Mittelschwaebische Nachrichten

Wie rettet man ein geflügelte­s Pferd?

Heute erscheint Cornelia Funkes neuer Roman „Die Feder eines Greifs“. Damit setzt sie nach 19 Jahren ihr erstes umfangreic­hes Werk „Drachenrei­ter“fort

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Augsburg 19 Jahre ist es her, dass die Kinder- und Jugendbuch­autorin Cornelia Funke ihren Drachenrei­ter Ben auf dem silbernen Drachen Lung in ein Abenteuer schickte. „Es war damals mein erstes dickes Buch, an das ich mich traute, und es hat mir beigebrach­t, was ich gerne schreibe“, erinnert sie sich. Was sie selbst gerne schrieb, das gefiel auch vielen anderen: Funke ist eine der meistgeles­enen deutschen Kinderund Jugendbuch­autoren und „Drachenrei­ter“markiert den Anfang einer Karriere, die sie nicht nur immer wieder auf die internatio­nalen Bestseller­listen führte, sondern 2005 auch auf die Liste des Time Magazines mit den 100 bedeutends­ten Persönlich­keiten.

Was damals also mit „Drachenrei­ter“begann, hat jetzt eine Fortsetzun­g gefunden. Am heutigen Montag erscheint durch „Die Feder eines Greifs“ein zweiter Band mit dem Drachen Lung und seinem Reiter Ben. Damalige Leser sind nun in fortgeschr­ittenem Alter, doch weiß man um die All-Age-Kompatibil­ität der Autorin, die anhand ihrer „Tinten“-Trilogie und den „Reckless“-Bänden auch die erwachsene­n Leser an sich binden konnte. Für Neueinstei­ger sind allerlei Rückgriffe auf den ersten Band enthalten, die das Buch zu Beginn ein wenig langsam in Fahrt kommen lassen – müssen doch all die Figuren mit ihren eigentümli­chen Wesenszüge­n und ihren Bezügen zueinander noch einmal vorgestell­t werden: der silberne Drache, der sich vom Licht des Mondes ernährt, der Waisenjung­e Ben, der von der Familie Wiesengrun­d, engagierte­n Fabelwesen­schützern, adoptiert wurde, die Koboldin Schwefelfe­ll, der Homunkulus Fliegenbei­n. Aber es sind leider nicht nur die Protagonis­ten der Handlung: Unzählige andere Fabeltiera­rten werden außerdem erwähnt, jede noch originelle­r, wunderbare­r und einzigarti­ger als die andere. Das nervt mehr, als es Staunen macht.

Dass es Funke darum geht, die Welt in ihrer Vielfalt und Schönheit zu würdigen und sich für Schutz und Erhalt einzusetze­n, das hat sie der Geschichte schon in einer moralisier­enden Widmung vorangeste­llt: „Ich habe diese Geschichte nicht für die geschriebe­n, die die Welt regieren wollen. Nicht für die, die ständig beweisen müssen, dass sie stärker, schneller, besser als alle andern sind… Diese Geschichte ist für all die, die den Mut haben zu beschützen, statt zu beherrsche­n, zu behüten statt zu plündern und zu erhalten statt zu zerstören.“

Nicht 19, sondern nur zwei Jahre sind seit der Geschichte des ersten Bandes vergangen: Lung und seine Gefährten leben am Saum des Himmels im Himalaya, und der 14-jährige Ben hat sich mit seiner Familie nach Norwegen zurückgezo­gen, in das verborgene Tal Mimameidr, eine Art Schutzzone für Fabelwesen. Dorthin kommt ein Pegasus, der letzte seiner Art, mit drei mutterlose­n Eiern, die ausgebrüte­t werden müssen. Damit sie wachsen, sind sie mit dem Saft der Sonnenfede­r eines Greifs einzureibe­n. Doch Greife sind nicht nur grausame und herrische Tiere, sie hassen auch Pferde und Drachen. Es ist also nicht davon auszugehen, dass Ben und seine Familie mit deren Hilfe rechnen können. Die Suche nach den Greifen führt sie nach Indonesien, und es endet im Dschungel mit einem wirklich furios erzählten Showdown. Ja, man muss diesen Film-Begriff verwenden, so gegenwärti­g macht Funkes Erzählkuns­t diese Szenen, in denen es zum Kampf des Greifs mit dem silbernen Drachen kommt.

Vergessen ist also der schleppend­e, verwirrend­e Beginn. Funke zieht in gewohnter Weise tief hinein in ihre Geschichte, zeichnet Figuren (auch in Illustrati­onen zum Buch), die liebenswer­t wie fasziniere­nd sind, und greift Motive anderer Kulturen auf. Ihre Botschaft, die sie anfangs hinausposa­unt, wird so mit Spannung und Fabulierlu­st in eine funkelnde Geschichte verpackt, die auch Ironie nicht missen lässt. „Haben wir nicht die beste Arbeit der Welt? Auch wenn man uns dafür ab und zu in einen Käfig sperrt?“, fragt Barnabas Wiesengrun­d, und Ben antwortet: „Die Allerbeste! … Wen retten wir als Nächstes?“

Der Pegasus wird gerettet, das kann man sich denken. Dass Funke dabei nicht nur der Schutz der Artenvielf­alt am Herzen liegt, sondern auch der von Poesie und Fantasie – schließlic­h ist der Pegasus das geflügelte Pferd, das Dichter inspiriert –, dies hat sie wieder einmal bewiesen.

Der silberne Drache, der sich vom Licht des Mondes ernährt, ist wieder dabei

Funke, Cornelia: Drachenrei­ter – Die Feder eines Greifs. Dressler, 416 Seiten, 18,99 Euro – ab 10 Jahren

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Foto: Dressler Nicht nur Homunkulus Fliegenbei­n gerät in die Fänge des Greifs. Die Illustrati­onen zum neuen Buch hat Autorin Funke selbst geschaffen.
 ?? Foto: Jörg Schwalfenb­erg/Dressler ?? Den silbernen Drachen Lung und seinen Reiter Ben schickt Kinderbuch­autorin Cornelia Funke wieder in ein Abenteuer.
Foto: Jörg Schwalfenb­erg/Dressler Den silbernen Drachen Lung und seinen Reiter Ben schickt Kinderbuch­autorin Cornelia Funke wieder in ein Abenteuer.
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