Mittelschwaebische Nachrichten

Jedes Spiel ein Heimspiel

Nicht jeder weiß noch, warum er sein Herz an einen bestimmten Verein verloren hat. Ist der Mensch aber erst einmal entflammt, hält die Beziehung ein Leben lang

- VON ANTON SCHWANKHAR­T UND MILAN SAKO

Augsburg Vielleicht war es der Name. Dieses Mönchengla­dbach, von dem der Drittkläss­ler zwar nicht wusste, wo es auf der Landkarte zu finden ist, das aber aufregend klang. Oder das exotische Manchester United, das einen gefangen nahm und bis heute das Herz des inzwischen Ergrauten leidenscha­ftlich erhitzt. Oft ist der Auslöser für die Beziehung zu einem Klub schon lange vergessen.

Nicht bei Klaus Böller. Der 56-Jährige weiß noch genau, was ihn vor 47 Jahren für den FC Schalke entflammen ließ: ein krummbeini­ger Stürmer, der bei der WM 1970 in Mexiko für Deutschlan­d spielte. „Wer ist das“, der mit herabhänge­nden Stutzen beim 5:2-Sieg gegen Bulgarien die Außenlinie entlangtan­zte?, hat Klaus seinen Vater gefragt. „Libuda.“„Und wo spielt er?“„Im Kohlenpott. Bei Schalke.“Von diesem Tag an war Schalke Böllers emotionale Fußballhei­mat, mochten seine Schulkamer­aden für die Münchner Bayern oder den TSV 1860 schwärmen. Der Friedberge­r hatte seine Fußballlie­be in Nordrhein-Westfalen gefunden. Dass er den Umweg über Reinhard Libuda nahm, sieht Böller heute symbolisch. Libuda, den die Welt in Anlehnung an den englischen Stürmer Stanley Matthews „Stan“nannte, verkörpert­e für Böller das Wesen des FC Schalke. Wie die Karriere des launenhaft­en Libuda, der später mit dem Leben nicht zurechtkam und 53-jährig starb, ist auch die Geschichte des FC Schalke verlaufen. Ein Auf und Ab, in dem die sportliche­n Dramen die Triumphe überwogen. Wenn Böller davon erzählt, ist ihm jedes Detail wichtig. Schalke ist sein Zuhause. Nie hätte er es für einen anderen Klub aufgegeben. „Seinen Verein zu wechseln ist ein No-Go“, sagt der Marketing- und Vertriebsf­achmann. Das blieb es für ihn auch so, als Schalke anfang der 70er Jahre im Bundesliga-Bestechung­sskandal unterzugeh­en drohten. Oder 2001, als Böller für vier Minuten und 38 Sekunden das überwältig­ende Gefühl verspüren durfte, seine Königsblau­en hätten erstmals nach 53 Jahren wieder eine deutsche Meistersch­aft gewonnen – am Ende waren sie doch nur Meister der Herzen.

Böller war damals selbst im Gelsenkirc­hener Parkstadio­n. Den Schmerz über den verpassten Titel beschreibt er noch heute als „ Stich ins Herz“. Danach flossen Tränen. Böller erinnert sich noch an den alten Mann, der ihn umarmte. Der 56-Jährige ist auch später immer wieder die 620 Kilometer von Friedberg nach Gelsenkirc­hen gefahren, um seine Schalker leibhaftig zu erleben. Wie jeder Fan fühlt er sich als Teil des Klubs. Erzählt er von Schalke, spricht er selbstvers­tändlich von „wir“. Hat in seinem Leben neben Schalke noch etwas anderes Platz? Zunächst eine Familie mit Frau und zwei Töchtern. Dann die Hingabe an die Augsburger Panther und nicht zuletzt sein Engagement im Vorstand des Amateurver­eins Sportfreun­de Friedberg.

Und der FC Augsburg? Keine Versuchung, die fernen Schalker für den nahe liegenden FCA aufzugeben? Wer so fragt, hat das Wesen einer Fan-Beziehung nicht verstanden. Es sei aller Ehren wert, was dort geleistet werde, honoriert Böller die Entwicklun­g in Augsburg. Er sei auch schon dreimal in der WWKArena gewesen – „aber immer nur, wenn auch Schalke gespielt hat“.

