Mittelschwaebische Nachrichten
Vor dem letzten Wurf fließen Tränen
Johannes Vetter holt für Deutschland die einzige Goldmedaille. Der 24-Jährige weiß, bei wem er sich bedanken muss. Enttäuschung dagegen bei Olympiasieger Röhler
London Drei gegen den Rest der Welt. Das haute nicht hin. Von dem hoch eingeschätzten deutschen Speerwurftrio konnte nur einer überzeugen – und wie. Johannes Vetter warf zum Schluss mit Tränen in den Augen. Da war er schon Weltmeister.
Der Speerwurfhinwerfer, der fast jedem Versuch eine Bauchlandung folgen lässt, schlug die Hände vors Gesicht. Dann folgte eine innige Umarmung mit seinem Trainer Boris Obergföll, und schließlich ließ er die Muskeln spielen. Im Stile des Comic-Helden Popeye präsentierte sich Vetter den Kameras, während Kollege Thomas Röhler enttäuscht auf der Bank im Wurfbereich saß.
Er, der Olympiasieger, war noch von dem Tschechen Petr Frydrych abgefangen worden. Keine Medaille, nur Blech für den Jenaer, dessen Karbonspeer nur sechs Zentimeter zu kurz für Bronze flog. „Ich genieße das und lasse alles auf mich zukommen. Das eine oder andere Bier werden wir noch trinken. Unser Trainer ist da nicht abgeneigt“, sagte Vetter und lachte. Wie schon im Vorkampf, als er 91,20 Meter warf, legte Vetter mit dem ersten Wurf im Finale den Grundstein für den Titelgewinn. 89,89 Meter – und die Sache war erledigt. Röhler brachte es als Vierter auf 88,26 Meter. Dazwischen lagen die Tschechen Jakub Vadlejch (89,73) und Petr Frydrych (88,32). Der Mannheimer Andreas Hofmann belegte mit 83,98 Metern den achten Platz.
Weltmeister Vetter dankte artig seinem Trainer Boris Obergföll. „Ich bin stolz wie Bolle. Ich glaube, was ich in den letzten drei Jahren mit Boris auf die Beine gestellt habe, ist einfach unbeschreiblich. Ihm habe ich viel zu verdanken.“Vor drei Jahren war der gebürtige Dresdner extra in die Ortenau gezo- gen, um bei Obergföll, der unter seinem alten Namen Henry 1995 und 2003 WM-Bronze gewonnen hatte, trainieren zu können. Seitdem hat sich Vetter fast um 15 Meter verbessert. Und: „Meine Technik hat sich beinahe um 180 Grad gedreht.“
In diesem Jahr warf er sich mit dem deutschen Rekord von 94,44 Meter in die Favoritenrolle für London. Und die füllte er aus, als käme nichts anderes als der Sieg in Frage. Einen Seitenhieb auf seinen ehemaligen Verein konnte er sich nicht verkneifen. „Ich glaube, die in Dresden werden sich jetzt gewaltig in den Arsch beißen. Ich bin einfach froh über die Unterstützung, die mir in Offenburg entgegengebracht wird.“
Vetter wirft aber nicht nur mit viel Kraft. Er ist auch sehr emotional. Der Olympia-Vierte hat sich sogar einen Speerwerfer auf das linke Schulterblatt tätowieren lassen. Der Weltmeister fühlte sich von seinem Team inspiriert. „Thomas und Andreas waren sofort da und haben mir gratuliert. Thomas hat eine Weltklasseserie geworfen und wird leider nur Vierter. Es ist nicht nur das deutsche Niveau, das diesen Wettkampf ausgezeichnet hat. Es gibt so viele gute Speerwerfer. Im nächsten Jahr in Berlin greifen wir wieder an“, machte Vetter den anderen Mut.
Olympiasieger Röhler hatte vor der WM sogar eine Drohne eingesetzt, die vom Himmel herab Fotos von der Flugbahn des Speers und der Körperhaltung beim Wurf gemacht hatte. Das „Männerspielzeug“half nicht. Vielmehr verzweifelte der 25-Jährige an sich selbst. „Das war mal wieder ein perfektes Beispiel, wie Sport funktioniert. Es muss halt auch den einen Menschen geben, der den vierten Platz belegt bei Weltmeisterschaften“, klang Bitterkeit aus den Worten von Röhler mit. »Porträt
Dieser Sommer hatte Weltmeisterschaften der beiden olympischen Kernsportarten im Programm: erst Schwimmen in Budapest, dann Leichtathletik in London. In einigen Bereichen lagen die beiden Großereignisse sehr nah beieinander. Hier wie dort dominierten die USA. Hier wie dort blieben die deutschen Starter hinter den Erwartungen zurück.
Ein Unterschied fällt aber auf: Das Niveau der Weltspitze in den beiden Sportarten hat sich extrem unterschiedlich entwickelt. Am augenfälligsten wird das beim Blick auf die Weltrekorde. Elf stellten die Schwimmer in Budapest auf, null die Leichtathleten in London.
Natürlich werden Leichtathleten viel stärker von äußeren Bedingungen beeinflusst. Die empfindliche Muskulatur eines Edelsprinters mag es nicht, wenn sie bei Nieselregen und zwölf Grad Höchstleistung bringen soll. Schwimmer dagegen haben in ihren Hallen immer nahezu optimale Bedingungen.
Trotzdem: Die Qualität der Leistungen ist in London auf breiter Front gesunken. Viele Beobachter werten das als Indiz dafür, dass die Schrecken der Dopingenthüllungen aus Russland Wirkung gezeigt haben. Das zeigt sich auch im unterschiedlichen Umgang der beiden Verbände mit dem Thema. Bei den Olympischen Spielen des vergangenen Jahres in Rio waren russische Leichtathleten bis auf eine Ausnahme ausgeschlossen. Und auch in London durfte nur eine Handvoll Russen unter neutraler Flagge starten. Der Journalist Hajo Seppelt, der die russischen Machenschaften aufdeckte, attestiert dem internationalen Leichtathletikverband eine vergleichsweise große Glaubwürdigkeit in seinen Bemühungen, Doping einzudämmen.
Was aber ist der Umkehrschluss? Dass die Schwimmer munter weiterdopen? Einen Ausschluss der Russen gab es dort nicht. Deshalb durfte zum Beispiel auch Julija Jefimowa starten und Gold über 200 Meter Brust gewinnen. Schon 2014 war sie 16 Monate wegen Dopings gesperrt worden – genau so lange, um pünktlich zur WM 2015 in ihrer Heimat wieder startberechtigt zu sein. Ihr lässiger Kommentar dazu: „Wenn Sie einen Führerschein haben, fahren Sie irgendwann auch mal zu schnell, dann bekommen Sie ein Ticket.“
Als 2009 die Ganzkörperanzüge verboten wurden, glaubte man, die bis dahin aufgestellten Schwimm-Weltrekorde seien für die Ewigkeit. Ein Irrtum. Weit über die Hälfte wurde inzwischen verbessert, teilweise gar pulverisiert. Ein Ende der Weltrekordflut ist nicht absehbar, denn es gilt: Wer zu schnell schwimmt bekommt einen Strafzettel – und darf weitermachen.