Wir wollen die Isar bis zur Mündung in die Donau ökologisch durchgängig machen“, sagt die Umweltministerin (CSU). Naturnahe Flüsse hätten eine herausragende Bedeutung für die Lebensqualität und das Freizeitangebot der Menschen. „Gleichzeitig wollen wir Tieren und Pflanzen ihre ursprünglichen Lebensräume zurückgeben. Das ist ein doppelter Gewinn für Mensch und Natur.“
Das grundsätzliche Problem, mit welchen Maßnahmen im Naturschutz die gewünschten Wirkungen zu erzielen sind, beantworten die Experten im Ministerium mit einer Formel: „No regret“(keine Reue). Das bedeutet: Gemacht wird nur, was auf jeden Fall nützen und auf keinen Fall schaden kann. Denn Ökosysteme sind so komplex, dass niemand genau voraussagen kann, wie sich ein gut gemeinter Eingriff auswirkt. Klassisches Beispiel: Fischereivereine versuchen immer wieder, mit künstlich angelegten Kiesbänken die Voraussetzung zu schaffen, dass Fische, die nur auf Kies laichen, sich in dem Gewässer wieder fortpflanzen können. In aller Regel scheitern derlei Versuche, weil die Verschlammung, die schon die ursprünglichen Kiesbänke zerstört hat, auch künstlich angelegte Kiesbänke vernichtet. Die Anstrengungen der Fischer sind häufig vergeblich. Das Geld ist versenkt.
Professor Grambow formuliert es so: „Jeder Fluss hat seine eigene Handschrift. Wenn man versucht, da etwas in einer anderen Schrift reinzuschreiben – das funktioniert nicht.“Bei Renaturierungen konzentriere man sich deshalb längst darauf, den Fluss wieder durchgänrungen gig zu machen oder Uferbefestigungen abzubauen. Den Rest erledigt die Natur. Die Isar in München habe dort, wo sie sich frei entfalten konnte, wieder Kiesbänke gebildet. Das allein sei schon ein Erfolg. Ob selten gewordene Fischarten wie Äschen oder Huchen wieder aufkommen und sie als Laichplätze annehmen, steht damit freilich noch lange nicht fest.
Für Christine Margraf, die beim Bund Naturschutz in Bayern für den Artenschutz zuständig ist, ist die Renaturierungsstrecke in München ein Sonderfall. „Für das, was in einer Großstadt möglich ist, hat man in München wirklich sehr viel getan“, sagt sie. Die eigentlichen Erfolge von Renaturierungen an der Isar seien 30 Kilometer flussabwärts zwischen Freising und Moosburg zu sehen. Dort sei binnen kürzester Zeit in der Tier- und Pflanzenwelt eine enorme Vielfalt entstanden. „Es ist, als hätte die Natur nur darauf gewartet, dass die Uferversteinerungen wegkommen.“An einer Stelle habe sich der Fluss zur Überraschung aller Experten sogar in drei Arme aufgespalten. In der Stadt seien solche Erfolge schon wegen des fehlenden Platzes und der hohen Frequenz der Erholungsuchenden nicht zu erwarten.
Auch im Münchner Baureferat, das für den Gewässerunterhalt zuständig ist, kann man die Kritik aus den Reihen der Isar-Allianz nicht nachvollziehen. „Im Grunde“, sagt Pressesprecherin Dagmar Rümenapf, „geht es nur darum, dass die Leute ihren Müll wieder mitnehmen.“Das Baureferat kümmere sich darum schon seit Jahren, setze Reinigungspersonal ein, stelle Behälter für Müll zur Verfügung, schicke regelmäßig Naturschutzwächter zur Kontrolle los und bemühe sich um Öffentlichkeitsarbeit und Werbung für richtiges Verhalten.
Die Aufklärungsarbeit, die Fabian Unger und Gabriele Grimmeiß in Wolfratshausen leisten, hat noch eine ganz andere Qualität. Die Vogelschützer zählen an ihrem Infostand „etwa 50 Kontakte pro Tag“, sagt Unger. Die Aktion, die dieses Jahr erstmals durchgeführt wird, ist Teil des Projekts „Alpenflusslandschaften“. Es wird vom WWF Deutschland koordiniert, vom Bundesumweltministerium und 18 Partnern unterstützt.
Nach Aussage Ungers geht es nicht nur darum, die Schlauchbootfahrer gezielt anzusprechen und zur Rücksichtnahme anzuhalten. Ziel sei auch, bei den Menschen, die den Fluss nutzen, ein Gefühl für die Natur zu wecken. Er weist sie auf die Brutgewohnheiten der besonders schützenswerten Flussregenpfeifer und Flussuferläufer hin und dass man die Nester dieser bedrohten Vogelarten auf den Kiesbänken leicht übersehen kann. Er erzählt ihnen,
Manche torkeln am Ufer, als kämen sie von der Wiesn
An einer Stelle hat sich die Isar in drei Arme geteilt
was Natur- und Vogelschützer alles unternehmen, um die Ökosysteme zu pflegen. Er klärt sie über das Laichverhalten von Fischen und über die Besonderheiten bestimmter Heuschreckenarten wie den Kiesbank-Grashüpfer oder die gefleckte Schnarrschrecke auf. Manchmal muss Fabian auch bei Adam und Eva anfangen. „Viele Leute wissen gar nicht, dass es sich hier um ein Naturschutzgebiet handelt.“
Während er das erzählt, kommt Henning Schleusener von den „IsarPiraten“, einem Bootsverleih, vorbei. Auch er ist, wie sich schnell herausstellt, ein Aufklärer, der viel Wert auf den Schutz des Lebensraums Isar legt. Glasflaschen sind in seinen Booten verboten – nicht nur, um Müll zu vermeiden, sondern auch wegen der Gefahren für Leib und Leben auf dem Fluss. „Unser Hauptproblem ist, wenn die Leute zu viel Alkohol trinken“, sagt Schleusener. Unger hat es an seinem Infostand auch schon mit Betrunkenen zu tun gehabt. Und er kennt die Gefahr: „Es gibt an der Isar jedes Jahr Tote.“