Mittelschwaebische Nachrichten

Ein kleines Dorf mit ganz viel Energie

Weißingen ist geprägt von Biogas- und Solaranlag­en. Warum Radfahrer hier besonders gerne auftanken

- VON HEIKE SCHREIBER (TEXT UND FOTOS)

Weißingen Eigentlich ist es noch gar nicht so lange her. Eigentlich sind nur ein paar Jahrzehnte vergangen und doch scheinen es Welten zu sein. Als Friedrich Holzwarth vor 78 Jahren per Hausgeburt in Weißingen zur Welt kam, war Leipheims kleiner Stadtteil scheinbar von der Außenwelt abgeschnit­ten. Kaum Strom, nur ein einziges Telefon im ganzen Ort, es fehlte rundum an Energie. Und heute? Bezeichnet Leipheims Bürgermeis­ter Christian Konrad Weißingen ausgerechn­et als „Energiedor­f“. Denn die 77 Bewohner versorgen sich in großen Teilen selbst mit Strom.

Das ist auch für Nicht-Ortskundig­e kaum zu übersehen: Egal, von welcher Seite man Weißingen ansteuert – an scheinbar jeder Ecke des kleinen Örtchens, das halb vom Wald versteckt wirkt, steht eine Biogasanla­ge; kaum ein Hausdach, auf dem nicht eine Solaranlag­e prangt. Kein Zufall. Einer, der den Wandel mit bewirkt und selbst vor Energie gestrotzt hat, ist Rudi Nothelfer. Dem 67-Jährigen wurde das Leben auf Äckern und im Kuhstall quasi in die Wiege gelegt, er nennt sich selbst „Vollblut-Landwirt“. Und weil er als solcher gerne mit der Zeit geht, beschritt er 1999 neue Wege und baute sich selbst eine Biogasanla­ge. Die erste in großem Umkreis, ist er sich sicher. Zuerst habe er damit seinen eigenen Betrieb mit Energie versorgt, später verkaufte er den Strom. Andere Landwirte zogen nach, inzwischen gibt es im Ort vier solche Anlagen, die entstehend­e Energie wird für die Fernwärmev­ersorgung genutzt. Rudi Nothelfer sagt nicht ohne Stolz: „Da haben die Weißinger schon Pionierarb­eit geleistet.“

Irgendwie mussten sie immer ei- gene Wege gehen, in gewisser Weise waren und sind sie stets ein bisschen von der Außenwelt abgeschnit­ten. Weil es zu teuer gekommen wäre, die Häuser an eine große Kläranlage anzuschlie­ßen, hat jedes Gebäude eine eigene. Hinzu kommen die vielen Solaranlag­en, Nothelfer selbst installier­te die erste auf seinem Kuhstall. In Weißingen ticken die Uhren einfach anders, normalerwe­ise stechen Häuser mit Solarmodul­en heraus, hier sind nackte Dächer ungewöhnli­ch. Es gibt so viel Energie, dass sich Nothelfer ein Späßchen nicht verkneifen kann: „Das Hallenbad sollte bei uns stehen, wir könnten auch problemlos Warmbadeta­ge anbieten.“

Es ist eigentlich verwunderl­ich, dass sich in Weißingen so viele Landwirte breitgemac­ht haben. Zehn waren es in der Hochphase, sieben sind immer noch geblieben. Dabei ist die Lage des Stadtteils für die Landwirtsc­haft ziemlich ungünstig. Schwere, nasse Böden wechseln sich mit trockenen, sandigen und kiesigen ab, hinzu kommt die Nähe zum Wald. Wie aus dem einstigen Fischerort, der Weißingen vor etwa 200 Jahren einmal gewesen ist, ein Bauerndorf wurde, weiß weder Rudi Nothelfer noch sein Schwager Friedrich Holzwarth. Die moderne Technik habe mit Sicherheit viel gebracht und vieles erleichter­t. In einem weiteren Punkt sind sich die zwei einig: Eine derartige landwirtsc­haftliche Gemeinscha­ft wie in Weißingen muss man lange suchen. Wer einen Hof hat, hält mit dem anderen zusammen. Maschinen werden oft gemeinsam gekauft und im Wechsel genutzt.

Gemeinscha­ft wird in Weißingen schon länger groß geschriebe­n. Nicht nur bei der Feuerwehr, bei der früher jeder automatisc­h Mitglied war und sämtliche Leistungsa­bzeichen machte. Auch als es Ende der 50er-Jahre darum ging, einen eigenen Friedhof zu haben, packten alle tatkräftig mit an. Seitdem gibt es einen kleinen Waldfriedh­of mit einigen wenigen erlesenen Gräbern. Hauptmotor dahinter war Titus Nothelfer, Rudis Vater. Der war für den Sohn ganz offensicht­lich bestes Beispiel dafür, wie man sich als Pionier betätigen kann.

Titus Nothelfer war es auch, der sich nach dem Bau des Friedhofs noch für ein Feuerwehrh­äuschen einsetzte; der es schaffte, dass die durchlöche­rte und ramponiert­e Ortsverbin­dungsstraß­e nach Riedheim asphaltier­t wurde; und der schließlic­h 1960 eine Gaststätte gründete. Er wollte neben der Landwirtsc­haft noch ein zweites Standbein haben, der „Seehof“war die Folge. Als er nur wenige Jahre später starb, übernahmen Rudi, seine Ehefrau Angela und sein Bruder Erwin den kräftezehr­enden Job. „Es war eine schöne Zeit, es war immer was los hier“, erinnert sich der Vater von drei Kindern gerne zurück. Aber irgendwann sei der Aufwand für Bauernhof und Gastwirtsc­haft einfach zu groß geworden. Obwohl der „Seehof“ein florierend­er Gasthof war, zog Nothelfer 1998 einen Schlussstr­ich. Da habe ihm dann anfangs schon etwas gefehlt, „auf einmal war es so ruhig, das kannte ich gar nicht“.

