Mittelschwaebische Nachrichten
Wie mit immer mehr Flüchtlingen umgehen?
Welche Lösungen Forscher in Augsburg diskutieren
Augsburg Die Ruhe täuscht. Auch wenn nach dem großen Ansturm 2015 derzeit wieder weniger Menschen nach Deutschland kommen, gibt es vor den Toren Europas noch Millionen Menschen, die auf der Flucht sind und einen sicheren Hafen suchen, berichtet der renommierte Einwanderungsforscher Christian Dustmann. Allein 2015 seien weltweit 54 Millionen Menschen vor Krieg, Gewalt und Verfolgung geflohen, sagt der gebürtige Deutsche, der heute am University College London arbeitet. Statistisch gesehen sei einer von 122 Erdenbürgern aktuell ein Flüchtling – sehr viele kommen derzeit wegen des Krieges aus Syrien.
Für Dustmann zeigen die beeindruckenden Zahlen vor allem eines: Der Einwanderungsdruck auf Europa werde nicht abnehmen. Wie damit umgehen? Auf diese Frage suchten Forscher Antwort auf dem diesjährigen Treffen des Vereins für Socialpolitik, eine der größten wirtschaftswissenschaftlichen Vereinigungen der Welt. Schaffen wir das oder nicht? Diese Frage treibt auch die Wissenschaft um. Die Tagung mit rund 800 Teilnehmern fand an der Uni Augsburg statt.
Die Situation ist alles andere als einfach, das macht der neue Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, deutlich. Seiner Schätzung zufolge hat die Einwanderungswelle 2015 über eine Million Menschen nach Deutschland geführt. „Die Zuwanderung war größer als in den USA im Jahr 1907 – und das ist das Rekordjahr für die Vereinigten Staaten“, sagt Fuest auf einer Pressekonferenz.
Das Problem sieht er darin, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Am Anfang sei die Euphorie über die Neuankömmlinge groß gewesen. „Es gab die Vorstellung, dass Zuwanderung das Fachkräfteproblem löst oder die Sozialkassen füllt.“Doch die Euphorie ist weg. „Heute sieht man, dass der Weg in den Arbeitsmarkt lang ist“, sagt Fuest. Denn Flüchtlinge kommen nicht, weil sie gezielt auf der Suche nach einem Job sind, sondern weil sie vor Krieg und Gewalt fliehen. „Ob wir es schaffen oder nicht, wird sich erst in den nächsten Jahren herausstellen“, meint Fuest.
Für den Ökonomen müssen viele praktische Probleme gelöst werden. Er rechnet damit, dass die Versorgung eines Flüchtlings rund 1000 Euro im Monat kostet. „Ziel ist es aber, dass die Menschen mehr in die öffentlichen Kassen einzahlen, als sie herausbekommen.“Derzeit sieht es hier düster aus: Während die Beschäftigungsquote der einheimischen Bevölkerung 66 Prozent betrage, seien es bei den hier lebenden Syrern nur sieben Prozent.
Das zu ändern, erschweren mehrere Hindernisse. Bei den meisten Flüchtlingen sei unklar, ob sie bleiben. Die Unsicherheit, ob ein Flüchtling am Ende abgeschoben wird, hindert Firmen daran, in eine Ausbildung der Neuankömmlinge zu investieren. Das machen die Fachleute deutlich. Der Wirtschaftsweise Christoph M. Schmidt fordert deshalb schnellere Asylverfahren. Fast alle Forscher fordern mehr Deutschkurse.
Für Ifo-Chef Fuest geht es aber auch um teils banale Dinge: Viele Einwanderer müssten lernen, dass man hierzulande einen Lebenslauf schreiben muss, um sich zu bewerben. Er wundert sich außerdem, dass Formulare der Arbeitsagentur nur auf Deutsch erhältlich sind und nicht auf Englisch oder Arabisch.
Zündstoff bergen Vorstöße wie der von Reint Gropp, Chef des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Er fordert, die „rigiden“Zugangsbeschränkungen für eine Arbeit im Handwerk zu überdenken. Für Flüchtlinge stellen sie hohe Schranken dar. „Hier würde uns mehr Liberalisierung gut tun“, sagt Gropp.
Und noch eine Diskussion muss Deutschland aus Sicht von Ifo-Chef Fuest führen: Die, ob sich das Land als Einwanderungsland versteht. Theoretisch könnten mit steigenden Kapazitäten zum Beispiel an Sprachkursen auch mehr Menschen aufgenommen werden. „Die Frage ist aber, ob die Bevölkerung so viele Menschen auch aufnehmen will?“Fuest zeigt sich hier skeptisch.