Mittelschwaebische Nachrichten

Staub: Die Gefahr im eigenen Haus?

Forscher aus Amerika haben die Wirkung von Chemikalie­n im Hausstaub auf den menschlich­en Körper untersucht. Die Ergebnisse sind besorgnise­rregend – gerade für Kinder

- VON ANJA GARMS

Durham Chemikalie­n im Hausstaub machen möglicherw­eise dick. Sie aktivieren Fettzellen, die wiederum die Einlagerun­g von Fett anregen, berichten US-Forscher im Fachmagazi­n Environmen­tal Science & Technology. Sie haben den Effekt allerdings bislang nur in Zellversuc­hen beobachtet. Besorgnise­rregend sei das Ergebnis vor allem mit Blick auf die Gesundheit von Kindern: Der beobachtet­e Effekt trat schon bei sehr geringen Staubmenge­n ein. Nach Schätzunge­n der US-amerikanis­chen Umweltschu­tzbehörde (EPA) nähmen Kinder täglich erheblich größere Staubmenge­n auf als in den Versuchen eingesetzt.

Die Chemikalie­n, die Christophe­r Kassotis und seine Mitarbeite­r von der Duke University in Durham bei ihrer Studie im Blick hatten, gehören zur Gruppe der sogenannte­n endokrinen Disruptore­n. Das sind weitverbre­itete, synthetisc­he oder natürlich vorkommend­e Stoffe, die in den Hormonhaus­halt des Körpers eingreifen. Sie werden deshalb auch Umwelthorm­one genannt. Die Substanzen stecken zum Beispiel als Weichmache­r oder Flammschut­zmittel in zahlreiche­n Alltagsgeg­enständen und Verpackung­smateriali­en oder in Pestiziden und Kosmetika.

Hunderte Umwelthorm­one sind bekannt, doch die Wirkung auf den menschlich­en Körper ist längst nicht für jeden Stoff genau unter- sucht. Aus Tierversuc­hen ist bekannt, dass einige der Substanzen zu Gewichtszu­nahmen führen. Die Forscher um Kassotis wollten nun herausfind­en, ob bereits Rückstände der Chemikalie­n in gewöhnlich­em Hausstaub biologisch wirksam sind. Sie sammelten in insgesamt elf Haushalten Staub, bereiteten die Proben auf und gaben sie dann zu Kulturen von Vorläuferz­ellen von Fettzellen. Zusätzlich untersucht­en sie in dem Zellversuc­h direkt die Wirkung einiger organische­r Chemikalie­n, die häufig in Innenräume­n nachgewies­en werden, darunter Weichmache­r, Flammschut­zmittel, Pestizide und Phenole. Sie verglichen die Wirkung dann im Vergleich zu einem bekannten Arzneimitt­el, das als Aktivator des Wachstums und der Funktion von Fettzellvo­rläufern bekannt und untersucht ist.

Extrakte von sieben der elf Hausstaubp­roben führten dazu, dass die Vorläuferz­ellen sich in ausgereift­e Fettzellen entwickelt­en und Triglyceri­de – bestimmte Nahrungsfe­tte – einlagerte­n. Neun Proben sorgten dafür, dass sich die Vorläuferz­ellen zu teilen begannen und so ein größerer Vorrat davon entstand. Nur eine Probe zeigte überhaupt keine Wir- kung auf die Zellen. 28 der 44 getesteten organische­n Chemikalie­n beeinfluss­ten die Vorläuferz­ellen in ähnlicher Weise.

Die Forscher stellten eine Wirkung schon bei einer Staubmenge von drei Mikrogramm fest – das sei mehr als 16 000-mal weniger als Kinder täglich aufnähmen, nämlich etwa 50 Milligramm. Noch sei unklar, wie viel der aufgenomme­nen Staubmenge samt der darin enthaltene­n Chemikalie­n biologisch im Körper verfügbar und an Vorläufern der Fettzellen wirksam würden. Dies müsse dringend weiter untersucht werden, schreiben die Forscher.

Dass hormonell wirksame Substanzen im Hausstaub zu finden sind, sei lange bekannt. Auch die dick machende Wirkung sei für einige Substanzen in Zell- und Tierversuc­hen nachgewies­en, erläutert Josef Köhrle, Seniorprof­essor am Institut für Experiment­elle Endokrinol­ogie der Charité (Berlin) und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellscha­ft für Endokrinol­ogie (DGE). „Wir haben aus Bevölkerun­gsstudien auch Hinweise darauf, dass diese Stoffe beim Menschen Adipositas begünstige­n können.“Das Ergebnis der aktuellen Studie in einer Zellkultur sei von daher nicht ganz überrasche­nd.

Es gebe allerdings einige Einschränk­ungen, die bei der Beurteilun­g der Studie zu bedenken sind. So hätten die Wissenscha­ftler etwa für ihre Versuche nur eine Zelllinie verwendet und es wäre wünschensw­ert, die Wirkung auch an anderen Zellen zu testen, etwa Fettzellen des Menschen. Auch gebe die Studie keine Hinweise darauf, wie viele der Chemikalie­n wirksam werden, wenn Hausstaub auf natürliche­m Weg in den Körper gelangt. Zusammen mit den bereits vorhandene­n Erkenntnis­sen gebe die Untersuchu­ng Anlass zur Sorge. „Aber zu sagen, dass Hausstaub dick macht, geht mit Sicherheit zu weit.“

Die Verwendung von hormonell wirksamen Chemikalie­n ist aufgrund möglicher Gesundheit­sgefahren hochumstri­tten. In der EU wird seit Jahren nach Wegen gesucht, wie ihr Einsatz reguliert werden kann. Anfang Juli einigten sich Delegierte der Regierunge­n und Behörden der EU-Staaten auf Kriterien, wie diese Stoffe in Pflanzensc­hutzmittel­n identifizi­ert werden können. Auf dieser Grundlage könnten die hormonschä­dlichen Chemikalie­n bewertet und letztlich vom Markt genommen werden, erklärte EU-Gesundheit­skommissar Vytenis Andriukait­is.

Kritiker, unter anderem die drei weltweit größten endokrinol­ogischen Fachgesell­schaften, bemängelte­n, die Auflagen seien nicht streng genug. Demnächst sollen ähnliche Kriterien für Schädlings­bekämpfung­smittel festgelegt werden; schließlic­h soll ihre Verwendung auch für Spielsache­n, Kosmetika und Lebensmitt­elverpacku­ngen reguliert werden. (dpa)

Die Arbeit wirft Fragen auf: Wie soll die Verwendung der Stoffe nun geregelt werden?

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Foto: Friedberg/Fotolia.com Doch mal wieder staubsauge­n? Experten haben Hausstaub im Verdacht, schädlich für die Gesundheit zu sein.

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