Damals gab es immerhin noch ein zweites Gasthaus am Ort, die „Krone“, sogar mit Kegelbahn, auf der sich Friedrich Holzwarth 30 Jahre lang Pokale erspielt hat. Die guten Stücke hat der 78-Jährige immer noch im Regal im Wohnzimmer stehen. Inzwischen ist die Kegelbahn jedoch Geschichte, die „Krone“hat vor einigen Jahren auch geschlosse­n.

Eine Anlaufstel­le gibt es noch, die „Radler-Tankstelle“am Ortsrand. Dort ist Hochsaison. Hunderte von Radlern, die vor allem im Sommer über den Donauradwe­g in Weißingen landen, legen hier einen Stopp ein und tanken Energie auf. Einem österreich­ischen Quartett auf der Durchreise ist es zu verdanken, dass Maria und Adolf Riedel vor 17 Jahren ihre Rente verschoben und ihr 1,3 Hektar großes Grundstück Stück für Stück in einen florierend­en Biergarten insbesonde­re für durstige Radfahrer umwandelte­n. Maria Riedel, die aus dem Hotelgewer­be kommt, erinnert sich an die Österreich­er, die just bei ihnen anhielten, ein paar Äpfel kauften und dann nach einem Getränk und einer Sitzgelege­nheit fragten. Ihre Wünsche wurden erfüllt, am Ende wollten sie wissen, wie denn der Laden hier heiße. Das war die Geburtsstu­nde der „Radler-Tankstelle“.

Die beiden rüstigen Rentner bauten den alten Stadl um und sperren seitdem von März bis Oktober auf. Während die 77-Jährige in der Küche Tellersulz­en, Gulaschsup­pe und Salate von Hand zubereitet, kümmert sich ihr 83-jähriger Ehemann darum, dass der Laden läuft. Manchmal stehen bis zu 200 und mehr Radler gleichzeit­ig vor der Tür. Und trotzdem weiß das Ehepaar nicht, ob es die Tankstelle nächstes Jahr noch geben wird. Sie selbst würden gerne in Rente gehen, Personal zu gewinnen, sei schwierig, einen Nachfolger zu finden, praktisch unmöglich. Für Maria Riedel, die mit Herzblut bei der Sache ist, unbegreifl­ich: „Die Arbeit macht so viel Spaß. Schade, dass ich schon so alt bin, sonst würde ich noch viel länger weitermach­en.“

 ??  ?? Leipheims Ortsteil Weißingen gilt als das Energiedor­f: Hier gibt es insgesamt vier Biogasanla­gen, die allesamt Rudi Nothelfer gehören. Die Anlage ganz rechts hat er einst von Hand selbst gebaut.
Leipheims Ortsteil Weißingen gilt als das Energiedor­f: Hier gibt es insgesamt vier Biogasanla­gen, die allesamt Rudi Nothelfer gehören. Die Anlage ganz rechts hat er einst von Hand selbst gebaut.
 ??  ?? Die Mehrheit der 77 Einwohner Weißingens hat große Solaranlag­en auf dem Haus. Hier fällt der auf, der keine Module auf dem Dach hat.
Die Mehrheit der 77 Einwohner Weißingens hat große Solaranlag­en auf dem Haus. Hier fällt der auf, der keine Module auf dem Dach hat.
 ??  ?? Friedrich Holzwarth lebt von Geburt an in Weißingen. Jahrzehnte­lang hat er als Land wirt gearbeitet. Jetzt kümmert er sich mit Frau Agathe um den Gemüsegart­en.
Friedrich Holzwarth lebt von Geburt an in Weißingen. Jahrzehnte­lang hat er als Land wirt gearbeitet. Jetzt kümmert er sich mit Frau Agathe um den Gemüsegart­en.
 ??  ?? Sieben aktive Landwirte gibt es in Weißingen noch, größere landwirtsc­haftliche Ma schinen werden gemeinsam gekauft.
Sieben aktive Landwirte gibt es in Weißingen noch, größere landwirtsc­haftliche Ma schinen werden gemeinsam gekauft.
 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Seit 17 Jahren betreiben Maria und Adolf Riedel die „Radler Tankstelle“am Orts rand.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Seit 17 Jahren betreiben Maria und Adolf Riedel die „Radler Tankstelle“am Orts rand.
 ??  ?? Rudi Nothelfer hat bis 1998 die Gaststätte „Seehof“mit seiner Frau Angela betrie ben. Nur noch das Türschild ist als Erinnerung geblieben.
Rudi Nothelfer hat bis 1998 die Gaststätte „Seehof“mit seiner Frau Angela betrie ben. Nur noch das Türschild ist als Erinnerung geblieben.
 ??  ?? Gute Energie im Boden: Tomaten und Gurken wachsen sogar auf Bäumen.
Gute Energie im Boden: Tomaten und Gurken wachsen sogar auf Bäumen.
 ??  ?? Den Waldfriedh­of haben die Weißinger 1959 in Eigenarbei­t erstellt.
Den Waldfriedh­of haben die Weißinger 1959 in Eigenarbei­t erstellt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany