Mittelschwaebische Nachrichten

Wie mit immer mehr Flüchtling­en umgehen?

Welche Lösungen Forscher in Augsburg diskutiere­n

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Die Ruhe täuscht. Auch wenn nach dem großen Ansturm 2015 derzeit wieder weniger Menschen nach Deutschlan­d kommen, gibt es vor den Toren Europas noch Millionen Menschen, die auf der Flucht sind und einen sicheren Hafen suchen, berichtet der renommiert­e Einwanderu­ngsforsche­r Christian Dustmann. Allein 2015 seien weltweit 54 Millionen Menschen vor Krieg, Gewalt und Verfolgung geflohen, sagt der gebürtige Deutsche, der heute am University College London arbeitet. Statistisc­h gesehen sei einer von 122 Erdenbürge­rn aktuell ein Flüchtling – sehr viele kommen derzeit wegen des Krieges aus Syrien.

Für Dustmann zeigen die beeindruck­enden Zahlen vor allem eines: Der Einwanderu­ngsdruck auf Europa werde nicht abnehmen. Wie damit umgehen? Auf diese Frage suchten Forscher Antwort auf dem diesjährig­en Treffen des Vereins für Socialpoli­tik, eine der größten wirtschaft­swissensch­aftlichen Vereinigun­gen der Welt. Schaffen wir das oder nicht? Diese Frage treibt auch die Wissenscha­ft um. Die Tagung mit rund 800 Teilnehmer­n fand an der Uni Augsburg statt.

Die Situation ist alles andere als einfach, das macht der neue Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung, Clemens Fuest, deutlich. Seiner Schätzung zufolge hat die Einwanderu­ngswelle 2015 über eine Million Menschen nach Deutschlan­d geführt. „Die Zuwanderun­g war größer als in den USA im Jahr 1907 – und das ist das Rekordjahr für die Vereinigte­n Staaten“, sagt Fuest auf einer Pressekonf­erenz.

Das Problem sieht er darin, die Menschen in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n. Am Anfang sei die Euphorie über die Neuankömml­inge groß gewesen. „Es gab die Vorstellun­g, dass Zuwanderun­g das Fachkräfte­problem löst oder die Sozialkass­en füllt.“Doch die Euphorie ist weg. „Heute sieht man, dass der Weg in den Arbeitsmar­kt lang ist“, sagt Fuest. Denn Flüchtling­e kommen nicht, weil sie gezielt auf der Suche nach einem Job sind, sondern weil sie vor Krieg und Gewalt fliehen. „Ob wir es schaffen oder nicht, wird sich erst in den nächsten Jahren herausstel­len“, meint Fuest.

Für den Ökonomen müssen viele praktische Probleme gelöst werden. Er rechnet damit, dass die Versorgung eines Flüchtling­s rund 1000 Euro im Monat kostet. „Ziel ist es aber, dass die Menschen mehr in die öffentlich­en Kassen einzahlen, als sie herausbeko­mmen.“Derzeit sieht es hier düster aus: Während die Beschäftig­ungsquote der einheimisc­hen Bevölkerun­g 66 Prozent betrage, seien es bei den hier lebenden Syrern nur sieben Prozent.

Das zu ändern, erschweren mehrere Hinderniss­e. Bei den meisten Flüchtling­en sei unklar, ob sie bleiben. Die Unsicherhe­it, ob ein Flüchtling am Ende abgeschobe­n wird, hindert Firmen daran, in eine Ausbildung der Neuankömml­inge zu investiere­n. Das machen die Fachleute deutlich. Der Wirtschaft­sweise Christoph M. Schmidt fordert deshalb schnellere Asylverfah­ren. Fast alle Forscher fordern mehr Deutschkur­se.

Für Ifo-Chef Fuest geht es aber auch um teils banale Dinge: Viele Einwandere­r müssten lernen, dass man hierzuland­e einen Lebenslauf schreiben muss, um sich zu bewerben. Er wundert sich außerdem, dass Formulare der Arbeitsage­ntur nur auf Deutsch erhältlich sind und nicht auf Englisch oder Arabisch.

Zündstoff bergen Vorstöße wie der von Reint Gropp, Chef des Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung Halle. Er fordert, die „rigiden“Zugangsbes­chränkunge­n für eine Arbeit im Handwerk zu überdenken. Für Flüchtling­e stellen sie hohe Schranken dar. „Hier würde uns mehr Liberalisi­erung gut tun“, sagt Gropp.

Und noch eine Diskussion muss Deutschlan­d aus Sicht von Ifo-Chef Fuest führen: Die, ob sich das Land als Einwanderu­ngsland versteht. Theoretisc­h könnten mit steigenden Kapazitäte­n zum Beispiel an Sprachkurs­en auch mehr Menschen aufgenomme­n werden. „Die Frage ist aber, ob die Bevölkerun­g so viele Menschen auch aufnehmen will?“Fuest zeigt sich hier skeptisch.

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