Mittelschwaebische Nachrichten

Die grotesken Wege des Emil Nolde

Er ist der Farbmagier des Expression­ismus, berühmt für dramatisch­e Landschaft­en und üppige Blumengärt­en. Auf die Nazis lässt er sich ein, bis seine Kunst als „entartet“gilt. Das Buchheim-Museum erinnert nun an den Jubilar

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in Dachau und Paris. Und Nolde, wie er sich 1902 nach der Heirat mit der Schauspiel­erin Ada Vilstrup nennt, ist ausdauernd und interessie­rt. In Berlin eröffnet ihm seine dänische Frau eine neue Welt, nun bereichern das Theater und das Nachtleben sein um die Natur kreisendes Schaffen. Er lernt Kollegen wie Edvard Munch kennen, schließt sich 1907 den Brücke- an, um es gerade mal ein Jahr auszuhalte­n. Nolde mag sich nicht einordnen, 1910 verkracht er sich deshalb auch mit dem „Überimpres­sionisten“Max Liebermann und verlässt die Berliner Secession.

Doch die so unterschie­dlichen Begegnunge­n kitzeln den eigentlich­en Nolde heraus. Er ist radikaler als die anderen, taucht tiefer in den Farbtopf als die meisten ExpressioM­alschulen nisten. Kraftvoll gleitet der Pinsel über die Leinwand, exzessiv malt er Bild um Bild. Und immer wieder treibt es ihn in die Heimat – das nordfriesi­sche Seebüll wird 1926 zur Basis. Genauso zieht es Nolde mit einer Expedition des Reichskolo­nialamts in die Ferne nach Neu-Guinea, was für Neugier und Offenheit sprechen würde. Zugleich aber irritieren seine verquere Weltanscha­uKünstlern ung, sein Antisemiti­smus und seine Klage von der „Überfremdu­ng der deutschen Kunst“.

Nolde muss sich keineswegs verbiegen, als er 1934 Mitglied der NSDAP wird. Wobei er anfangs von Nazi-Größen wie Albert Speer oder Baldur von Schirach gefördert wird; Joseph Goebbels brüstet sich mit seinen Ankäufen gleich noch bei Hitler. Doch just der von Nolde als „genialer Tatenmensc­h“verehrte Reichskanz­ler findet die Gemälde „unmöglich“. Was geradezu harmlos klingt, wenn man bedenkt, dass der Künstler 1937 mit 29 Werken in der Femeschau „Entartete Kunst“vorgeführt wird, die Nazis 1052 seiner Bilder beschlagna­hmen und Nolde 1941 aus der Reichskult­urkammer ausschließ­en.

Er erhält Malverbot, zieht sich ganz nach Seebüll zurück, und es entstehen unverfängl­iche Blumenaqua­relle, aber auch die „Ungemalten Bilder“, von denen eine herrliche Auswahl an Grotesken im Buchheim-Museum zu sehen ist. Darunter ein gesichtslo­ser gelber Hund, den sich Francis Bacon ausgedacht haben könnte, Baummensch­en und Kobolde, die mit ihrem flammenden Haar an Kalle Wirsch von der Augsburger Puppenkist­e erinnern.

Im tiefsten Inneren ist sich Nolde treu geblieben: in seiner Kunst und in seinen verquasten Ansichten. Deshalb kommt nach dem Zweiten

Der krasse Gegensatz von Kunst und Gedankenwe­lt

Weltkrieg kein Wort der Reue, allerdings schreibt der fast 80-Jährige seine Biografie um und stilisiert sich zum Opfer. Mit Erfolg. Nolde erfährt zahlreiche Ehrungen und wird 1955, ein Jahr vor seinem Tod, auf die erste Documenta geladen. Das kommt einer Absolution gleich, die den Blick auf seine Person lange verstellt. Die Forschung beginnt jedenfalls spät, genauer hinzusehen. Und wenn man jetzt durchs „Museum der Phantasie“geht, fällt vor allem das Bizarre auf, das eine vollkommen­e Gegenwelt zu den pathetisch aufgepumpt­en Körpern nazistisch­er Kunstideal­e bildet: das „Tolle Weib“(1919), das seinem gierigen Publikum den blanken Hintern hinstreckt; die blauen Geisterges­talten im „Frühmorgen­flug“(1940); und erst recht die „Erregten Menschen“(1913), die in ihrer grellen Farbigkeit so kühn sind, dass man sich fragt, wie Nolde das mit seiner Gesinnung zusammenge­bracht hat.

Ausstellun­g „Nolde. Die Grotesken“läuft bis zum 15. Oktober im Buch heim Museum in Bernried am Starnber ger See. Öffnungsze­iten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr. Bei Hatje Cantz ist ein reich bebilderte­r Katalog erschienen (29,80 ¤).

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