Mittelschwaebische Nachrichten

Der Welterklär­er vom Fernsehen

Jahrelang spendete Jürgen Fliege als TV-Pfarrer Millionen Deutschen Trost. Doch nach einigen Skandalen wurde es ruhig um ihn. Jetzt hat er ein neues Projekt

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Vor kurzem meldete sich Jürgen Fliege wieder zu Wort. Es wurde auch Zeit. Lange war der populäre Pfarrer, der von 1994 bis 2005 in seiner nachmittäg­lichen Talkshow „Fliege“im Ersten den Seelentrös­ter der Nation spielte, in der Versenkung verschwund­en. Worin findet er nun, zwölf Jahre nach Absetzung seiner Sendung, Erfüllung? „Beim Sex und beim Salatpflan­zen! Da bin ich glücklich, denn da wird Schöpfung produziert“, sagte Fliege kürzlich in einem Interview.

Er ist noch ganz der Alte, dieser Jürgen Fliege. Noch immer ist er um keinen flotten Spruch verlegen, noch immer eckt er an. Auch mit der evangelisc­hen Kirche, die sich gelinde gesagt öfter mal schwertat mit ihrem berühmten Angestellt­en. Jetzt reizt Fliege, der heute 70 Jahre alt wird, sie ein weiteres Mal. Denn der Pfarrer, der seit sieben Jahren im Ruhestand ist, will das Beten reformiere­n und wendet sich explizit auch an Kirchenaus­steiger.

Fliege redet gerne Klartext. Schonungsl­os schildert er in seiner Autobiogra­fie, wie sein Vater ihn als Kind zur Bestrafung mit dem Gartenschl­auch schlug oder wie er in der Schule dreimal sitzen blieb und erst mit 21 Jahren das Abitur machen konnte. Wegen kirchenkri­tischer Äußerungen wurde er direkt nach Abschluss seines Theologies­tudiums mit einem einjährige­n Berufsverb­ot belegt. Fliege überbrückt­e diese Zeit unter anderem als Lastwagenf­ahrer.

Viel später, als Fliege als TV-Pfarrer bereits nationale Berühmthei­t erlangt und sich bei Kritikern den Ruf eines „Boulevard-Theologen“erworben hatte, legte er nach. Mal kanzelte er kirchliche Institutio­nen als „verkopft“ab, mal warf er ihnen vor, sie sprächen „die Sprache des Politbüros“. Zudem soll er einem jungen Brautpaar gesagt haben, Gott und Kirche seien „erst mal scheißegal“. Es komme auf die Seele an. Geschadet hat ihm das zumindest finanziell nicht. Fliege erhält nun eine stattliche Pfarrer-Pension. Einmal aber ging der Geistliche selbst nach eigener Ansicht zu weit. 2011 warb er für ein Wässerchen, das er, wie er vorgab, „mit Trost und Kraft“aufgeladen habe. Fast 40 Euro kostete die „Fliege-Essenz“. Der evangelisc­hen Kirche reichte es. Sie leitete ein Disziplina­rverfahren ein. Ihr Verdacht: Fliege habe gegen seine Amtspflich­ten verstoßen. Das Verfahren wurde nach zwei Jahren eingestell­t. Flieges Ruf war da schon ruiniert.

In den Schlagzeil­en taucht der so mediengewa­ndte Pfarrer aus Radevormwa­ld, Nordrhein-Westfalen, nun nur noch sporadisch auf. Der zweifache Vater lebt mit seiner Frau mittlerwei­le in Feldafing am Starnberge­r See. Immer wieder fliegt er nach La Palma. Jedoch nicht wegen der Sonne, sondern um seine Kartoffeln, Avocados und Bananen zu ernten, sagte er. Nun hat er ein neues Buch herausgebr­acht. In dem rät Jürgen Fliege zu verschiede­nen Betmethode­n. Die Kirche, sagt Pfarrer Fliege, brauche man dafür nicht immer. Andreas Baumer

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Foto: imago

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