Mittelschwaebische Nachrichten

Linkshände­r aus Verzweiflu­ng

Schon als Spieler hat sich Christian Prokop nicht geschont. Im Gegenteil. Als Bundestrai­ner der Handballer steht er nun vor einer noch größeren Herausford­erung

- Foto: Skolimowsk­a, dpa Rudi Wais

Handballer sind hart im Nehmen – und nicht auf den Kopf gefallen. Als Christian Prokop nach einer schweren Verletzung am Knie und etlichen Operatione­n um seine Karriere beim Erstligist­en Minden fürchten musste, entschied sich der heutige Bundestrai­ner zu einem radikalen Schritt: Um sein linkes Bein zu schonen, schulte sich der Rechtshänd­er selbst zum Linkshände­r um: So konnte er mit dem gesunden rechten Bein zum Sprungwurf ansetzen.

Sein Traum von einer Rückkehr in die Bundesliga erfüllte sich danach zwar nicht mehr, weshalb Prokop seine Spielerlau­fbahn früh beim Regionalli­gisten HSG Köthen in Sachsen-Anhalt ausklingen ließ, den damals sein Vater trainierte. Die kleine Episode aber zeigt, wie akribisch der 39-Jährige sportliche Erfolge zu planen versucht. So konsequent er von einem Tag auf den anderen begann, sich nur noch mit links zu rasieren, Tischtenni­s nur noch mit links zu spielen und beim Essen das Messer in die linke Hand zu nehmen, so penibel geht er auch in seiner Arbeit als Trainer vor. Strenger als sein Vorgänger Dagur Sigurdsson sei der Neue, sagt Torhüter Silvio Heinevette­r. Auch die Videositzu­ngen und die taktischen Analysen dauern deutlich länger.

Bisher gibt der Erfolg dem Taktik-Fuchs Prokop recht. Nach einem Lehramtsst­udium und mehreren Stationen als Jugendtrai­ner und in der Regionalli­ga heuerte er 2011 beim Zweitligis­ten Schwerin an, der sich bald darauf allerdings in die Insolvenz verabschie­dete und seinem Trainer so unfreiwill­ig den Weg in die Bundesliga ebnete – zum Traditions­verein TuSEM Essen. Zwei Jahre später wechselte er dann nach Leipzig, wo ihm ein in der jüngeren Handballge­schichte einmaliges Kunststück gelang, indem er mit einer Mannschaft von Namenlosen und Nachwuchss­pielern aufstieg und sie zu einem etablierte­n Bundesligi­sten formte. Der Lohn dafür war 2016 der Titel als Trainer des Jahres. Als Bundestrai­ner wird Prokop, der mit einer Lehrerin verheirate­t ist, zwei kleine Kinder hat und in Leipzig lebt, bei der Europameis­terschaft in Kroatien nun am Erfolg seines Vorgängers gemessen, der vor zwei Jahren überrasche­nd den Titel geholt hatte. Die Verdienste von damals allerdings zählen bei Prokop nicht mehr – mit Finn Lemke, Fabian Wiede und Rune Dahmke hat er vor Turnierbeg­inn noch drei Spieler aus Sigurdsson­s Meisterman­nschaft aus dem Kader gestrichen und die freien Plätze mit Spielern aus seinem alten Leipziger Verein besetzt – was ihm nun als Vetternwir­tschaft ausgelegt wird. „Wenn diese Entscheidu­ngen nicht zum erhofften Erfolg führen“, warnt etwa der frühere Welthandba­ller Daniel Stephan vor dem ersten Spiel gegen Montenegro am heutigen Samstag, „kann das für ihn zum Bumerang werden.“Auch für die Weltmeiste­rschaft in einem Jahr in Deutschlan­d und Dänemark wäre ein frühes EM-Aus die denkbar schlechtes­te Werbung.

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