Anders als Klaus Böller hat es Bernhard Kopp nicht weit, wenn er seinen Lieblingsv­erein sehen will, und anders als der Schalke-Fan kann Kopp auch nicht mehr genau sagen, wann er seine Leidenscha­ft für ihn entdeckt hat.

Es geschah jedenfalls vor über dreißig Jahren. Zusammen mit einem Freund aus der Reischle’schen Wirtschaft­sschule ist er zu den Fußballern des TSV 1860 nach München gefahren oder ins Curt-Frenzel-Stadion gegangen. Der Augsburger EV kämpfte damals in der zweiten Bundesliga. „Mein erstes Spiel habe ich wohl gegen Bayreuth gesehen“, erzählt der 48-Jährige. Doch der Gegner sei unerheblic­h. Die Atmosphäre in der teilweise bitterkalt­en Betonschüs­sel und die Stimmung unter den AEV-Anhängern hatten es dem damals 16-Jährigen angetan.

„Irgendwie bin ich dann beim AEV hängen geblieben“, erzählt Kopp. Seit über drei Jahrzehnte­n engagiert er sich im Stadion, arbeitete zwischenze­itlich als Fan-Beauftragt­er des Klubs aus der Deutschen Eishockey-Liga. Und seit 1991 leitet er fast ununterbro­chen den 1. AEVFan-Klub als erster Vorsitzend­er.

Mit knapp 200 Mitglieder­n ist das die größte von sechs aktiven Fangruppie­rungen, denen insgesamt rund 1000 Anhänger angehören. Dutzende Spieler hat er kommen und manchmal auch schnell wieder gehen sehen. Aber einige Größen wie der ehemalige NHL-Stürmer Jaroslav Pouzar, Torwart Ian Wood oder Duanne Moeser sind im Gedächtnis hängen geblieben. Egal, ob sein Klub in der Oberliga, der zweiten Bundesliga oder jetzt DEL spielt, egal, ober er sich inzwischen Augsburger Panther nennt, während die eingefleis­chten Fans das Team als AEV bezeichnen – Bernhard Kopp kommt zu fast allen Heimspiele­n ins Stadion.Auch auswärts begleitet er die Mannschaft, entweder im Bus zu den befreundet­en Klubs in Düsseldorf sowie Schwenning­en oder zuletzt im Ausflugsda­mpfer die Donau abwärts nach Straubing. Kopp: „Der AEV ist meine große Familie. Und das Curt-Frenzel-Stadion ist unser zweites Wohnzimmer hier.“

Seit der aufwändige­n Renovierun­g des Stadions, in die Kopp als Fan-Beauftragt­er eingebunde­n war, ist die gute Stube auch ordentlich beheizt. „Der Umbau hat alle ziemlich viel Kraft gekostet. Dafür haben wir jetzt eines der schönsten Stadien in Deutschlan­d. Das sagen immer wieder unsere Gäste.“

Fast jede freie Minute verbringt Kopp mit dem Augsburger EV. Seine richtige Familie zeigt dafür Verständni­s. Frau Monika, die er nicht beim Eishockey kennen gelernt hat, ist ebenfalls Fan-Mitglied. Der zwölfjähri­ge Sohn Florian spielt im AEV-Nachwuchs. „Meine Frau steht zu einhundert Prozent dahinter, anders würde es nicht gehen“, erzählt der gelernte Baustoff-Kaufmann. Das Büro zu Hause ist mit Fan-Artikeln geschmückt, über 30 Trikots stapeln sich im Schrank.

Der 48-Jährige schätzt die kurzen Wege im Verein. Wenn es ein Problem gibt, hat er einen guten Draht zu Klub-Chef Lothar Sigl. „Er hat immer ein offenes Ohr für die Fans.“In jeder Familie kracht es ab und an, auch in seiner? Bernhard Kopp überlegt kurz und antwortet mit seiner ruhigen Art: „Zwischendu­rch gab es vielleicht mal einen Durchhänge­r. Aber das Herz schlägt für den AEV.“

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Foto: Siegfried Kerpf Reinhard „Stan“Libuda, Schalkes großartige­r Stürmer, hat vor 47 Jahren Klaus Böl lers Leidenscha­ft für die Königsblau­en entfacht.

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